Archiv des Autors: Kilian Evang

Licht

Text von 2004

Er legte den Hebel um. Es klackte laut, als der Trafo Strom auf die Scheinwerfer gab. Die Instrumente des nahe gelegenen Kraftwerks protestierten kurz, als die 20.000-Watt-Lampenbatterie sich ins Stromnetz hängte wie ein mächtiger Adler, der auf einer Wäscheleine landet. Die Wände erzitterten, als die Photonen gegen sie donnerten. Staub rieselte. Die Sonne bedeckte beschämt ihr Antlitz. Es ward Licht.

Yo da standard fa me, baby

Mein Preis für Witz und sprachliche Kreativität geht in dieser Dekade an die österreichische Tageszeitung Der Standard, die ihrer Online-Ausgabe derStandard.at vor zehn Jahren eine Ausgabe mit Frauenthemen an die Seite gestellt hat. Ihr Name: dieStandard.at. Doch es wird noch besser. Im Februar 2010 ist eine weitere Variante gelauncht, mit Migrantenthemen, genannt daStandard.at. Offiziell ist das „da“ da das „da“ aus „Wir sind da.“ Aber man muss kein Schelm sein, um an einer Stelle, an die ein Artikel gehört, auch einen Artikel zu hören. Nur halt etwas krass-korrekter ausgesprochen.

Why I Love Wikipedia (#587)

“Disgustipated” is track 69 on most pressings in North America (causing most CD players upon reaching the end of track 9 to advance through tracks 10-68, which contain no data, at a rate of about 2 per second until track 69 is reached). It also appears as track 39, track 10 (mostly in Europe) or as a hidden track following “Flood” on track 9. On certain Japanese imports, “Disgustipated” is track 70, with a short live version of “Flood” as track 71.

Undertow (album)

Mittelhochdeutscheln und metzgern

Meinem humoristischen und meinem musikalischen Schatzkästlein habe ich vorstehend je eine Sammlung zu je zwei Elementen entnommen und hier vorgestellt, zuletzt ist nun mein literarisches Schatzkästlein an der Reihe. Ich bin ja ein Sprachgeek. Will ein Autor mich also komplett gefangennehmen, so schaffe er eine schöne verrückte Kunstsprache und verfasse sein Werk oder große Teile davon in ihr.

Thomas Mann hat das in Der Erwählte getan, der denn auch zu meinen absoluten Lieblingsromanen zählt. Er erschafft ein „sprachliches Mittelalter“, indem er seinem Neuhochdeutsch einen „mittelhochdeutschen Look“ verpasst und es mit allerlei ungewöhnlichem romanischem Sprachmaterial würzt. Carsten Bronsemas Doktorarbeit beschäftigt sich eingehend damit (und benutzt an einer Stelle das Verb zerpuzzeln, ich bin begeistert).

Meine nächste Lektüre wird Jonathan Safran Foers Everything Is Illuminated sein. Einer der beiden Erzähler, der junge Ukrainer Alex, schreibt laut Klappentext ein sublimely butchered English, und diese Formulierung ist so vielversprechend wie göttlich. Die Verfilmung hat mich in dieser Hinsicht, wie auch in jeder anderen, jedenfalls schon überzeugt. Ich bin gespannt.

So bunt, so romantisch, so witzig

Ein mit erklärungsbedürftigen Wundern, Daseinsformen und Phänomenen um sich schmeißendes Buch wie Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär ist schwer zu adaptieren. Zu einer vor Jahren mal umraunten, bisher nicht in Sichten Filmfassung verriet Walter Moers die Parole „Alles außer Trickfilm!“ Von Malik habe ich die Überzeugung, dass Stop-Motion die ideale Technik wäre. Ich hoffe jedenfalls, dass das Projekt noch betrieben wird, und zwar von kompetenter Seite. Furchtbar misslungen ist ja das Musical, dass die Wunder Zamoniens auf ein visuell absolut unbeeindruckendes Kasperltheater zusammendampfte. Immerhin bleibt es durch einige musikalische Highlights positiv in Erinnerung, zum Beispiel durch die folgende Passage aus der Nummer Blau muss mein Geliebter sein. Man muss sie aber hören, gesungen, nein, geschrien von Fredda der Berghutze, um dem vollen Zauber zu verfallen.

Ist es auch komplementär,
mir gefällt Orange nicht sehr.
Mint, Rosé und auch das Pink
sind ganz sicher nicht mein Ding.
Gold und Silber oder Bronze
haben bei mir keine Chance
und du solltest dich verzieh’n,
wenn dein Ton ist Aubergine.
Mir vergeht der Appetit,
denk ich nur an Anthrazit.
Rosa, Lila und Oliv
macht mich richtig aggressiv.
Bist du grün, dann kann es sein,
hau ich dir die Zähne ein.
Ich mag Gelb nicht und kein Ocker,
Blau, nur Blau haut mich vom Hocker!

Und wo wir gerade bei lustigen Liebesliedtexten mit Farben sind, zitiere ich noch eine Strophe aus Stereo Totals Ich weiß nicht mehr genau:

Mein Gedächtnis hat Löcher.
Ich weiß nicht mehr genau:
Welche Farbe hatten seine Augen?
Ich glaub, die waren blau.
Waren sie blau, waren sie grün
oder waren sie grau?
Oder wechselten sie ständig
vom Wetter abhängig?

Sollte Ihnen der Text metrisch zweifelhaft erscheinen – Françoise Cactus singt mit französischem Akzent, die darf mit der Betonung machen, was sie will. Darin besteht ein nicht unwesentlicher Teil des Reizes bei Stereo Total…

Air Quotes

Anführungszeichen kann man nicht aussprechen. Das ist ein Problem, wenn man Texte mit Anführungszeichen vorliest. Bei Zitaten oder wörtlicher Rede nicht so sehr, da kann man sich die Anführungszeichen aus dem Kontext und der Stimmführung dazudenken. Werden Anführungszeichen aber verwendet, um sich von der benutzten Wortwahl zu distanzieren, um Unglauben oder Ironie auszudrücken, muss man sie irgendwie explizit wahrnehmbar machen. Seriös, aber dem Zuhörer auch leicht entgänglich ist es, vor den angeführten Worten eine hörbare Pause zu machen und sie dann etwas überbetont vorzulesen. So wird es z.B. bei ZEIT Audio gemacht. Max Goldt verwendet auf seinen Lesungen zuweilen die, höhö, Höhö-Methode, höhö, Sie verstehen. Hat man Blickkontakt zum Zuhörer und keine Angst vor dem etwas schlechten Image dieser Geste, wird man dagegen air quotes verwenden.

Bei air quotes hebt man beide Hände auf Kopfhöhe und zuckt – meist zweimal – mit Zeige- und Mittelfingern. Häufiger als beim Vorlesen kommen air quotes als Geste beim mündlichen Kommunizieren zum Einsatz. Über ihre schon recht lange Geschichte verrät die englische Wikipädie mehr.

Wie sollen air quotes eigentlich auf Deutsch heißen? Ich dachte erst an Entenfüßchen wegen Gänsefüßchen und weil sie oben in der Luft sind statt unten auf Papier und Enten ja gründeln – nur: Beim Gründeln bleiben die Füße im Gegensatz zum Bürzel unter Wasser, also stimmt das Bild leider nicht. Vorschläge willkommen.

Mein Schatzkästlein des Humors enthält eine bisher zweiteilige Materialsammlung zum dem Thema: einen Ruthe-Cartoon (Air quotes mit Hufen! Göttlich!) und ein Zitat aus der Simpsons-Folge, in der Bart mit einem Doppelgänger aus reichem Hause die Rollen tauscht:

Lisa: Mom, “Bart” has something to tell you.
Marge: I don’t like the look of those air quotes.

Geißel Gottes

Vorgestern habe ich das kurz gezwitschert, heute fasziniert es mich immer noch: Der verrückte Bischof Richard Williamson hat den Islam in seiner E-Mail-Kolumne eine „Geißel Gottes“ genannt, also eine von Gott in die Welt gesetzte Strafe oder Prüfung für seine Schäfchen, die Christen. Nach muslimischem Glauben wurde der Islam ja tatsächlich von Gott in die Welt gesetzt, durch Mohammed. Glaubt Williamson also, dass Gott eine neue heilige Schrift herausgegeben, eine neue Anhängerschaft um sich geschart, kurz: eine neue Religion begründet hat, um die Anhänger der alten Religion zu zwiebeln? Dann müsste er zugeben, dass Muslime rechtgläubig sind, da der Islam ja tatsächlich eine göttliche Religion ist. Wahrscheinlich würde er aber nicht zugeben, dass der christliche und der muslimische Gott derselbe sind. Hat der christliche Gott also einen Pappgott zurechtgemacht und die Muslime voller Absicht mit einer Bogusreligion in die Falschgläubigkeit geführt – als Werkzeug, als Geißel? Dann wäre Gott noch infamer und sadistischer, als man es ihm aufgrund mancher gut katholischer Glaubenssätze eh schon unterstellen muss. Was also ist von Williamsons Aussage zu halten? Vielleicht sollte man sie einfach nur amüsant finden.