Archiv der Kategorie: Welt

»Cyberlibertarianism«

In diesem Buch nimmt David Golumbia, Literaturwissenschaftler und Philosoph, dann Softwareentwickler, dann Digital-Humanities-Professor, der die akademische Welt liebte, aber von seinen von glitzernden neuen Technologien geblendeten Kolleg*innen frustriert war, die kalifornische Ideologie auseinander, die wir in den 2010ern vielleicht noch ganz schick fanden und die uns jetzt so spektakulär um die Ohren fliegt. Besonders interessant und etwas schmerzhaft zu lesen ist das deshalb, weil Golumbia auch und gerade Personen und Institutionen kritisiert, mit denen man, wenn man in den 2010ern auf Twitter sozialisiert wurde, lange nur Gutes und Edles assoziiert hat: Section 230, die Proteste gegen SOPA und PIPA, Edward Snowden, die Wikimedia Foundation, das Internet Archive usw.

Verbrechen an der Sprache des Verbrechens

Die Verben im Wortfeld „Erpressung“ scheinen einige professionell Schreibende durchaus vor Herausforderungen zu stellen. So las ich vor einiger Zeit in einem Artikel über Hackerangriffe:

The idea of someone hacking your laptop camera, spying on you and then blackmailing you into releasing the footage publicly might sound like a cliche Hollywood plot, but it’s not as impossible as you may think.

Da möchte ich widersprechen: Dieses Szenario klingt überhaupt nicht klischeehaft, sondern im Gegenteil höchst avantgardistisch. Die Hackenden zwingen mich, das Videomaterial selbst zu veröffentlichen? Das ist ein Plot voller Rätsel: Wie wollen sie mich dazu zwingen? Und warum machen sie sich die Mühe, mich heimlich zu filmen, wenn sie mich doch eh zu ihrem Handlanger machen?

Aber solche Filme scheint es tatsächlich zu geben, zumindest laut Moviepilot. Da heißt es über den Film Apostle:

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reist Thomas (Dan Stevens) auf die abgelegene Insel eines geheimnisvollen Kults, um seine Schwester Jennifer (Elen Rhys) zu befreien: Die wurde von Mitgliedern des Kults entführt und soll gegen Lösegeld freigepresst werden.

Der Kult möchte also sich selbst dazu zwingen, Jennifer freizulassen – das hätte sich weder Kafka noch Beckett schöner ausdenken können. Wiederum bleibt im Dunkeln, worin die Drohung besteht, die die Verbrechenden in diesem Fall ja gegen sich selbst aussprechen müssten. Auch erfahren wir nicht, wer wem ein Lösegeld zahlen soll.

2000 ff.

Von ca. 2000 bis ca. 2002 bin ich auf einer Website aktiv, die von einem deutschen Buchverlag als Werbemaßnahme erstellt wurde. Sie ist meiner Erinnerung nach ursrpünglich in ASP geschrieben (zumindest legen das die URLs nahe, später PHP) und besteht u.a. aus einem Chat, einem Bulletin Board und einem Bereich, in dem man in Form von Texten Aufgaben bearbeitet und dafür insgesamt vier Achievements unlocken kann, wie man wohl heute sagen würde. Ich bin von der ersten Stunde an begeistert dabei und gehöre dadurch zu den ersten vier, die das höchste Level erreichen. Wir sind auch bis heute die einzigen geblieben, denn der Verlag stellt die Pflege der Website allmählich ein (später wird sie von einem Verein übernommen). Etwa zur gleichen Zeit kommt es bei einer Diskussion über besagten Chat, seine geheimen Funktionen und den verantwortungsvollen Umgang mit ihnen zu einer Reihe von Missverständnissen, Unterstellungen und Beleidigungen, in deren Folge ich von einigen tonangebenden Mitgliedern der Website geschnitten werde. Ich engagiere mich danach noch ein wenig in dem erwähnten Verein, aber rückblickend ist die Luft schon zu dem Zeitpunkt raus. Ab 2005 lasse ich mich nicht mehr blicken.

Das Zerdreschen von Musikinstrumenten (4)

Manchmal stelle ich mir vor, wie ich eine Rakete in einen Glockenturm schieße und die Glocken ein letztes Mal KLÄNG machen. Es ist eine schöne Vorstellung. Während eines Meetings hat mich heute mal wieder das Glockenspiel im Turm des Hauptgebäudes der Universität Groningen schier wahnsinnig gemacht. Und das ist das wohlklingende der beiden Carillons in der Groninger Innenstadt. Es gibt da auch noch das in der Martinikirche, neben dem zu wohnen ich mir ungeschickterweise ausgesucht habe. Zwei- oder dreimal pro Woche greift der Stadtglockenspieler am Vormittag eine ganze Stunde lang in seine Tasten. Zudem wird es jeden Tag von früh bis spät viermal pro Stunde von einer Mechanik betätigt und spielt zu jeder Viertelstunde eine andere Melodie, beim frühmorgendlichen Erstspiel sogar alle vier hintereinander. Die Häufigkeit zeugt von großem Stolz aufseiten der Groninger und von Vertrauen in die Qualität der Darbietung, wie es weniger gerechtfertigt nicht sein könnte. Das Carillon klingt furchtbar blechern und für mein Gefühl ist keine der Glocken näher als einen Achtelton am intendierten. Vollends grotesk wird es bei starkem Wind, wenn nur noch ein stark verzerrter Experimentalhorrorfilmsoundtrack dabei herauskommt. Zerdrösche man das Carillon, würde Groningen in musikalischer Hinsicht auf einen Schlag fünfmal kultivierter.

Der wiederauferstandene Antitheist

Bis 2010 bloggte ein gewisser sapere aude über Gott, Religion und die Welt, mit einer seltenen Entschiedenheit aus atheistischer, ja antitheistischer Perspektive. Das fand ich sympathisch.

Meine Sympathie ließ nach, als ich einmal mit sapere aude über Beweise der Nichtexistenz Gottes diskutierte und er aber jeden Gottesbegriff, über den er bereit war zu diskutieren, auf etwas offensichtlich Absurdes einengte (Stichwort: Allmachtsparadoxon). Von da an kam mir sapere aude eher wie ein verrannter Fanatiker vor.

Am 28. Oktober 2010 wurde auf sapere audes Blog in der dritten Person die Nachricht von seinem überraschenden Tod gepostet, zusammen mit der Bitte, von Nachfragen nach den Umständen abzusehen. Seitdem war es still, bis zum 14. April 2015, als wieder ein Post in der ersten Person erschien, bestehend nur aus dem Titel: „Ich bin wieder da.“ Ein weiterer Post folgte am selben Tag. Er legt dar, der erwähnte Tod sei gar kein Tod im Wortsinne gewesen, sondern nur der eines „Geist[es]“, des „Religionsverächter[s] und Antitheist[en]“ sapere aude. Der Mensch dahinter habe ein „tiefe[s] und plötzliche[s] Bedürfnis“ verspürt, das Werk dieser Online-Persona nicht fortzusetzen. Es wird sich für die Täuschung entschuldigt und weitere Erklärungen angekündigt.

Was der atheistische Leser jetzt schon befürchtet, wird am 16. April Gewissheit: Der neue sapere aude postet, Theismus mache „Sinn“. Und dass er das verstanden habe, „indem ich mit religiösen Menschen gesprochen, gegessen, gesungen, gebetet, gelacht und gelebt habe.“ Details werden dazu noch nicht genannt, aber es klingt begeisterungstrunkenes Vokabular an („unschätzbarem Reichtum“, „überwältigt“), wie man es u.a. von evangelikalen Christen kennt. Die inszenierte Wiederauferstehung würde geradezu ins Bild passen.

Hat sapere aude seinen Fanatismus bewahrt und sich nur von einem ins andere Vorzeichen bekehrt? Oder ist der ursprüngliche Blogautor so tot wie zuvor und eine Entität mit anderer Agenda hat sich seines Accounts bemächtigt? Man darf auf weitere Posts gespannt sein.

Things I learned about the Netherlands

In the Netherlands, people often introduce themselves with just their first names. Yet they seem to be unusually reluctant to write first names in full – the most commonly seen form in professional settings is the initial(s) of the first name(s) together with the full last name, such as H. Vossen or C.J.B. Jansen. When filling in your personal details on a form, you are not usually asked for your voornamen, but only for your voorletters. A measure against gender discrimination? In any case, as N. once observed, it leads to situations where you meet someone at an event, later get a list of participants but have no chance of finding him or her back because the only thing you know – the first name – does not appear on the list. And don’t think any of the initials will be the actual initial of the first name you heard: that is often a short form, e.g. Lex or Sander corresponds to the initial A – for Alexander.

The ability of the Dutch population to communicate in English is among the highest in Europe. Of course, Dutch English has its own characteristics. For example, the Dutch language has some terms that seem like internationalisms to many Dutch speakers, so they assume they will be understood in English as well. For example, they divide university subjects into the alfa branch (humanities), the beta branch (STEM) and the gamma branch (social sciences). Another example is the word horeca which is an abbreviation of hotel, restaurant, café and commonly used in Dutch when speaking about the catering industry. Another pet observation of mine: Dutch speakers tend to overuse the static passive in English (where it’s uncommon), e.g. the game is chosen instead of the game has been chosen or the game was chosen. This seems to be due to the fact that a form of zijn (“to be”) plus past participle is in Dutch the most common form to express the passive in the past: het spel is gekozen, even in situations where e.g. German would avoid the corresponding form, which would be classified as static passive. May we thus say that Dutch has a static passive and uses it a lot? Or should we say that the passive auxiliary geworden is usually dropped in the perfect tense?

As a final interesting piece of information, note that precipitation is so unpredictable here that people have little use for your traditional weather forecast. Rather, you use a live satellite cloud map in order to wedge your bicycle ride home from work into the gap between two showers.