Musikfolgen

Heute sinniere ich darüber, wie Medienabspielgeräte nach dem Abspielen eines Tracks entscheiden, welchen Track sie als nächsten abspielen.

Bei Tonbändern und Schallplatten war das einfach: die physische Anordnung der Tracks auf dem Medium legte die Reihenfolge fest. Das Abspielgerät hatte nichts zu entscheiden. Es wusste noch nicht einmal, wenn ein Track zu Ende war.

CD-Player behielten normalerweise die Konvention bei, Tracks ihrer physischen Reihenfolge entsprechend abzuspielen. Aber sie fügten mit der Program-Funktion die Möglichkeit hinzu, die Menge der abzuspielenden Tracks auf eine frei zu bestimmende Untermenge der auf der CD enthaltenen Tracks zu reduzieren, und das ging mit einer frei bestimmbaren Reihenfolge einher. Sie kannten also das Konzept der Playliste. Ebenso kannten sie die Shuffle-Funktion, bei der der nächste abzuspielende Track nicht durch seine Position auf der CD bzw. auf der Playliste, sondern zufällig ausgewählt wird, wobei aber in der Regel jeder nicht manuell unterbrochene Abspielvorgang jeden Track auf der CD bzw. der Playliste genau einmal beinhaltet.

In Software implementierte Medienabspielgeräte zeichnen sich gegenüber den CD-Playern wiederum durch die Vielzahl der gleichzeitig verfügbaren Playlisten aus, z.B.: die gesamte MP3-Sammlung, manuell gepflegte Playlisten, automatisch gepflegte Playlisten je nach Künstlerin, Album, Genre usw., sowie Suchergebnislisten. Dabei kann jeder Track Element beliebig vieler Playlisten sein. Wählt die Benutzerin einen Track zum Abspielen aus, merkt sich die Abspielsoftware in der Regel nicht nur, welchen Track sie ausgewählt hat, sondern auch, aus welcher Liste (d.h. über das GUI-Element, das diese Liste repräsentiert) sie den Track ausgewählt hat. Diese Liste wird zur „aktuellen“ Playliste und damit für die Auswahl des nächstabzuspielenden Tracks maßgeblich. Wie gehabt wird dabei der auf der Playliste dem aktuellen Track nachfolgende bzw. ein zufälliger Track von der Playliste ausgewählt, je nach dem, ob der Shuffle-Modus an ist.

Auch spontanen Launen der Hörerin zu genügen, dazu ist die Warteschlange da. Hierbei handelt es sich um eine spezielle, von der Hörerin jederzeit frei bearbeitbare, flüchtige Playliste, die, falls sie nicht leer ist, beim Auswählen des nächsten Tracks der aktuellen Playliste vorgezogen wird, wobei dann der ausgewählte Track automatisch aus der Warteschlange gelöscht wird. So kann die Hörerin spontane Hörwünsche schnell erfüllen, ohne die aktuelle Playliste zu verlassen und somit ohne sich um die Fortdauer der Berieselung sorgen zu müssen. In einer besonders geistesgesunden Variante dieses Sytems ist die Shuffle-Funktion bei der Auswahl eines Tracks von der Warteschlange unerheblich; die Warteschlange wird dann immer ihrer Reihenfolge entsprechend abgearbeitet. So jedenfalls ist es z.B. in Rhythmbox designt und implementiert.

Und so ist es möglich, sich inmitten eines ernsthaften Albumdurchhörens oder inmitten einer zufallsgeleiteten Kreuzfahrt durch die gesammte Musiksammlung im laufenden Betrieb und ohne einen Klick oder einen Gedanken mehr als nötig kleine Pausen einzurichten, die ganz bestimmte, spontane Musikjieper befriedigen.

Und dann gibt es Google Play Music. Google Play Music versucht ohne das Konzept der „aktuellen Playliste“ auszukommen und bürdet deren Aufgabe der Warteschlange mit auf. Bei Anwahl eines Tracks werden alle Tracks auf der Playliste, aus der heraus er angewählt wird (z.B. die gesamte Musiksammlung oder ein Album), automatisch der Warteschlange hinzugefügt.

Dies geschieht entweder in der Playlisten-Reihenfolge oder durcheinandergewürfelt, je nach dem, ob im Moment des Anwählens der Shuffle-Modus aktiviert ist. Es ist nicht möglich, geshuffelte Tracks auf der Warteschlange nachträglich wieder in die ursprüngliche Reihenfolge zu bringen, außer manuell. Das Einschalten des Shuffle-Modus bewirkt außerdem jedes Mal das Shuffeln der Warteschlange. Der Shuffle-Knopf hat also einen etwas seltsamen Zwittercharakter als Aktionsknopf und Modusschalter.

Es ist natürlich auch möglich, Tracks der Warteschlange explizit hinzuzufügen, wie gehabt. Dadurch, dass „aktive Playliste“ und Warteschlange quasi eins sind, hat man mehr Flexibilität als bei der Rhythmbox-Lösung und kann die „spontanen Tracks“ beliebig mit der „aktiven Playliste“ mischen. Auch könnte man Google dazu gratulieren, die Dinge vereinfacht zu haben, indem die „aktive Playliste“ nicht mehr explizit existiert, sondern durch das automatische Hinzufügen zur Warteschlange simuliert wird.

So einfach liegen die Dinge dann aber doch nicht. Der Warteschlange automatisch hinzugefügte Tracks haben nicht denselben Status wie explizit hinzugefügte, auch wenn nichts sie sichtbar unterscheidet. Automatisch hinzugefügte Tracks müssen unter der Haube irgendwie als „flüchtig“ markiert sein, denn bei der nächsten Anwahl und damit dem nächsten automatischen Hinzufügen zur Warteschlange werden sie automatisch gelöscht, wohl um ein Springen von Playliste zu Playliste möglich zu machen, ohne dabei die Warteschlange immer weiter zu füllen und um ein Stoppen der Wiedergabe nach der aktuellen Playliste zu gewährleisten, sofern nichts explizit zur Warteschlange hinzugefügt wurde. Explizit hinzugefügte Tracks werden übrigens nie automatisch gelöscht – wer wieder eine leere Warteschlange will, muss sie auch explizit leeren.

Ob dieses Warteschlangenkonzept nun der Weisheit letzter Schluss oder auch nur ein Fortschritt gegenüber dem Rhythmbox-Konzept ist, weiß ich noch nicht so recht.

Neben dem seltsamen oder gewöhnungsbedürftigen Verhalten des Shuffle-Knopfes und der visuellen Ununterschiedenheit flüchtiger und permanenter Warteschlangenelemente stört mich vor allem dies: Mein oben fettgedruckter Use Case wird nicht gut unterstützt. Zwar gibt es zwei Wege des expliziten Hinzufügens zur Warteschlange, nämlich „Zur Warteschlange hinzufügen“ und „Nächster Titel“. Doch keine von beiden zeigt dasselbe Verhalten wie Rhythmboxs „Add to Queue“. Füge ich eine Reihe von Tracks nacheinander als „Nächster Titel“ hinzu, werden sie in der umgekehrten Reihenfolge abgespielt werden, denn immer der zuletzt so hinzugefügte Track ist der nächste. Benutze ich hingegen die Funktion „Zur Warteschlange hinzufügen“, werden sie zwar in der beabsichtigten Reihenfolge abgespielt, aber erst nachdem alles andere, einschließlich automatisch hinzugefügter Tracks, also der „aktuellen Playliste“, abgespielt wurde. So war das nicht gedacht.

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