So mancher, der in eine Ära materiellen Wohlstands hineingeboren wurde, hat sich über die Alten gewundert, die im Krieg jung gewesen waren und nun Zeit ihres Lebens fettem und reichlichem Essen zusprachen, als gölte es Kalorien für die nächste Hungersnot zu horten. Meine Generation hierzulande heutzutage wächst in einer Ära auf, in der nicht nur Essen, sondern auch Information im Überfluss vorhanden ist. Ich bemerke vereinzelt, wie mir das Horten von Büchern und Dokumenten, wie ich es in der Generation meiner Eltern sehen kann, fremd ist. „Sohn, handle klug und vorausschauend! Wenn du in einem halben Jahr jederzeit in der Lage sein möchtest, etwas mit F nachzuschlagen, dann sieh zu, dass du jetzt eine Enzyklopädie abonnierst, die bis dahin zu dem Buchstaben vorgedrungen ist!“ – „Ach, Papa, wenn ich dann was nachschlagen muss, gucke ich einfach im Internet.“ Wenn man eine ganz steile These draus drechseln möchte, kann man sagen, dass das Internet beim Übergang von einer Haben-Gesellschaft zu einer Seins-Gesellschaft helfen kann. Der Kampfbegriff Internet-Ausdrucker wird hauptsächlich gegen Leute gerichtet, die das Internet nicht verstehen, aber trotzdem darüber bestimmen wollen. Er drückt aber meiner Empfindung nach auch die Verachtung über eine obsolete Geisteshaltung aus, nach der sich Information besitzen lässt und gierig gehortet werden sollte. Anstatt dass man ihr einfach freien Fluss ermöglicht und sich darauf verlässt, dass man online finden wird, was man braucht, wenn man es braucht, wie die Luft zum Atmen.
Archiv des Autors: Kilian Evang
Schoko-Enten
In Frankfurt an der Oder gibt es einen Optikerladen, dessen Schaufenster viele gelbe und einige schwarze Badeenten aus Kunststoff schmücken. Ein Gewinnspiel für Kinder lädt dazu ein, die „Schoko-Enten“, die sich in der Auslage „versteckt“ haben, aufzuspüren und zu zählen. Wenn man nicht stets von jedem das Beste annähme und seine Vorurteile über Ostdeutschland nicht im Griff hätte, könnte man das ein wenig bedenklich finden.
Genieße die Kommandozeile
Jede Woche lade ich mir die gesprochenen Artikel von Zeit Audio herunter und lade sie auf mein Handy. Für die Zwischenschritte (entpacken, Jingles wegschneiden, ID3-Tags anpassen, zur Audiobibliothek hinzufügen) habe ich ein Skript geschrieben – wie ich finde, ein schönes Beispiel dafür, wie sich wiederkehrendes lästiges Geklicke mit Hilfe von Kommandozeilentools durch einen einzigen Befehl ersetzen lässt.
#!/bin/bash # Remove directories for uncut and cut MP3s: rm -rf $HOME/Downloads/za rm -rf $HOME/Downloads/cutza # Unzip MP3s from most recent archive: unzip $(ls $HOME/Downloads/Audiofiles_DIE_ZEIT_*.zip | sort | tail -n 1) \ -d $HOME/Downloads/za # Remove the stupid jingle from the beginning: mp3splt -d $HOME/Downloads/cutza $HOME/Downloads/za/*.mp3 0.7 EOF # Make "Artist" tag the same on all files, otherwise iOS 4 won't show them # as one album: id3v2 --artist "DIE ZEIT" $HOME/Downloads/cutza/* # Add them to the Rhythmbox library: rhythmbox-client $HOME/Downloads/cutza/*
Manuell ist nur noch das Herunterladen und das Übertragen von Rhythmbox aufs iPhone – auch das ließe sich mal automatisieren, bräuchte aber etwas mehr Zeit als die obigen Zeilen.
Lieblingswörter (6)
Was bisher geschah: Schöne Wörter, Lieblingswörter, Lieblingswörter (2), Lieblingswörter (3), Lieblingswörter (4), Lieblingswörter (5).
Das Wort heimsuchen ist ein besonderes Wort für besondere Anlässe. Ich verwende es gerne in den seltenen Fällen, in denen sich eine gemeinsame Arbeit nicht per Internet oder Telefon erledigen lässt und es erforderlich wird, jemanden in dessen eigenen vier Wänden aufzusuchen: „Sobald ich das Formular habe, suche ich dich damit heim, dann können wir es beide unterschreiben.“ Tut es mir gleich, und das Wort wird seinen negativen Beiklang verlieren.
Verwandt ist heimleuchten, schön, weil ein eigenes Wort für eine sehr spezielle Tätigkeit. Zumindest heute, im Zeitalter des elektrischen Lichtes, ist seine ursprüngliche Bedeutung nicht mehr gerade alltäglich. Mitunter kommt es aber auch heute noch vor, dass jemandem heimgeleuchtet wird, meist mit einem Handy-Display.
Viel lieber als das üblichere Synonym gelingen mag ich das etwas altertümliche Wort glücken – vielleicht, weil das zufriedene Glucksen schon mit anklingt. Hätte ich Einfluss darauf, wie im deutschen Sprachraum Logikprogrammierung gelehrt wird, würden Ziele (goals) stets glücken (succeed) oder missglücken (fail). Ich weiß gar nicht, wie man auf Deutsch sagt. Wo wir gerade bei Programmierung sind: An dem Wort Arglist mag ich unter anderem, dass es als Abkürzung von argument list auftritt.
Reguläre Ausdrücke im Alltag (1)
Die Bürozeiten oder die Telefonnummer von Herrn /Eck(e?h)?ar(dt?|t) Sauer/ zu finden ist immer wieder eine kleine Herausforderung.
Irrealis im Alltag
Drei Radfahrer (A, B und C) kommen an eine rote Fußgängerampel. A fährt einfach darüber. Von rechts kommt ein Auto und bleibt auf der Linksabbiegerspur stehen. Angesichts dessen bleiben B und C auch stehen.
B: Wenn man jetzt nicht wüsste, dass, wenn man jetzt einfach losführe, der sofort grün kriegen würde, könnte man’s ja machen.
Während B noch spricht, kriegt das Auto grün und fährt weg, dann kriegen die Radfahrer grün und setzen sich in Bewegung.
C: Was?
B: Wenn man jetzt nicht gewusst hätte, dass, wenn man jetzt einfach losgefahren wäre, der sofort grün gekriegt hätte, hätte man’s ja machen können.
Netzneutralität – keine Selbstverständlichkeit
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Noch vor Kurzem kämpfte die internetaffine Gemeinde in Deutschland erbittert gegen ein Gesetz, das Internetzugangsanbietern (ISPs) ein Stück weit vorschreiben sollte, wie sie ihren Job zu machen haben: das Zugangserschwerungsgesetz, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit, schlecht mit dem Banner des Kampfes gegen Kinderpornografie bemäntelt, getragen auf den Flügeln stumpfsinnigsten Aktionismus. Leider hat man damals auch immer wieder die pauschale Forderung gehört, der Staat habe sich gefälligst aus dem Internet herauszuhalten, es regele sich besser selbst. Solche Forderungen waren nicht nur wohlfeile Munition für – ich überspitze – böswillige Internetausdrucker etwa bei Zeit und bei Emma, sie stellen sich jetzt auch als Bumerang heraus.
Denn dieser Tage kämpft die internetaffine Gemeinde in Deutschland erbittert für ein Gesetz, das ISPs ein Stück weit vorschreiben soll, wie sie ihren Job zu machen haben: eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. Netzneutralität ist bisher schlicht deswegen gegeben, weil bis vor Kurzem noch kein ISP auf die Idee gekommen war, es anders zu machen. Diesmal setzen wir uns also nicht gegen ein Gesetzesvorhaben zur Wehr, sondern wir fordern eins ein. Diese Erkenntnis ist wichtig für den Feinschliff unserer Argumente. Bei einigen der werten internetaffinen Mitstreiter scheint sie noch nicht angekommen zu sein. Ich greife wahllos den Kommentar von Mitzeichner 3083, Torsten Bolz, heraus:
Es ist wirklich ärgerlich, sich für Selbstverständlichkeiten einsetzen zu müssen.
Nein, eine Selbstverständlichkeit ist die Netzneutralität eben nicht. Sie ist bisher nichts gesetzlich Garantiertes, sondern etwas historisch Gewachsenes. Meiner Ansicht nach ist sie aber eine obzwar eher zufällige, so doch große Errungenschaft für die Demokratie: Alle können Sender sein, und alle senden gleichberechtigt. Diese Errungenschaft zu verlieren fände ich äußerst schmerzhaft, vor allem angesichts drohender Oligopolisierung von Nachrichten-, Meinungs- und Wissensangeboten. Deswegen finde ich es nötig, die Netzneutralität durch ein Gesetz zu schützen. Denn wäre es nicht nötig, ein solches Gesetz zu machen, wäre es nötig, kein Gesetz zu machen.
Ich habe die Erklärung der Initiative Pro Netzneutralität! also mitunterzeichnet, obwohl ausgerechnet der erste Satz völlig verunglückt ist:
Ein freies Internet ohne staatliche oder wirtschaftliche Eingriffe ist Garant für freien Meinungsaustausch weltweit und damit die direkte Ableitung des Rechts auf Meinungsfreiheit.
Das ist gleich dreifach Quatsch: Einen staatlichen Eingriff fordern wir ja gerade und wirtschaftliche Eingriffe sind die Voraussetzung dafür, dass es das Internet (jenseits seiner akademischen Ursprünge) überhaupt gibt. Es kömmt auf die Art dieser Eingriffe an. Ein Garant für freien Meinungsaustausch weltweit ist die Netzneutralität noch lange nicht, gemeint ist wohl „Voraussetzung“, und selbst das scheint mir übertrieben. Und aus dem Recht auf Meinungsfreiheit lässt sie sich nicht ableiten, schon gar nicht direkt. Nicht alles, was gut ist, ist ein Menschenrecht. Muss man immer gleich so maßlos übertreiben und bullshitten, wenn man irgendetwas durchkriegen will? Vielleicht schon.
Fragmente (7)
A: Was mach ich hier eigentlich gerade?
B: Einen Paradigmenwechsel vollziehen.
A: Ach so.
Zwei Papiertüten
Als ich um fünf vor zwölf in den REWE rausche, stellt sich mir die schwarz gekleidete Sekuritärin in den Weg, eine Schrankwand von einer Frau. „Eingang ist da!“ Aus der üblichen Geistesabwesenheit gerissen und jäh in eine soziale Situation geschubst reagiert mein Stammhirn autark und hält auch diesmal wieder eine Überraschung für mich bereit, nämlich ein Welpengesicht und einen leicht bettelnden Tonfall: „Ich muss nur zwei Papiertüten kaufen, wär das okay, wenn ich eben hier rein gehe?“ Slightly off, wenn man bedenkt, dass es nicht an sich darum geht, einen Umweg zur Kasse zu vermeiden, sondern darum, mein Gesicht zu wahren. Wahrscheinlich wirke ich wie auf Drogen, aber mein Argument zieht. Die Pointe entfällt.
Nackt
Alle, die online T-Shirts verkaufen, machen den gleichen Witz. Threadless, Dinosaur Comics und jetzt sogar Katz+Goldt:
Bildquellen: Ciao, TopatoCo, Katz+Goldt-Newsletter von spreadshirt.net vom 28.07.2010.