Spoiler-Warnung
Im Folgenden werden Details zur Handlung verraten, die erst gegen Ende des Buches rauskommen. Wen das stört, der lese nicht weiter. Das Buch aber sei empfohlen.
„Wer etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, der möge jetzt sprechen oder für immer schweigen.“ Diese Worte sind nicht Bestandteil der europäisch-katholischen Hochzeitszeremonie. Die Braut im Roman von Wolf Haas hat sie dem Pfarrer aufs Auge gedrückt, er hat sich ein Post-it ins Goldene Buch geklebt. Alles soll so sein, wie sie es aus Hollywood kennt, in ihrem österreichischen Bergdorf. Wer’s glaubt. Wenn die Braut sich diese Worte extra wünscht, ist ja wohl klar, dass sie hofft, jemand habe was einzuwenden. Das ist ein bisschen konstruiert in Wolf Haas‘ Roman. Aber das ist verzeihlich. Denn die Worte sind ein verdammt guter Storymotor – die klassische Situation: Nach schicksalhafter Trennung von der Jugendliebe der Braut platzt diese in letzter Sekunde in die Kirche und kann die Hochzeit mit dem smarten Hotelbesitzer gerade noch verhindern. Und Wolf Haas hat sich eine sehr schöne Variante dieser klassichen Geschichte ausgedacht: Die Jugendliebe sitzt verschüttet in einem Berg fest, findet dort aber zum Glück ein paar Tellerminen und zählt jetzt die Minuten bis zum Jawort hinunter, während sie einen Überhang erklettert, um weiter oben die rettende Explosion vorzubereiten (die dann natürlich das ist, was in die Vermählung platzt). Die Felswand, in die der Held sich krallt, wird in einem raffinierten Perspektivwechsel zur Kirchenbank, das trügerische Gefühl der Schwerelosigkeit beim Überhangklettern zum Bedürfnis, sie für einen Moment loszulassen und dem Kleid der Braut zu applaudieren. Die Stelle gefällt mir seeehr guut. Schade, dass es den Roman, in dem sie vorkommt, nicht gibt. Es gibt zwar das Cover, „Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren“, auch der Klappentext verheißt den Roman, drinnen findet man aber nur ein fiktives Interview, das eine Literaturbeilage mit dem Autor über diesen Roman führt. Eine raffinierte Vermeidungsstrategie, die viele verhinderte Romanciers mit Neid erfüllen dürfte: Man hat ein paar gute Ideen, die als Roman funktionieren könnten – aber nicht das Sitzfleisch, eine Erzählung der notwendigen Größenordnung mit all ihrem Zwang zur Beschreibung, zu gedanklicher Dichte und zu Stimmigkeit zu produzieren. Ich sympathisiere! Und das Ergebnis ist sehr amüsant, eine unbedingt empfehlenswerte Lektüre.
Mehr Lob auf FAZ.NET.
Diese ,,raffinierte Vermeidungsstrategie“ ist ja nicht vollkommen neu: Rezensionen über fiktive Bücher hat auch Borges geschrieben; und auch Lem, hat man mir gesagt. Fiktive journalistische Befragungen über fiktive Bücher sind mir allerdings noch untergekommen.