Geist und Materie

Ich hatte mich in dem Beitrag Hirnforschung und Willensfreiheit gefragt, ob es in dem Buch Hirnforschung und Willensfreiheit eher um das grundsätzliche Problem Determinismus vs. Willensfreiheit oder um das recht spezifische Problem des möglicherweise nicht fürs Handeln ursächlichen Bewusstseins geht. Die ernüchternde Erkenntnis: Es geht wild durcheinander. Statt die Unterscheidung anzusprechen, reden die Autoren öffentlichkeitswirksam aneinander vorbei.

Mein Groll gilt den Proklamatoren der plakativen These „es gibt keine Willensfreiheit“, wenn sie damit meinen, dass jeder Mensch letztlich – wie ein Tier, eine Pflanze, eine Maschine oder ein Stein auch – eine Ansammlung von sich bewegenden Elementarteilchen ist und sein Handeln daher keine anderen Ursachen habe als Naturgesetze und Zufall. Sie haben ja Recht! Naturgesetze und Zufall sind die beiden einzigen Arten von Ursachen, die wir kennen. Andere Ursachen zu behaupten ist entweder Leugnung der Naturgesetze oder metaphysische, also nicht überprüfbare, Deutung des objektiven Zufalls. Versteht man unter dem freien Willen also etwas, das weder an Naturgesetze noch an Zufall gebunden ist, so ist von vornherein klar, dass er nicht „existiert“. Die Definition ist schon absurd. Dieses philosophische Problem ist eigentlich längst gelöst. Es ist also ärgerlich, dass es in dieser ganzen Hirnforschungsdiskussion immer noch ständig im Wege herumgeistert.

Den Begriff des freien Willens mit einer sinnvollen Bedeutung zu füllen, dazu gibt es viele Ansätze, z.B. die bedingte Willensfreiheit. Allen brauchbaren Ansätzen ist gemeinsam, dass sie mit einer naturalistischen Erklärung menschlichen Handelns kompatibel sind. Und sie sind natürlich vage. Es könnte gar nicht anders sein, denn das Gehirn ist extrem komplex. Könnten wir die Zustände der Neuronen oder gar der Atome eines Gehirns genau und vollständig vermessen, könnten wir irgendwann vielleicht vollständige physikalische Kriterien angeben. Wir haben natürlich nicht die Technik dazu, so wie wir auch keine Raumschiffe haben, die mit Lichtgeschwindigkeit fliegen. Die präzisen Werkzeuge der Physik versagen angesichts der unbeherrschbaren Mengen an Beobachtungen und Daten. Um solche Fragen zu klären, brauchen wir die stumpferen, aber viel verwendbareren Werkzeuge von Wissenschaften wie Psychologie oder Philosophie.

Dass es aus praktischen Gründen keine Psychophysik gibt, ist manchen Philosophen nicht genug. So zum Beispiel Prof. Manfred Frank (Uni Tübingen, Zeit-Interview vom 2009-08-27), der diese meine Artikelserie ausgelöst hat. Er scheint von einem ebenso verzweifelten wie unsinnigen Wunsch beseelt, zu zeigen, dass es aus ganz prinzipiellen Gründen keine Psychophysik geben kann – keinen Zugriff der Naturwissenschaften auf Fragen wie: Hat Paula hier aus freien Stücken gehandelt? Empfindet Peter gerade Schmerz? Denkt Pia gerade an Pinguine? Nur weil wir die neurophysiologischen Bedingungen solcher Fragen nicht kennen, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Schmerz zum Beispiel ist ganz bestimmt nicht identisch mit der Reizung einer C-Faser, aber gewiss mit einer anderen, sehr kompliziert zu beschreibenden und praktisch unmöglich genau herauszufindenden Klasse von Hirnzuständen.

Schlechter noch fand ich, dass Frank die Hirnforschung dafür kritisierte, aus neuronalen Abläufen seien keine moralischen Normen ableitbar. Viele Philosophen in oben erwähntem Buch vertraten einen ähnlich diffusen Mystizismus, der im Ungefähren der nicht exakten Wissenschaften irgendwelche Normenquellen verstecken möchte. Sie möchten die Öffentlichkeit glauben machen, Gott habe irgendwo auf dem Forschungsgebiet der Philosophie des Geistes zwei Steintafeln versteckt und die Philosophen grüben eifrig danach. Finden möchten sie diese Steintafeln natürlich nie, denn wer bestimmt, was moralisch geht, solange sie ungefunden bleiben? Der Philosoph, der die überzeugendsten Vermutungen über den Inhalt der Steintafeln verlautbart. Da kann man natürlich nicht irgendwelche Naturwissenschaftler auf demselben Gebiet graben lassen. Die würden der Öffentlichkeit sagen, dass da keine Steintafeln sind und auch gar keine sein können. Moral ist schließlich vom Menschen gemacht. Nur leider haben sie manch einem Philosophen im Kindergarten den Unterschied zwischen deskriptiv und normativ nicht beigebracht.

2 Gedanken zu „Geist und Materie

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