Kinder, vertragt euch!

„Kinder, vertragt euch!“ Mit diesem Gestus wendet sich Jens Jessen in der aktuellen Zeit unter der Überschrift Das Netz gehört uns an „Digital natives“, „Digital residents“ oder „Internetenthusiasten“ auf der einen sowie „Digital immigrants“, „Digital visitors“ oder „Internetkritiker“ auf der anderen Seite. Er mag dabei nicht so recht zugeben, dass es diese beiden Lager gibt. Ich denke schon, dass es sie gibt, man sieht das doch an den politischen Konflikten, die immer häufiger zwischen ihnen auftreten, bei Themen wie Netzsperren, Leistungsschutzrecht oder Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Jessen jedenfalls meint, beide Seiten müssten nur ein paar falsche Vorstellungen aufgeben, dann würde man sich ganz schnell wieder vertragen.

Dabei stilisiert er uns Internet-„Einheimische“ zu dem uralten Klischee von unverbesserlichen Anarchisten, die wollen, dass im Netz überhaupt keine Gesetze gelten. Die das Netz zum – jetzt kommt der zum unerträglichen idiotischen Kampfausdruck verkommene Begriff – „rechtsfreien Raum“ erklären wollen. So lautet sein erster Appell:

Ein Minimum an Rechtsschutz, wie er sonst von Staaten seinen Bürgern garantiert wird, muss auch im Internet geboten werden. Wenn man sich darauf einigen könnte, und das heißt auch darauf, dass geistiges Eigentum nicht beliebigem Diebstahl ausgesetzt wird, wären viele Streitpunkte zwischen Einheimischen und Einwanderern beseitigt (die sich verständlicherweise um ihr Gepäck sorgen).

Wenn man sich darauf einigen könnte? Dass Gesetze auch im Netz gelten, darüber besteht längst Einigkeit. Dass irgendjemand ernsthaft die politische Forderung erheben würde, im Netz ungestört Kinderpornos gucken, zu Gewalttaten aufrufen, Verleumdungskampagnen durchführen und das Urheberrecht brechen zu dürfen, ist eine völlig absurde Vorstellung. Zum Beispiel das Urheberrecht wird stark respektiert in der digitalen Kultur, wie z.B. die Richtlinien der Wikipedia oder der De-Facto-Standard für ausdrückliches Erlauben, Creative Commons, zeigen.

Aber wir wehren uns, wenn neue Gesetze gefordert werden, die die internetbezogenen Probleme einzelner Lobbygruppen auf Staat, Gesellschaft und Internetprovider abwälzen (ACTA, Leistungsschutzrecht) oder für ein wenig hohle Symbolpolitik Freiheit und Demokratie empfindlich einschränken wollen (Netzsperren). So wie es Bürger/innen in einer Demokratie halt machen, wenn Dinge, die ihnen wichtig sind, zur Zielscheibe lobbyistischer oder populistischer Attacken werden.

Das sind nämlich die interessanten Konfliktlinien zwischen „Einheimischen“ und „Einwanderern“ des Netzes. Jessen lässt sie unerwähnt, deutet sie allenfalls an. Sein zweiter Appell:

Und zweitens, damit zusammenhängend, müsste akzeptiert werden, dass Informations- und Gedankenware höherer Qualität auch im Netz nicht umsonst zu haben sein kann. (…) Namentlich der Streit um die Dignität journalistischer Angebote im Netz würde erlöschen, wenn man neben dem Gratissektor ungeprüfter Qualität (…) auch einen honorarpflichtigen Sektor kontrollierter Nachrichtengüte etablieren könnte. Und wunderbarerweise (…) hinge ein solches Angebot ganz allein von der Zahlungsbereitschaft der heute noch missvergnügten Internetkritiker ab.

Dieser Schwadronade kann ich nicht folgen. Mangelnde Zahlungsbereitschaft bei den Internetkritikern ist wohl kaum das Problem, sondern die bisherige Unfähigkeit der Medien, Angebote zu schaffen, die Internetznutzer/innen Geld wert sind. Eine Frage von Angebot und Nachfrage, die erst da zum politischen Streitpunkt wird, wo Medienvertreter unverhältnismäßige politische Maßnahmen zur Sicherung ihrer Pfründe fordern (Leistungsschutzrecht).

Indem er die wesentlichen Konflikte unter den Tisch fallen lässt, schafft Jessen es, so zu tun, als gäbe es nur ein paar Dickschädel, die zur Einsicht kommen müssten, und zwar bei „Einheimischen“ wie „Einwanderern“ gleichermaßen. Ich halte dagegen: Wir „Einheimischen“ haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir wollen gerade keine regellose Netzparallelgesellschaft, sondern fordern die Einhaltung demokratischer Grundwerte in der digitalen wie in der analogen Welt. Es ist das Lager der „Einwanderer“, aus dem immer wieder netzbezogener Lobbyismus, Populismus und Maßlosigkeiten kommen, die, wenn man sie nicht verhindert, einzelnen kurzfristig nützen und langfristig allen schaden.

25 Gedanken zu „Kinder, vertragt euch!

  1. Poet

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    Obwohl es meiner Ansicht nach schon Angebote gibt, für die zu zahlen sich lohnt, nur ist der Preis, der verlangt wird, völlig unverhältnismäßig. Wenn ich die gesamten Proceedings einer Konferenz in Papierform für $35 pro Jahr kriege, für das pdf eines einzigen Artikels aber $12.50 zahlen muss, stimmt irgendwas nicht (Preisangaben von der CLS). Genauso in der Presse, wo das Druckerzeugnis insgesamt wohl um die 7 Euro kostet, man für einen einzigen kostenpflichtigen Online-Artikel aber zwischen 50 ct. und 2.50 Euro hinblättern muss (Angaben aus dem Kopf, von vor ein paar Jahren).

  2. DrNI

    Erst vor kurzem, heute stand es im schwäbigen Tagblatt, wurde ein Mann zu 12.000 Euro Bußgeld verurteilt, weil er seine Frau im Internet zur Vergewaltigung angeboten hatte. Über das Strafmaß mögen andere Urteilen (ich bin ganz froh, dass nicht Stammtische sondern Richter das in Deutschland tun) – aber das Beispiel zeigt, dass das Rechtssystem funktioniert. Auch im „rechtsfreien Raum“ (hust) Internet.

    Ansonsten: Zustimmung. Zum Beispiel kaufe ich keine Alben als MP3, weil ich sowohl mit dem Datenformat als auch mit der Qualität nicht zufrieden bin. (Nun bitte kein Glaubenskrieg über MP3, ich höre das einfach im Blindtest auf meinen Studioboxen, Punkt.) Stattdessen kaufe ich – und das paradoxerweise zu meist fast gleichem Preis – die Alben als CD und wandle sie in das von mir bevorzugte Datenformat um. Und das nicht, um sie anderen zu geben, sondern um sie auf meinen bevorzugten Abspielgeräten laufen zu lassen.

    Die wahre Angst solcher Schreiber rührt vermutlich aus der psychischen Tiefe:Wenn eine Meute wie die Wikipedianer zu diesem Preis (also keinem) hochwertige Information bieten können, was ist dann noch meine Daseinsberechtigung? Hätten Softwarefirmen ein ähnliches Forum wie Journalisten es in ihren Blättern haben, so hätten sie Open Source Software schon lange totgewettert. Gleiches Problem. Verlust einer Machtstellung führt zu natürlichem Unmut.

  3. Torsten

    Ach ja, „Die Zeit“ und das Web, nur eines von vielen Themen die mich dazu bewogen haben, die Zeit wieder abzubestellen.

  4. backslashvarphi

    Ich stimm‘ dem Tenor deines Eintrags zu so weit es die Kritik am stiefmuetterlichen „Wir muessen alle nur ein bisschen besonnen bleiben“ betrifft, aber an einem Punkt will ich widersprechen: bei der Beschreibung der Realitaet im Netz.

    [zitat] Dass irgendjemand ernsthaft die politische Forderung erheben würde, im Netz ungestört Kinderpornos gucken, zu Gewalttaten aufrufen, Verleumdungskampagnen durchführen und das Urheberrecht brechen zu dürfen, ist eine völlig absurde Vorstellung. [/zitat]

    Noe, ich denke schon dass ‚rechtsfreier Raum‘ nicht komplett verkehrt ist als Beschreibung des Internets. Genauer vielleicht: immer dann rechtsfrei, wenn moeglich (und die Wikimedia Foundation als Traeger von WP als ordentlicher Verein/Firma/was-auch-immer ist halt so ein Fall von „Hier geht’s leider nicht mit dem Ignorieren des Urheberrechts“), und wegen der praktischen Unverfolgbarkeit von kleineren bis mittleren Rechtsbruechen und den unterschiedlichen Rechtsnormen in den verschiedenen Laendern in weiten Teilen bestenfalls ueberzogen mit so etwas wie einer duennen Schicht aus Legalitaet.

    Gibt da ein m.E. sehr treffendes Zitat von Jerry Holkins (Penny Arcade), zum nicht identischen, aber verwandten Thema Software-Piraterie:

    „A centralized defense against piracy is also suggested, and things tend to go downhill quick after this. It is not a mischaracterization to say that conversations with the hardcore PC community about software theft follow these tenets:

    – There is no piracy.
    – To the extent that piracy exists, which it doesn’t, it’s your fault.
    – If you try to protect your game, we’ll steal it as a matter of principle.“

    *grinst* Erinnert mich ein wenig an die Verteidigungsstrategie „a) habe ich den Klaeger nicht ins Gesicht geschlagen, und b) hat er es ja wohl wirklich verdient!“

  5. ke Beitragsautor

    Das stimmt natürlich, aber ich habe gar keine „Beschreibung der Realität im Netz“ vorgenommen. Ich sprach davon, was von „den Eingeborenen“ – insofern man da überhaupt eine halbwegs einheitliche Stimme ausmachen kann – gefordert wird, und laute Forderungen nach Legalisierung von Raubkopien höre ich eher selten. Man weiß natürlich nicht, wen Jessen mit „die Eingeborenen“ genau meint, aber ich fühlte mich angesprochen und verkannt.

  6. stefan

    „Ich sprach davon, was von „den Eingeborenen“ – insofern man da überhaupt eine halbwegs einheitliche Stimme ausmachen kann – gefordert wird“

    Also wissen das die „Eingeborenen“ auch, was du in ihrem Namen da angibst. ich kann dir zig‘ Foren im netz zeigen, wo Leute mienen, sich mit mehr oder wneiger sinnvollen Argumenten über geltendes urheberrecht hinwegsetzen zu können.

    Ich kann dir ebenfalls Foren und Blogs zeigen, in denen Ein Bezahlmodell von Presseangeboten und anderen inhalten auch immer wieder prinzipiell kritisiert wird. Insofern finde ich Jessens Vrstoss sinnvoll.

    Ach ja, ein Thema noch zum seitenhieb „Rechtsfreier Raum“. Was immer vergessen wird ist, dass sich dieser begriff nicht auf die prinzipielle Existenz von Regeln bzeiht, sondern auf die Durchsetzbarkeit dieser regeln. und die ist da in wesentlichen bereichen (Urheberrecht, Jugendschutz, Persönlichkeitsrecht, etc…) doch schon ziemlich löchrig.

    @backlashvarpi
    Das Penny Arcade Zitat ist klasse. :-)

  7. ke Beitragsautor

    Ja, zeig mir doch mal so’n paar Blogs. Ich kenne sie nicht. :)

    Unter „die Eingeborenen“ verstehe ich keine anonymen Forennutzer oder Kommentatoren. Es sollten Blogposts von identifizierbaren Personen sein, Piratenparteiprogramme oder so etwas.

    Kann natürlich – siehe meinen einschränkenden Hinweis im letzten Satz meines vorigen Kommentars – sein, dass Jessen Nicknames und ihre Äußerungen als legitime Vertreter der „Netzöffentlichkeit“ ansieht und sich an ihnen abarbeitet, statt sich mit relevanten, weil nicht anonymen Beiträgen zur Debatte zu befassen. Das wäre meiner Ansicht nach ein Fehler, übrigens ein typischer Fehler der „Einwanderer“-Medien. Mit Nicknames und den Meinungen, die unter ihnen irgendwo gepostet werden, lässt sich meinem Gefühl nach kein Diskurs führen. Sie zu zitieren ringt mir regelmäßig nur Schulterzucken ab.

  8. stefan

    LOl. Willst du damit alle Kommetare, die anynym gemacht werden damit als gegenstandslos darstelen?

    In der Tat schweben mir die üblichen foumsäusseurngen in foren wie http://www.gulli.com, http://www.heise.de, http://www.carta.info (da häufig Texte mit Namensnennungen) vor. Die Liste lässt sich erweitern.

    „Unter „die Eingeborenen“ verstehe ich keine anonymen Forennutzer oder Kommentatoren.“

    Nun, da liegt dann wohl der Hase im Pfeffer, denn das ist dein persönlicher Ausschluss, den sowohl Jessen als auch meikne Wenigkeit nicht teilen.

    Der Schluss, dass anonyme Kommentare prinzipiell gegenstabdslos werden ist echt abenteuerlich. Das träfe dann übrigens auch auf deinen eigenen Kommentar ebenfalls zu.

    Aber das Thema welches du anreisst ist trotzdem spannend: Sollten anonyme Willensäusserungen im NNetz prinzipiell wneiger oder gar keine Relevanz haben als nicht-anonyme?

    Diese These würde die Forenkultur allgemein wohl gehörig „aufmischen“. Ich halte den rückschluss: „Nicht repräsentativ, weil anonym“ für kaum haltbar.

    Gruß,

    Stefan

  9. ke Beitragsautor

    Nein, nicht gegenstandlos. Lass es mich so formulieren: Anonyme Kommentare sind recht weit davon entfernt, in die, wie es so schön heißt, politische Willensbildung einzugehen. Womit sich Jessen m.E. an einer solchen Stelle auseinandersetzen sollte, sind nichtanonyme Blogbeiträge v.a. im Umfeld etablierter „Einheimischenmedien“ wie netzpolitik.org, Wahlprogramme wie das der Piratenpartei, Petitionstexte etc. In einem Feuilletonartikel in dieser Weise auf anonyme Kommentare einzugehen würde sie m.E. mächtiger und gefährlicher erscheinen lassen, als sie sind. Ob Jessen das tut oder öffentlicheren Wortführern der „Einheimischen“ Gesetzlosigkeitsparolen unterstellt (ich behaupte mal, du weißt es ebensowenig wie ich, es steht einfach nicht drin im Artikel, wen er denn jetzt konkret meint), das Ergebnis ist dasselbe: Die gesamte Netzkultur erscheint gefährlicher für die bestehende Ordnung, als sie ist.

    Ich habe übrigens keinen abenteuerlichen „Schluss“ gezogen, sondern versucht, mein subjektives Empfinden in Worte zu fassen.

  10. ke Beitragsautor

    Danke für den interessanten Link, auch wenn er nicht viel mit dem Thema zu tun hat! :)

  11. Fraiche

    Nicht mit dem Thema des Blogposts, sondern mit der Kontroverse „anonym vs. Realname“. Der „trusted commenter“ steht hier in der Mitte:

    Einerseits ist er anonym, aber seine Beiträge haben Qualität und sind relevant (pro stephan). Andererseits hat er durch mehrfache solche Kommentare und deren inhaltliche Position eine Quasi-Persönlichkeit (oder Marke) aufgebaut. Diese dürfte er nicht leichtfertig durch Kommentarmüll zerstören wollen, und sie macht ihn wiedererkennbar, man kann seine Meinung einem Hintergrund zuordnen (pro ke, es sei denn er besteht auf der juristisch dingfest zu machenden Autorenpersönlichkeit).

  12. stefan

    Ich würde gerne darauf hinweisen, dass ke eigentlich den Text von Jessen wegen eines Ausschlusskriteriums verwirftt, dass er selbst geschaffen hat, und dass der Autor (und auch Forenteilnehmer) augenscheinlich nicht teilen. In Jessens Text geht es nicht darum, ob die Kommentatoren anonym sind oder nicht, es geht im doch um etwas komplett anderes.

    Das sagt also im Endeffekt nichts über den Text an sich aus, und schon garnicht über das, was Jessen eigentlich sagen wollte. Ke darf zwar darauf hinweisen, dass Jessen nicht genau definiert auf wen er sich bezieht, aber das ist ja kaum die Kernthese des Textes. Insofern muss man dieses Verfahren von Jessen akzeptieren, und sollte sich vielleicht auf die kernthese des Textes konzentrieren. Ansonsten verfhelt man das eigentliche Thema des Textes.

    Gruß,

    Stefan

  13. ke Beitragsautor

    @Fraiche: Ach so. Ja. Ich hatte dich missverstanden und gedacht, du bezögest dich mit „Wahrheit“ auf den stefan-ke-Disput.

  14. ke Beitragsautor

    @stefan: Ich stimme dir zu: Um anonym vs. nicht anonym geht es hier nicht. Meine Kritik an Jessens Artikel bleibt bestehen, wie in meinem dritten Kommentar begründet. Auf diesen Kommentar bist du entweder nicht eingegangen oder ich habe dein Eingehen darauf nicht verstanden. Kannst du meinem Standpunkt jetzt etwas mehr abgewinnen?

  15. stefan

    Sorry, aber auch in deinem dritten Kommentar „verwirfst“ du die MEinung der anonymen Mehrhgeit. Darum ging es Jessen nicht.

    Ausserdem glaube ich prinzipiell, dass Anonyme Äusserungen doch sehr wertvoll sind, denn sie zeichnen ein ungeschminktes Stimmungsbild. Natürlich kann man mit Anonymen keine ausgewogene Diskussion führen, aber wenn ein Mob „Hängt Ihn Auf“ schreit, dann sollte man auch diese Willensäusserung nicht als irrelevant verwerfen, weil man die Sender nicht kennt.

    Und wie gesagt, du gehst immer noch am Kern von Jessens text vorbei.

    Stefan

  16. ke Beitragsautor

    Ich verstehe deinen Einwand nicht. Du wirfst mir vor, nicht zu erkennen, worum es Jessen geht, und den Kern von Jessens Text zu verfehlen. Dabei sagst du erstens selbst nicht, worum es Jessen deiner Meinung nach geht und was deiner Meinung nach der Kern seines Textes ist. Und zweitens wüsste ich nicht, warum das überhaupt eine Rolle spielen sollte. Ich habe nicht Jessens Text analysiert, sondern ein Detail dargelegt, das mich an dem Text stört. Auf den Kern des Textes habe ich gar nicht gezielt.

    Besonders unverständlich finde ich deine Formulierung „Darum ging es Jessen nicht.“ Worum ging es ihm nicht? Die Meinung der anonymen Mehrheit zu verwerfen? Meinst du damit: „Jessen ging es um die Meinung der anonymen Mehrheit“? Das ist eine Behauptung, für die du immer noch kein Argument angeführt hast. An den wenigen Stellen, wo Jessen konkret wird, nennt er keine Stimmen aus Foren oder Blogs, wie es viele Journalisten eigentlich gern tun, wenn sie irgendeine krasse Volksmeinung belegen wollen, dafür aber gleich zweimal den Kongress re:publica, wo die Referent/inn/en alles andere als anonym sind.

    Einverstanden: Anonyme Äußerungen sind auch relevant. Recht bedacht möchte ich gar nicht so sehr zwischen „anonym“ und „nicht anonym“ unterscheiden, sondern zwischen dem „Mainstream der Meinungen“ und „Abseitigem“, zu letzterem zähle ich nicht nur Forenbeiträge, sondern etwa auch Kneipengespräche oder Einzelmeinungen bestimmter Philosophen, etc. „Abseitig“ meine ich nicht abwertend. Den Unterschied zwischen „Mainstream“ oder „Abseitigem“ sehe ich halt darin, dass der „Mainstream“ in der Öffentlichkeit, in den großen Medien, auf Parteitagen und Kongressen bereits eine solche Virulenz erreicht hat, dass ein Feuilletonartikel sich mit diesen Meinungen auseinandersetzen kann, ohne konkret zu nennen, wer sie vertritt. Jessen setzt sich mit Meinungen ungenannter Quelle auseinander, die ich für so virulent nicht halte.

    Zum Beispiel unterstellt er ziemlich abwegig: „Enthusiasten und Kritiker(…) erwarten vom Internet den Untergang der alten Welt. In der neuen Welt aber, so hoffen es die einen und so nehmen es die anderen mit vorauseilender Verzweiflung hin, würden sich die Persönlichkeits- und Menschenrechte ohnehin erledigen.“ Damit diskreditiert er auch die vielen Internetaffinen, die sich aufrichtig für eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft einsetzen, und daran stoße ich mich.

  17. stefan

    Ich sehe das nicht so. Jessen denkt nur zuende, was denn die ganzen forderungen nach einem neuen, nicht gestalteten Urheberrecht denn so implizieren.

    Sie implizieren, dass sich eine Netzkultur, die nihre meinung mittlerweile für die Mehrheit hält, weil sie diese Diskussionen größtenteils in einer abgeschotteten Grppe tätigt, nicht realisiert, dass sie nicht repräsentativ sind. Hierfür ist es unerheblich, ob diese Meinungsäusserungen anonym oder deanonym sind.

    Sie realisieren auch nicht, dass – und das liegt ja in dem von dir zitierten Abschnitt drin – dass ein Verzicht auf exklusivität im Urheberrecht wie es derzeit häufig gefordert wird, auch ein verzicht auf Jugendschutz, Persönlichkeitsrechtsschutz wäre.

    Damit diskreditiert er niemanden (die Behauptung stellst du auf), er sagt lediglich: Wenn wir Urheberrechte aufgeben – mit dem Argument, dass wir sie angeblich nicht mehr durchsetzen können- dann werden auch ganz andere Rechtsgüter hier tangiert. er sagt nicht – zumindest lese ich das nicht heraus – dass dies repräsentative Meinung der Netzkultur äre, aber er sagt, dass diese entscheidung nicht nur in abgeschirmten Zirkeln kommunizierende Netzkulturvertreter zu vertreten haben, sondern die gesamte Gesellschaft. Das Netz gehört UNS.

    In der Tat nennt er wenig Quellen, aber ich stimme mit ihm überein, dass die Mehrzahl der Netzkulturvertreter das Urheberrecht zum Beipsiel in seiner derzeitigen form „kippen“ wollen, und dabei komplett verkennen, dass sie nicht für doie Gesamtgesellschaft repräsentativ sind.

    Gruß,

    Stefan

  18. backslashvarphi

    *lacht* Aehm, ich weiss, ich riskier hier gerade etwas was sehr dem Versuch aehnelt zwei Hunden die sich um ’nen Knochen balgen selbigen zu entreissen. Aber trotzdem: Darf ich die Kontrahenten an den Titel dieses Eintrags erinnern?

  19. stefan

    Ich glaube du liest da eine Aggressivität in unsere Beiträge rein, die nicht vorhanden ist.

    Ich bin derzeit auf jedne fall in der „vetragen“ Stimmung, wüsste auch nicht, warum nicht.

    Stefan

  20. ke Beitragsautor

    Da stimme ich dir völlig zu, stefan. :) Zumal wir ja unsere Differenzen ja jetzt so ziemlich reduziert haben auf unterschiedliche subjektive Einschätzungen und Empfindungen gegenüber Jessens Bild von den „Einheimischen“. Ich bin mir mittlerweile nicht mehr so sicher, ob ich mich von Jessen angegriffen fühlen sollte – es gibt halt verschiedene mehr oder weniger abgeschirmte Zirkel von „Einheimischen“, und nicht jedem davon fühle ich mich verbunden.

    Ein anderes Thema: Was meinst du mit „Exklusivität“ im Urheberrecht und warum denkst du, dass ein Verzicht darauf Verzicht auf Jugendschutz und Persönlichkeitsrechtsschutz wäre?

  21. stefan

    „Ich bin mir mittlerweile nicht mehr so sicher, ob ich mich von Jessen angegriffen fühlen sollte – es gibt halt verschiedene mehr oder weniger abgeschirmte Zirkel von „Einheimischen“, und nicht jedem davon fühle ich mich verbunden.“

    Also stimmst du Jessen vom Prinztip her zu, auch wenn du seine Interpretation von digitaler Öffentlichkeit nicht teilst?

    „Ein anderes Thema: Was meinst du mit „Exklusivität“ im Urheberrecht und warum denkst du, dass ein Verzicht darauf Verzicht auf Jugendschutz und Persönlichkeitsrechtsschutz wäre?“

    „Exklusivität“ = Ausschließbarkeit. Soll heissen, das hertsellen einer Situation in der jemand, der eine Leistung anbietet, diese Leistng so anbieten kann, das jemand anders nur unter den von ihm festgelegten Konditionen drauf zugreifen kann.

    Derzeit ist eine weit verbreitete Argumentation, dass man ein alternatives Urheberrecht zum Beispiel das Modell der Kulturflatrate nicht mehr vermeiden kann, weil das „alte Urheberrecht“ im Netz nicht ohne großen Kollateralschaden durchsetzbar sei.
    Ich wolte lediglich sagen – und so verstehe ich auch Jessen – dass, wenn man dieser Argumentation folgt, man auch die Konsequenzen dessen tragen muss. denn Kollateralschaden durch „unreglementierte Inhaltedistribution“ hört ja beim Urheberrecht lange nicht auf.

    Dann können wir auch Jugendschutz und Persönlichkeitsrechtsschutz aufgeben, zum Beispiel.

    Gruß,

    Stefan

  22. ke Beitragsautor

    Also stimmst du Jessen vom Prinztip her zu, auch wenn du seine Interpretation von digitaler Öffentlichkeit nicht teilst?

    Ich stimme ihm nicht in allen Punkten zu, dem Grundtenor des Artikels aber schon, insbesondere der zentralen Aussage: „Um die Gestalt und die Möglichkeiten des Netzes streiten sich Menschen. Das ist ein politischer Streit, und er muss politisch geführt werden.“

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