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Für Sie getestet: Tour D 1–10

Seit knapp drei Monaten wohne ich nach zwölfjähriger Abwesenheit wieder in meiner Heimatstadt Düsseldorf. Mit als erstes drückte man mir hier eine sehr schön gestaltete Broschüre mit zehn Radtouren („Tour D“) in die Hand. So beschloss ich, auf diese Weise meine Stadt wiederzuentdecken. Das habe ich dann diesen Sommer nach und nach gemacht; nur auf die bei Nacht zu fahrende Tour D 8 hatte ich bisher nie Lust. Hier sieht man die GPS-Spuren samt Anfahrt aus Hassels:

Tour D 1

Das ist sozusagen eine Erweiterung meines normalen Weges von zu Hause in die Innenstadt. Neu kennengelernt habe ich u.a. die Eisenbahnüberführung Kikweg mit ihren gotischen Bögen und den Unterbacher See.

Tour D 3

Diesen Bereich kannte ich größtenteils sehr gut, weil ich als Kind und Jugendlicher in Unterbilk gewohnt und schon damals die Pracht des Medienhafens, der Lausward etc. genossen hatte. Neu war mir der Aderräuscherweg zwischen Südfriedhof und Volmerswerth.

Tour D 4 und 2, zurück am Rhein

Hatte mich die Tour D 4 von Hassels nach Stockum gebracht, wäre es ja geradezu Verschwendung gewesen, die Rundtour D 2 nicht gleich dranzuhängen. Hier war noch viel Unentdecktes für mich, z.B. die Umgebung des Flughafens und Schloss Kalkum. Zurückgefahren bin ich dann am Rheinufer entlang und habe auch, so weit es ging, den Himmelgeister Rheinbogen ausgefahren, wo ich noch nie gewesen war. Leider war zu diesem Zeitpunkt das GPS aus, sodass man diese Leistung (es zieht sich ganz schön) nur annähernd sieht.

Tour D 5

Sehr schöne, bergige und waldige Tour. Man kommt an Pferden und Segelflugzeugen vorbei. Mit der GPS-Aufzeichnung ist leider irgendwas schiefgegangen.

Tour D 6

Eine etwas verwirrend zu navigierende schneckenhausförmige Tour. Viele hübsche grüne Stellen, z.B. an der Stelle, an der die Tour kurz über die Stadtgrenze hinaus nach Langenfeld-Baumberg geht.

Tour D 7

Vierbrückentour teilweise auch durch mir noch unbekannte linksrheinische Gefilde. Rechtsrheinisch hier mit kulinarischen Abstechern zu Maruyasu und zur Steakschmiede.

Tour D 9

Diese Tour folgt dem Verlauf der Düssel. Ich hatte lange nicht gewusst, wie die Düssel eigentlich funktioniert, sondern nur den Eindruck gehabt, dass sie in der Innenstadt weitgehend unterirdisch fließt und an allen möglichen unerwarteten Stellen plötzlich für ein paar Meter aus der Erde kommt, so verstreut, dass ihr genauer Verlauf mir ein Rätsel war.

Erfreulicherweise hat die Tour-D-Broschüre eine eigene Doppelseite, um die Düssel zu erklären: Diese spaltet sich nämlich seit dem frühen 20. Jahrhundert im Düsseldorfer Osten in zwei Arme, die nördliche und die südliche Düssel. Jeder Arm spaltet sich dann noch mal in zwei, bevor alle vier Arme an verschiedenen Stellen in den Rhein münden. Das erklärt die weit verstreuten Düsselsichtungen. Dass die Düssel vielerorts unterirdisch fließt, verdankt sich ihrer intensiven Verrohrung. Diese wird in neuerer Zeit als sittliche Verrohung wahrgenommen und schrittweise zurückgenommen. Mehr Düssel, mehr hübsch!

Ich habe diese Tour mit anderen Unternehmungen verbunden und auf zwei Tage verteilt. Auf dieser Karte ist die südliche Hälfte zu sehen:

Und auf dieser die nördliche:

Tour D 10

Einmal praktisch ums ganze Stadtgebiet, aber unter gnädiger Aussparung des Himmelgeister Rheinbogens. Die erste Rheinquerung habe ich von der Flughafenbrücke zur Kaiserswerther Rheinfähre vorverlegt.

Zur Navigation

Um die Strecken zu finden, habe ich die RADschlag-App verwendet, die ein integriertes Navigationssystem für die Touren D hat. Anfänglich wollte ich mich ganz auf die Sprachausgabe verlassen. Diese ist allerdings oft verwirrend. Mal schweigt die App, wenn man auf jeden Fall eine Anweisung bräuchte, ob man links oder rechts weiterfahren soll. Mal beschreibt sie komplizierte Abbiegemanöver, wenn man einfach nur geradeaus weiterfahren muss. Und Brücken und Unterführungen, die eine menschliche Navigation auf jeden Fall erwähnen würde, ignoriert die App. So habe ich denn schnell die Lenkerhalterung fürs Smartphone rausgekramt, um bei Unklarheiten schnell auf die Karte schauen zu können. Aufgrund des geringen maximalen Zoomfaktors bewahrt einen auch das nicht immer vor Irrgängen (insbesondere im Volksgarten und anderen Parkanlagen ist es schlimm), aber oft genug.

Leider werden auch die verschiedenen Sehenswürdigkeiten, an denen man vorbeikommt, nicht genannt, sondern wurden als „Zwischenziel 1, Zwischenziel 2…“ ziemlich hackig in die Navigationsanweisungen integriert: „In 200 Metern Zwischenziel 1, danach direkt geradeaus.“ Die Nummerierung der Zwischenziele entspricht noch nicht einmal der in der Broschüre, sondern startet jedes Mal neu von 1, wenn die Route neu berechnet wird. Also auch jedes Mal, wenn die App sagt: „Die Route wird jetzt neu berechnet“, obwohl man gar nicht von ihr abgewichen ist. Und das passiert ziemlich häufig, aus irgendeinem Grund besonders häufig auf dem Lohauser Deich. Man darf sich davon nicht kirre machen lassen.

Die Rundtouren kann man angenehmerweise an dem Punkt beginnen, der einem am nächsten liegt, und sich am Anfang von der App dorthin navigieren lassen. Die Fahrtrichtung umzukehren ist leider nicht möglich, was insbesondere bei den Nicht-Rundtouren praktisch wäre.

Rundgang durch die Kunstakademie. Stream of consciousness

Hoppla, ist das nicht Herr M.? Na, besser nicht ansprechen. Ich würde länger brauchen, um zu erklären, wer ich bin, als wir uns was zu sagen hätten. Gut, er geht in eine andere Richtung. Aber ich bin gewarnt. Bestimmt werde ich hier noch jemanden treffen, den ich wirklich kenne. Bin mal gespannt, wen. Heiligemariamuttergottes, der Stieleke! Den sprech ich auch nicht an. Ah nee, er ist es gar nicht. Was ist denn das hier, da hat jemand eine Art Netz aus an zwei Seiten aufgeschlitzten Fensterumschlägen gewoben. Wie ideesam und schön! Sind viele von ING dabei, wahrscheinlich selbst empfangen und gesammelt. Eigentlich schade, dass ich nicht auch was Künstlerisches studiere – das bietet so viele Möglichkeiten, im Alltag seiner Kreativität zuzuarbeiten. Und diese hohen Ateliers – toll! Was haben wir denn hier *reinlatsch*, vier Holzbalken als Rauminstallation. Mist, da sitzt ja die Künstlerin am Eingang. Gleich, wenn ich mich umdrehe, darf ich kein zu abschätziges Gesicht machen. Und nicht zu schnell gehen. Wobei, das ist ja lächerlich jetzt, was schreite ich so bedächtig, hier gibt es ja wirklich nichts zu sehen. Ach so, das waren Kunstwerke von vier verschiedenen Kunststudenten hier drin! Na klar, für eine Person wäre es auch ein bisschen viel gewesen. Trägt ja auch jeder Holzbalken seine eigene unverwechselbare Handschrift. Haha. Im nächsten Raum beim Reinkommen auch zunächst Plunder, aber das hier, das ist ja geil, das spricht sofort zu mir: Eine mittelgroße einstellige Anzahl von Holzstühlen, zersägt und dysfunktional, aber formschön neu zusammengesetzt. Eine Etage drüber wird es richtig, richtig geil – eine Installation aus geschundenen, ihrer Natur beraubten Kreaturen. So eine gut gemachte Darstellung der totalen Perversion des Lebens habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Der Erschaffer des Ganzen, das mutierte Skelett da, das da Frankenstein spielt und gerade ein so übel zugerichtetes Kleintier seziert – woraus ist das wohl modelliert -, dass die Art nicht mehr zu erkennen ist, ist die vermonstertste Kreatur von allen. Und das mit so einfachen Mitteln wie Staubsaugern und Schaufensterpuppen. Hier der Kerl da vorne, der PU-Schaum sieht aus wie Kotze oder wie rausrinnende Gehirnmasse. Und wie alles laborhaft und doch extrem schmuddelig wirkt – der speckige Teppich, die Geräte an den Wänden, der Erlenmeyerkolben neben dem ungespülten Rotweinglas. Sehr gut gemacht! David Wagner heißt der Künstler, leider schüchtern, hat keine Handynummer auf die Kontaktliste am Eingang geschrieben, nur eine E-Mail-Adresse, die man nicht lesen kann und die er sich mit seinen Eltern zu teilen scheint. So weit von meiner Lebenswirklichkeit entfernt. Aber wonach sollte ich ihn auch fragen – nach dem Preis des Kunstwerks? Vor dem nächsten Raum werden T-Shirts mit „I love my cunt“ verkauft. Gibt es drinnen also wieder Vulvalkunst (wie eben unten schon)? Nein, alle gemalten Menschen angezogen… doch, eine Zeichnung in der Ecke! Zwei fiese volksrepublikanische Funktionäre scheinen den Preis einer schwebenden Nackten auszuhandeln. Ich habe noch keine einzige Visitenkarte gesehen, dabei stand doch in der Zeitung, die jungen Künstler wollten vor allem mit Galeristen in Kontakt kommen. Ist aber nicht, die sind schon müde, sitzen im Gang, hören laut Musik, trinken und lachen. Im allerletzten Raum, den ich betrete, dann der einzige, der ungefragt seine Bilder zu erklären beginnt. Personalunion mit dem erwarteten unerwarteten Wiedersehen – Christoph erkannte mich gleich als Görresianer; hatte keine Ahnung, dass der an der Kunstakademie ist. Vierter Stock – die architektonische Entwicklung Düsseldorfs der letzten Jahrzehnte hat es mit niemandem so gut gemeint wie mit denen, die hier arbeiten. Die Landesversicherungsanstalt hat, von hier aus in der Dunkelheit gesehen, eine Zwiebelkuppel.

Pott

Ich komme aus Düsseldorf, das von Ortsfremden häufig „dem Pott“, also dem Kohlenpott, also dem Ruhrgebiet, zugeschlagen wird. Ganz unbegründet ist das nicht – Düsseldorf stößt direkt an des Ruhrgebietes Südkante und war der gleichen Industrialisierungswelle ausgesetzt, die das kohlenreiche Ruhrgebiet zu dem machte, wofür es bekannt ist. Dies allerdings insbesondere auch, was die weißkragigen Aspekte angeht (Verwaltungen von Thyssen, Krupp, Mannesmann, Wirtschaftsverbände, Messen) – man sprach vom „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.

Mir gefällt enorm, was das Ruhrgebiet in den letzten Jahren aus sich gemacht hat. Letztens war ich mal wieder im Landschaftspark Duisburg-Nord, bei dem tausend Bilder mehr sagen als ein paar Worte, gestern dann spazierte ich durch Oberhausen, an einer Turbinenhalle und einem Gasometer vorbei, die immer noch so heißen, obwohl dort jetzt abgedancet bzw. Kunst ausgestellt wird. Mein Ziel war diesmal nicht so industriehistorisch angehaucht, es war das Schloss Oberhausen mit der Ausstellung Deix in the City, die Werkschau einer wohl ganz großen Nummer im Malen menschlicher Schwächen.

Mir kommt es so vor: Manfred Deix‘ Karikaturen übertreiben die Realität und schaffen es dabei fast immer, nicht nur die Zustände zu verspotten, sondern auch die, die sich über die Zustände aufregen. Und zwar heftig. Immer hat man das Gefühl „Huch, wen wollte er damit letztlich aufspießen?“ Diese Doppelbödigkeit fand ich beachtlich, ansonsten fand ich’s soso lala, ein Humor, den seine Derbheit nicht immer zu voller Blüte treibt.

Wollte ich also eine Chance haben, am selben Tage noch richtig begeistert zu werden, müsste ich eine weitere Ausstellung besuchen, und ich wählte Radical Advertising im Düsseldorfer NRW-Forum. „Erwarten Sie bitte keine besonders originelle oder aufwändige Werbung“, wurde sinngemäß gewarnt, aber leider erst nach dem Eintritt. „Hier geht es um systemverändernde Werbung.“ Inwiefern die gezeigte Werbung systemverändernd war, erschloss sich mir nicht. Im ersten Teil gab es einzelne Beispiele für Guerilla- und virales Marketing – hier hat es ein Museum schwer, einen besseren Überblick zu verschaffen als z.B. scaryideas oder YouTube. Von einem radikalen Paradigmenwechsel, der der zeitgenössischen Werbung im Geleittext großspurig bescheinigt wird, ist jedenfalls nichts zu sehen. Dafür unterscheiden sich in Haltestellenwände eingelassene Riesensandalen dann doch nicht genug von Plakaten und zieht es nicht weit genuke Kreise, wenn ein Baumarkt sich mal den Spaß erlaubt, einen Netzkult um einen fiktiven Stuntman auszulösen.

Auch im zweiten Teil kein Paradigmenwechsel, jedenfalls kein kontemporärer: Gezeigt wird Schockwerbung (Benetton, natürlich, und Diesel) aus längst vergangenen Jahrzehnten. Mag ja sein, dass das damals systemverändernd war, aber irre ich, oder ist die Ironie in der Werbung eine Randerscheinung geblieben? Als drittes Thema ein bisschen Adbusting.

Insgesamt habe ich mich von diesem Sonntag denn aber doch gut unterhalten gefühlt. :-)

Skyline

Skyline Düsseldorf

Wenn man mal nur ein paar Tage lang nicht in Düsseldorf war und dann über die Südbrücke wieder reinfährt, kann man immer zählen, wie viele neue Wolkenkratzer sie in der Zwischenzeit aus dem Boden gestampft haben.

RWI-Haus

RWI-Hochhaus

Die RWI braucht Mieter, und mal ehrlich, wer könnte da widerstehen? Ihr neues Büro – weithin sichtbar mit psychedelischer Arbeitsatmosphäre und der Anti-Junkie-Beleuchtung, wie sie bis vor kurzem nur in darum von allen Büros glühend beneideten Bahnhofstoiletten zu finden war.