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Rundgang durch die Kunstakademie. Stream of consciousness

Hoppla, ist das nicht Herr M.? Na, besser nicht ansprechen. Ich würde länger brauchen, um zu erklären, wer ich bin, als wir uns was zu sagen hätten. Gut, er geht in eine andere Richtung. Aber ich bin gewarnt. Bestimmt werde ich hier noch jemanden treffen, den ich wirklich kenne. Bin mal gespannt, wen. Heiligemariamuttergottes, der Stieleke! Den sprech ich auch nicht an. Ah nee, er ist es gar nicht. Was ist denn das hier, da hat jemand eine Art Netz aus an zwei Seiten aufgeschlitzten Fensterumschlägen gewoben. Wie ideesam und schön! Sind viele von ING dabei, wahrscheinlich selbst empfangen und gesammelt. Eigentlich schade, dass ich nicht auch was Künstlerisches studiere – das bietet so viele Möglichkeiten, im Alltag seiner Kreativität zuzuarbeiten. Und diese hohen Ateliers – toll! Was haben wir denn hier *reinlatsch*, vier Holzbalken als Rauminstallation. Mist, da sitzt ja die Künstlerin am Eingang. Gleich, wenn ich mich umdrehe, darf ich kein zu abschätziges Gesicht machen. Und nicht zu schnell gehen. Wobei, das ist ja lächerlich jetzt, was schreite ich so bedächtig, hier gibt es ja wirklich nichts zu sehen. Ach so, das waren Kunstwerke von vier verschiedenen Kunststudenten hier drin! Na klar, für eine Person wäre es auch ein bisschen viel gewesen. Trägt ja auch jeder Holzbalken seine eigene unverwechselbare Handschrift. Haha. Im nächsten Raum beim Reinkommen auch zunächst Plunder, aber das hier, das ist ja geil, das spricht sofort zu mir: Eine mittelgroße einstellige Anzahl von Holzstühlen, zersägt und dysfunktional, aber formschön neu zusammengesetzt. Eine Etage drüber wird es richtig, richtig geil – eine Installation aus geschundenen, ihrer Natur beraubten Kreaturen. So eine gut gemachte Darstellung der totalen Perversion des Lebens habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Der Erschaffer des Ganzen, das mutierte Skelett da, das da Frankenstein spielt und gerade ein so übel zugerichtetes Kleintier seziert – woraus ist das wohl modelliert -, dass die Art nicht mehr zu erkennen ist, ist die vermonstertste Kreatur von allen. Und das mit so einfachen Mitteln wie Staubsaugern und Schaufensterpuppen. Hier der Kerl da vorne, der PU-Schaum sieht aus wie Kotze oder wie rausrinnende Gehirnmasse. Und wie alles laborhaft und doch extrem schmuddelig wirkt – der speckige Teppich, die Geräte an den Wänden, der Erlenmeyerkolben neben dem ungespülten Rotweinglas. Sehr gut gemacht! David Wagner heißt der Künstler, leider schüchtern, hat keine Handynummer auf die Kontaktliste am Eingang geschrieben, nur eine E-Mail-Adresse, die man nicht lesen kann und die er sich mit seinen Eltern zu teilen scheint. So weit von meiner Lebenswirklichkeit entfernt. Aber wonach sollte ich ihn auch fragen – nach dem Preis des Kunstwerks? Vor dem nächsten Raum werden T-Shirts mit „I love my cunt“ verkauft. Gibt es drinnen also wieder Vulvalkunst (wie eben unten schon)? Nein, alle gemalten Menschen angezogen… doch, eine Zeichnung in der Ecke! Zwei fiese volksrepublikanische Funktionäre scheinen den Preis einer schwebenden Nackten auszuhandeln. Ich habe noch keine einzige Visitenkarte gesehen, dabei stand doch in der Zeitung, die jungen Künstler wollten vor allem mit Galeristen in Kontakt kommen. Ist aber nicht, die sind schon müde, sitzen im Gang, hören laut Musik, trinken und lachen. Im allerletzten Raum, den ich betrete, dann der einzige, der ungefragt seine Bilder zu erklären beginnt. Personalunion mit dem erwarteten unerwarteten Wiedersehen – Christoph erkannte mich gleich als Görresianer; hatte keine Ahnung, dass der an der Kunstakademie ist. Vierter Stock – die architektonische Entwicklung Düsseldorfs der letzten Jahrzehnte hat es mit niemandem so gut gemeint wie mit denen, die hier arbeiten. Die Landesversicherungsanstalt hat, von hier aus in der Dunkelheit gesehen, eine Zwiebelkuppel.

The Quintet of the Astonished

von Bill Viola (siehe da) ist eins meiner Lieblingskunstwerke. Es handelt sich um ein Video von wenigen Sekunden, das durch Superzeitlupe auf ca. 15 Minuten Länge ausgedehnt wurde. Es zeigt eine Gruppe von Menschen, die irgendetwas mit heftigen Emotionen zu beobachten scheinen. Am Anfang dachte ich aufgrund der starren Haltung und der anhaltend verzerrten Gesichter an die Gram an einem Sterbebett. Oder war das eine langsamkeitsbedingte Täuschung? Als ich die Bewegungen weiter verfolgte, kam ich auf den Gedanken, das seien die Zuschauer eines Sportereignisses. Bill Viola selbst hatte anscheinend die Dornenkrönung im Sinn. So vielfältige Sichtweisen eröffnet The Quintet of the Astonished auf Anhieb. Jedenfalls wird es ab und zu im Fernsehen nachgestellt. Wenn nämlich bei der Wiederholung von Torchancen im Fußball die Trainerbank im Bild ist.

Pott

Ich komme aus Düsseldorf, das von Ortsfremden häufig „dem Pott“, also dem Kohlenpott, also dem Ruhrgebiet, zugeschlagen wird. Ganz unbegründet ist das nicht – Düsseldorf stößt direkt an des Ruhrgebietes Südkante und war der gleichen Industrialisierungswelle ausgesetzt, die das kohlenreiche Ruhrgebiet zu dem machte, wofür es bekannt ist. Dies allerdings insbesondere auch, was die weißkragigen Aspekte angeht (Verwaltungen von Thyssen, Krupp, Mannesmann, Wirtschaftsverbände, Messen) – man sprach vom „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.

Mir gefällt enorm, was das Ruhrgebiet in den letzten Jahren aus sich gemacht hat. Letztens war ich mal wieder im Landschaftspark Duisburg-Nord, bei dem tausend Bilder mehr sagen als ein paar Worte, gestern dann spazierte ich durch Oberhausen, an einer Turbinenhalle und einem Gasometer vorbei, die immer noch so heißen, obwohl dort jetzt abgedancet bzw. Kunst ausgestellt wird. Mein Ziel war diesmal nicht so industriehistorisch angehaucht, es war das Schloss Oberhausen mit der Ausstellung Deix in the City, die Werkschau einer wohl ganz großen Nummer im Malen menschlicher Schwächen.

Mir kommt es so vor: Manfred Deix‘ Karikaturen übertreiben die Realität und schaffen es dabei fast immer, nicht nur die Zustände zu verspotten, sondern auch die, die sich über die Zustände aufregen. Und zwar heftig. Immer hat man das Gefühl „Huch, wen wollte er damit letztlich aufspießen?“ Diese Doppelbödigkeit fand ich beachtlich, ansonsten fand ich’s soso lala, ein Humor, den seine Derbheit nicht immer zu voller Blüte treibt.

Wollte ich also eine Chance haben, am selben Tage noch richtig begeistert zu werden, müsste ich eine weitere Ausstellung besuchen, und ich wählte Radical Advertising im Düsseldorfer NRW-Forum. „Erwarten Sie bitte keine besonders originelle oder aufwändige Werbung“, wurde sinngemäß gewarnt, aber leider erst nach dem Eintritt. „Hier geht es um systemverändernde Werbung.“ Inwiefern die gezeigte Werbung systemverändernd war, erschloss sich mir nicht. Im ersten Teil gab es einzelne Beispiele für Guerilla- und virales Marketing – hier hat es ein Museum schwer, einen besseren Überblick zu verschaffen als z.B. scaryideas oder YouTube. Von einem radikalen Paradigmenwechsel, der der zeitgenössischen Werbung im Geleittext großspurig bescheinigt wird, ist jedenfalls nichts zu sehen. Dafür unterscheiden sich in Haltestellenwände eingelassene Riesensandalen dann doch nicht genug von Plakaten und zieht es nicht weit genuke Kreise, wenn ein Baumarkt sich mal den Spaß erlaubt, einen Netzkult um einen fiktiven Stuntman auszulösen.

Auch im zweiten Teil kein Paradigmenwechsel, jedenfalls kein kontemporärer: Gezeigt wird Schockwerbung (Benetton, natürlich, und Diesel) aus längst vergangenen Jahrzehnten. Mag ja sein, dass das damals systemverändernd war, aber irre ich, oder ist die Ironie in der Werbung eine Randerscheinung geblieben? Als drittes Thema ein bisschen Adbusting.

Insgesamt habe ich mich von diesem Sonntag denn aber doch gut unterhalten gefühlt. :-)