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epic/episch [Anglizismus 2012]

Es geht weiter mit den Kandidatenwörtern zum Anglizismus des Jahres 2012. Im Sprachlog wurden jüngst gendernHipster und Blackfacing besprochen, heute geht es hier im Texttheater weiter mit epic/episch. Dieses Wortpaar wurde von Janwo nominiert:

Ich würde gern „epic“ bzw. die Lehnprägung „episch“ nominieren. Eventuell ist es nicht ganz so neu, aber es kommt mir so vor, als ob es erst seit Kurzem wirklich um sich greift.

Was blüht dieser Nominierung, epic win oder epic fail?

Besonders interessant finde ich, dass mit episch ein Wort in der Endrunde ist, das schon lange in deutschen Wörterbüchern steht und lautlich und morphologisch gerade mit der Endung -isch ganz und gar im Deutschen beheimatet scheint. Diese Abwesenheit von englischem Wortmaterial hatten wir, wenn ich richtig geguckt habe, bisher erst einmal, nämlich mit ausrollen für 2010.

Wenn also ein Anglizismus vorliegt, dann handelt es sich um einen „Übersetzungsanglizismus“, also ein deutsches Wort, das unter dem Einfluss des Englischen eine neue Bedeutung angenommen hat. 

Um in diesem Wettbewerb zu reüssieren, müsste das Wort in seiner neuen Bedeutung außerdem 2012 deutlich mehr gebraucht worden sein als zuvor, und es müsste eine interessante Lücke im deutschen Wortschatz füllen.

Diese drei Kriterien werde ich mir für episch im Einzelnen angucken. Auf epic werde ich dabei auch zu sprechen kommen.

Die neue Bedeutung

Das Adjektiv episch hat seit mehr oder weniger kurzer Zeit eine neue Bedeutung, die noch nicht im Duden steht. Im Duden stehen bisher:

  1. (Literaturwissenschaft) die Epik, das Epos betreffend; Beispiel: ein episches Gedicht
  2. (bildungssprachlich) erzählerisch, erzählend, berichtend; Beispiele: epische Elemente; etwas in epischer Breite (in allzu großer Ausführlichkeit) schildern

Schaut man aber einer mehrheitlich jungen, internetaffinen Sprecher/innengemeinschaft aufs Maul, zum Beispiel über eine Suche bei Twitter, kann man sich leicht davon überzeugen, dass auf deren überwiegende Verwendung des Wortes keine der beiden Definitionen passt. Eine Auswahl:

Screenshot-1

Auch nach Definitionen, die auf diese neue Verwendung passen, muss man nicht lange googeln, wiederum eine Auswahl:

Andererseits wird „episch“ (abgeleitet von engl. „epic“) in der Netzkultur verwendet, um als Superlativ einen Sachverhalt besonders positiv zu bewerten. (Wikipedia)

Epic – Episch. Bedeutet für mich. Wahnsinnig, Wow, Atemberaubend. (ChrisBoy18 auf gutefrage.net)

Mir scheint, und so ordnet es im Oktober 2012 auch Wolfgang Kemp im FAZ-Feuilleton ein, dass episch hauptsächlich ein Neuzugang in der langen Reihe der Jugend- und Modewörtern ist, die verwendet werden, um Begeisterung auzudrücken oder etwas zu intensivieren: coolgeilkrassfett – episch eben.

Der Einfluss des Englischen

So weit die neue Bedeutung, aber ist sie ein Import aus dem Englischen? Die englische Entsprechung zu episch, das Adjektiv epic, hat einen ganz ähnlichen Bedeutungszugewinn hinter sich. Das Wörterbuch Merriam-Webster kennt folgende Bedeutungen:

  1. of, relating to, or having the characteristics of an epic <an epic poem>
  2. a : extending beyond the usual or ordinary especially in size or scope <his genius was epic — Times Literary Supplement>
    b : heroic

Daneben wird epic wie im Deutschen in der Bedeutung fantastischüberwältigendatemberaubendkrassgeil verwendet. Diese Verwendung ist zwar relativ dicht dran an der zweiten Merriam-Webster-Bedeutung (dichter als an der zweiten Duden-Bedeutung), dennoch findet man viele englischsprachige Quellen, die sie als etwas Neues, zur Jugendsprache bzw. zum Slang gehörig einordnen. Auch hier wieder eine kleine Auswahl:

epic adjective. Incredible, big, massive. “It’s been an epic day.” (The Youth Language Lexicon. In Mark McCrindle with Emily Wolfinger: Word Up. A Lexicon and Guide to Communication in the 21st Century, 2007)

“What does epic mean when used as slang?” – “grand, great, amazing” (Yahoo Answers, 2010)

“EPIC means “Extremely awesome’” (InternetSlang.com, )

“In everyday conversation, ‘epic’ is often slang for superb or excellent.” (Answers)

Entsprechende Gewährsleute finden sich für episch in deutschen Internetforen:

heisst so viel wie: grandiós, poetisch. kolossal. fantastisch. (Frag Galileo, 2012)

In der heutigen vor allem Szenesprache (nicht nur Jugend oder Slang-Sprache wird episch häufig und inzwischen in als eingedeutscht zu wertender gleichberechtigter Form für epic = legendär = einmalig = außergewöhnlich = Über die Maßen genutzt. (Ulisses Forum, 2012)

Also, was ich Unwissender jetzt, nach vielen Antworten zum Thema weiß, ist, dass „episch“ im Jugend-Slang dasselbe bedeuet wie „cool“ (gutefrage.net, 2011)

Die Vermutung liegt sehr nahe, dass die Bedeutungsentwicklung bei episch im Deutschen von der bei epic im Englischen beeinflusst wurde, auch wenn sich das nicht mal so eben beweisen lässt. Insbesondere zwei Kanäle fallen mir aber ein, über die das Wort verstärkt vom englischen in den deutschen Sprachraum eingedrungen sein und so die Verbreitung des neuen episch mitverursacht haben dürfte:

Erstens gibt es da das Schadenfreude zelebrierende Internet-Mem Fail, das sich seit etwa 2004 großer Beliebtheit erfreut, auf Blogs wie Failblog reihenweise instanziiert und häufig zu Epic Fail gesteigert wird. Sicher nicht völlig zu Unrecht war Fail/Epic Fail bei der Wahl zum „Jugendwort des Jahres 2011“ zweitplatziert, die allerdings weitgehend selbst ein Fail war. Daneben gibt es auch die Gegenstücke Win und Epic Win.

Epic_Win_by_danzilla3 Epic Fail

Zweitens ist Epic in dem sehr populären Online-Spiel World of Warcraft eine Kategorie von relativ wertvollen Gegenständen, die eine dort in ihren Besitz bringen kann. Auf diesen Rollenspielhintergrund hebt auch der oben erwähnte FAZ-Artikel stark ab.

Vielleicht am deutlichsten kann man den Einfluss des Englischen daran ablesen, dass epic und episch im Gegenwartsdeutschen beide ziemlich synonym auftauchen, wie ja schon die Nominierung anmerkt. Eine Stichprobe bei Google liefert z.B. bei Redaktionsschluss für „das ist episch“ 1.120.000 Treffer und für „das ist epic“ auch nicht weniger 821.000.

Ich bin damit hinreichend überzeugt, dass das neue episch als Anglizismus gelten kann.

Der deutliche Anstieg

Da wir uns nur für eine bestimmte der mehreren Bedeutungen von episch interessieren, ist es schwierig, seinem Gebrauch quantitativ auf die Spur zu kommen. Schaut man sich an, wie oft die Leute in Deutschland nach episch googeln, sieht man einen relativ plötzlichen Anstieg im relative Suchvolumen ab Oktober 2010, Höhepunkte schon im Juli 2011 und im Januar 2012, seither ist die Tendenz fallend (die Klippe am Ende ist allerdings nur der ja noch unvollständige Februar):

Screenshot

Für den Anstieg kann man vermutlich das neue episch verantwortlich machen, denn die anderen Bedeutungen dieses Wortes dürften überhaupt deutlich seltener gegoogelt werden. Aber nur mit extrem großem Wohlwollen sieht man einen deutlichen Anstieg für 2012.

Bei epic geht das deutsche Interesse seit 2009 – mit den üblichen Fluktuationen – relativ kontinuierlich nach oben, auch noch in 2012:

Screenshot-1

So weit also ein klares Nnnnaja. Auch der Anstieg, den nach meiner manuellen Zählung das neue episch in Zeitungstexten (also einer sprachlichen Neuerungen gegenüber eher konservativen Textsorte) im Deutschen Referenzkorpus erfährt, ist aufgrund der geringen Trefferzahl in allen Jahren nicht besonders belastbar, aber immerhin kann man sehen, dass es 2009 überhaupt nicht vorkommt, 2010 auch nicht, 2011 zweimal und in der ersten Jahreshälfte 2012 ebenfalls zweimal:

„Ich habe in allen Sportarten, für die man die Hände braucht, episch versagt. Darum bin ich Läufer geworden.“ (Niederösterreichische Nachrichten, 2011-04-12)

Unglaublich, der Mann wird 108 Jahre alt und stirbt an Heiligabend. Das ist episch! (Rhein-Zeitung, 2011-12-27)

Als 2004 in Chur hitzig diskutiert wurde, wie man das Problem der kontinuierlichen Strenge gegen Spass, Lärm, Lebensfreude und Wochenende anpacken könnte, gab es eine Einheit in der linken Szene, ein Momentum. Was zur Folge hatte, dass mit Jon Pult, Andrea Fopp, Kiran Trost und Tom Leibundgut ein ganzer Block dieser Bewegung in den Gemeinderat gewählt wurde. Das war episch, das war die Revolution! Dachte man. (Die Südostschweiz, 2012-05-15)

Aber es gibt auch ganz andere Höhepunkte: Etwa das schleppend beginnende „It’s Good To Be King“, das mit der Zeit in eine Art Dauer-Crescendo abhebt, durchdrungen von Mike Campbells beeindruckend vielfältiger Lead-Gitarre, kurz unterbrochen von Benmont Trenchs feinfühligem Piano-Solo, gestoppt von messerscharfen Breaks der ganzen Band und letztlich aufgelöst in einem wunderbar klaren Petty-Ton – episch! (Mannheimer Morgen, 2012-07-02)

Die interessante Lücke im Wortschatz

Eine besonders interessante Lücke im deutschen Wortschatz füllt epic/episch eigentlich nicht. Ich halte es, wie gesagt, im Wesentlichen für ein Nachfolgewort von coolgeilkrass etc., und es wird selbst sicher ebenso bald in der Rolle des aktuellsten Slangbegeisterungswortes abgelöst werden. Natürlich kommen jedem dieser Wörter gemäß seiner Ursprungsbedeutung andere Konnotationen zu: cool eine lässige, geil eine sexuelle, krass eine Konnotation des pathologisch Übertriebenen und episch eine des Sagenhaften, Mythologischen, gut passend zu einer Zeit mit vielen Kinofilmen, die riesige Schlachten in vergangenen Zeiten oder Fantasy-Welten zeigen.

Fazit

So interessant ich episch als „eingedeutschten“ Anglizismus auch finde, muss ich doch konstatieren, dass es – und nicht weniger die nicht eingedeutschte Form epic – bei den Kriterien „Aktualität“ und „Interessante Lücke“ zwar nicht völlig abloset, aber sich gegen so manch anderes Kandidatenwort in diesem Wettbewerb wohl nicht wird behaupten können. Was meint ihr?

Paywall [Anglizismus 2012]

Die Kandidaten für den Anglizismus des Jahres 2012 stehen fest und werden jetzt bis Mitte Februar von der Jury in Blogbeiträgen besprochen. Den Anfang machten Anatol mit Fracking/fracken und Susanne mit Hashtag, heute setze ich die Reihe mit Paywall fort.

Das Wort

Das englische paywall, seltener: pay wall, ist ein Substantiv und ein Kompositum aus dem Verb pay („bezahlen“) und dem Substantiv wall („Mauer“). Ins Deutsche wurde es als Paywall praktisch unmodifiziert übernommen und bezeichnet auch dasselbe wie im Englischen: eine technische Vorrichtung, mit der Online-Medien den Zugang zu ihren Inhalten beschränken, wobei diese Beschränkung für zahlende Benutzer/innen aufgehoben wird, typischerweise in Form eines Abonnements.

Zwei Parallelen zur bereits länger bekannten Firewall fallen mir auf: Zum einen, dass beide Wörter die Mauer (wall) als Metapher für elektronische Zugriffsbeschränkungen benutzen, und zum anderen, dass sich bei beiden im Deutschen das feminine Genus durchgesetzt hat, wohl in Anlehnung an Mauer. Nur sehr vereinzelt findet sich maskulines oder neutrales Genus, wohl in Anlehnung an das deutsche Wort Wall.

Als Eigenbezeichnung kostenpflichtiger Inhaltsangebote kommt Paywall selten vor, die Online-Medien sprechen eher von „Abonnements“ oder „E-Papers“. Der Kandidat kommt vielmehr in Berichten über die Errichtung von Paywalls vor. Das scheint mir daran zu liegen, dass die Mauer-Metapher die Sichtweise ausdrückt, dass der freie Zugriff auf alle Inhalte im Internet der Normalfall ist und die Online-Medien sich quer dazu stellen, um ihrer Nutzer/innen zur Kasse bitten zu können. Demgegenüber sind die Paywalls einführenden Medien bemüht, das Zahlen als Normalfall zu etablieren. Eine Ausnahme bildet die taz: Deren Paywall heißt TAZ PAYWALL. Aber bei der ist das Zahlen auch völlig freiwillig.

Die Sache

Paywalls sind nicht völlig neu, so bietet das Wall Street Journal schon seit 1997 seine Online-Nachrichten nur gegen Geld an. Auch ist es bei Online-Medien schon lange üblich, manche Artikel kostenlos und andere Artikel nur für Besitzer/innen eines Premium-Abonnements anzubieten. Dass über so etwas unter dem Begriff paywall Bericht erstattet wird, lässt sich im Englischen etwa ab 2005, im Deutschen etwa ab 2008 ausmachen.1 Diese „Paywalls der ersten Generation“ sind eigentlich alle „hart“: jeder Artikel ist entweder kostenlos oder kostenpflichtig, die Paywall teilt das Angebot des jeweiligen Online-Mediums in zwei fixe Teile, wobei in Extremfällen wie dem Wall Street Journal der kostenlose Teil praktisch nichtexistent ist. Die erste Paywall der New York Times teilte ihr Angebot in einen kostenlosen aktuellen und einen kostenpflichtigen historischen Bereich, diese Paywall wurde 2007 aufgegeben.

Seit etwa 2011 ist eine zweite Generation von „weichen“ Paywalls im Kommen. Hierbei verläuft die Grenze flexibel: die ersten 10-20 Artikel, die ein/e Leser/in aufruft, sind kostenlos, danach muss er/sie zahlen oder ihre/seine Browser-Cookies löschen. Auf diese Weise vermeiden die Medien es, ihre gelegentlichen Nutzer/innen zu vergrätzen, schonen so ihre Reichweite und Werbeeinnahmen und können doch an treuen Nutzer/innen dazuverdienen. Die wohl bekannteste Vertreterin dieser im Englischen metered paywalls genannten Art ist die neue Paywall der New York Times. Sie gilt als Erfolgsmodell und wird daher und seit Kurzem eifrig kopiert, auch von deutschsprachigen Medien wie z.B. NZZ, Welt Online oder – geplant – der Süddeutschen.

Aktualität

Paywall ist also im deutschsprachigen Raum gerade ein sehr aktueller Begriff und boomt entsprechend. In Googles Suchstatistiken für Deutschland taucht das Wort überhaupt erst Anfang 2011 auf (kurz vor der Einführung der neuen New-York-Times-Paywall) und geht nach einem fluktuierenden Jahr seit Mitte 2012 steil nach oben. Aktueller könnte das Thema auch nicht sein, nun, da Welt Online ihre Paywall im Dezember eingeführt hat und eine noch blödere Zeitung aus demselben Hause bald als zweite überregionale Tageszeitung folgen wird.

Das Deutsche Referenzkorpus bildet indes noch kein nachhaltiges Eindringen von Paywall in die deutsche Sprache ab. Vor Juli 2012 (weiter geht dieses Korpus momentan noch nicht) taucht das Wort nur in 11 Texten auf, davon 1 Zeitungsartikel, 2 Wikipedia-Artikel und 8 Wikipedia-Diskussionen.

Auch im englischsprachigen Raum wurde paywall als besonders aktuelles Wort wahrgenommen, allerdings schon 2009, da war es unter den Finalisten für die Wahl zum Word of the Year des New Oxford American Dictionary.

Die Lücke füllen

Wird für das, was Paywall bezeichnet, ein Wort gebraucht? Im Moment offensichtlich ja. Die Paywall ist sozusagen die Veränderung, die aus einer kostenlosen Nachrichtenseite, wie wir sie gewohnt sind, eine (teilweise) kostenpflichtige Nachrichtenseite macht, wie sie uns auch nicht völlig unbekannt ist. Man könnte also argwöhnen, dass der Begriff eigentlich nur in der aktuellen Diskussion um die Veränderung von Online-Journalismus eine Rolle spielt und dass wir ihn, wenn die Entwicklung erst mal halbwegs abgeschlossen ist, nicht mehr brauchen werden. Dann könnten wir einfach wie bisher von kostenlosen und kostenpflichtigen Websites reden.

Andererseits sagt sich „Hat die Website eine Paywall?“ leichter als „Ist die Website kostenpflichtig?“ Eine aktuelle Suche beim englischen Google News erweckt den Eindruck, dass Entsprechendes auch fürs Englische gilt und der dort schon etwas ältere Begriff sich durchaus durchgesetzt hat – auch abseits von Nachrichtenwebsites, z.B. bei Websites, die wissenschaftliche Forschungsergebnisse veröffentlichen.

Dass Paywall ein relevantes Wort bleiben wird, denke ich aber vor allem deshalb, weil Websites sich immer weniger entweder dem Kostenlos- oder dem Kostenpflichtig-Modell zuordnen lassen. Mit hybriden Modellen wie der metered paywall hält der Moment, in dem man „gegen die Paywall knallt“, in den Erfahrungsschatz der Internetnutzer/innen Einzug, und so braucht man denn auch ein Wort dafür.

Bleibt noch die Frage, ob es eine nichtanglizistische Alternative gibt. Ja: Bezahlschranke, was eine freie Lehnüberseztung zu sein scheint. Mit aktuell 84,300 deutschen Google-Treffern gegenüber 172,000 für Paywall ist sie durchaus eine ernstzunehmende Konkurrenz. Das Wort ist deutlich sperriger, hat aber den Charme, dass die Schrankenmetapher m.E. besser zur bezeichneten Sache passt als die Mauermetapher: Wo, wann und für wen welche Schranke hochgeht, entscheiden flexible Algorithmen™, es gibt keine Mauer, die unverrückbar wäre.

Fazit

Paywall ist ein solider Kandidat, der eigentlich alle Kriterien erfüllt: Das Wort besteht aus englischem Wortmaterial, es ist kein Produktname, es füllt eine erkennbare Lücke im deutschen Wortschatz (wenn auch nicht ohne „heimische“ Konkurrenz) und es lässt sich für 2012 eine klare Ausbreitung in Bewusstsein und Sprachgebrauch einer relativ breiten Öffentlichkeit erkennen.

Fußnoten

1 Die krude Methode, die mich zu dieser verstiegenen Aussage verleitet: Bei Google über die Suchoptionen die Ergebnisse auf die jeweilige Sprache sowie auf jeweils eins der vergangenen Jahre beschränken und dann gucken, wann chronologisch zum ersten Mal auf Ergebnisseite 1 ein einziger relevanter Treffer auftaucht, d.h. ein Link zu einem Blogbeitrag oder sonstigem Medienbericht, der tatsächlich auf das jeweilige Jahr datiert ist.

Korbflechtartige Wellenverblender und die Sedimentierung des Subjekts

Nicht immer sind Texte, die in Museen Bereiche einer Ausstellung oder einzelne Werke erläutern, ohne weiteres zu verstehen. So stand ich neulich in den Hamburger Deichtorhallen vor einem Rätsel, als ich las, die Elemente, aus deren Abformungen Anselm Reyles Skulptur Ontology zusammengesetzt ist und deren Hockerartigkeit mich bei dem Ganzen an Ai Weiweis Hockerskultpuren denken lässt, seien ursprünglich an einem DDR-Gebäude zu „korbflechtartigen Wellenverblendern“ zusammengesetzt gewesen. Aber so überrumpelt ich mich von diesem Wortmonster fühlte, das so selbstverständlich in diesen Text eingereiht war, die ungefähre Antwort ließ sich doch rasch ergoogeln und ergrübeln. Erst während des Schreibens dieser Zeilen hingegen glaube ich einigermaßen verstanden zu haben, was das Straßburger Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in seiner Sammlung damit meint, in Eugène Leroys Porträts offenbare die Übermalung des Gesichts mit dicken Farbschichten „die komplexe Sedimentierung des Subjekts“.

Anglizismus des Jahres 2012

Zum dritten Mal wird nun bald der Anglizismus des Jahres gekürt, dasjenige dem Englischen entlehnte Wort, das 2012 die deutsche Sprache nach Meinung einer linguistisch gebildeten Jury am stärksten bereichert hat – 2010 war es das Verb leaken und 2011 der Shitstorm.

Dieses Jahr habe auch ich die Ehre, der Jury anzugehören, und das Texttheater wird wie auch das Sprachlog und das SprAACHENblog zur Bühne von Überlegungen zu einzelnen Kandidaten-Anglizismen werden. Daher sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass seit vorgestern Anglizismen nominiert werden können. On to you, liebe Leser/innen: Welche Anglizismen haben sich 2012 durchgesetzt und haben eine Würdigung verdient? Reichen Sie Ihre Vorschläge bis zum 7. Januar 2013 auf der Website zum Anglizismus des Jahres ein.

Blogspektrogramm #16

Ad-hoc-Neologismen zur EM: lexikografisch aufbereitet! Die Lexikografie: augenzwinkernd zum ältesten Beruf der Welt bewiesen! Meldungen zum grammatikverschlechternden Einfluss von SMS: als kompletter Stuss entlarvt! Plötzlich verdächtig geschlechtergerecht daherkommende Sprache im Spiegel: argwöhnisch beäugt und kommentiert! Krankengymnasten und KrankengymnastinnenKrankengymnastInnen und Krankengymnast/-innen: vorsichtig gegeneinander abgewogen! Der oder die A380: genuszubestimmen versucht! Die allgemein bekannte Fehlwahrnehmung, dass es genau dann regne, wenn man keinen Schirm dabeihabe u.Ä.: auf den schönen Namen Regenschirmsyndrom getauft. Wie man Deutschen im 18. Jahrhundert die (damalige!) englische Aussprache erklärte: anschaulich erklärt. Und Verben: gesteigert! Ein pralles Blogspektrogramm #16 also bei Kristin im Schplock. Das Texttheater wünscht viel Freude beim Stöbern.

Verben steigern

Will man im Deutschen Verben steigern, muss man sich normalerweise mit umständlichen adverbialen Ergänzungen wie mehr, stärker, in höherem Maße, in stärkerem Maße usw. behelfen. Schlimmer noch, es ist nie so recht klar, welche dieser Konstruktionen in welchem Kontext passend ist. Es wird höchste Zeit für eine einheitliche Lösung. Bei der Gesellschaft zur Stärkung der Verben habe ich vor einiger Zeit eine vorgeschlagen, die ich jetzt einer breiteren anderen Öffentlichkeit vorstellen möchte.

Komparativ und Superlativ der Verben orientieren sich an denen der Adjektive. Am einfachsten geht das bei den Partizipien, weil die morphosyntaktisch Adjektiven stark ähneln:

  • Wohnte ich nicht in Berlin-Mitte, würde ich noch viel kritisierter.
  • Er hat sich umso bemühter, je positiver die Rückmeldungen waren.
  • Ich hätte dieses Kapitel strukturierter.
  • Marilyn Monroe gilt als die fotografierteste Frau der Welt. Von ihr wurde sogar am geträumtesten.
  • Das hat ihn getroffener, als er sich zuerst eingestehen wollte.
  • Wir erheben nur auf die Espressotassen Pfand, denn die werden geklauter als die Kaffeebecher.
  • Google-Nutzer werden seit März 2012 noch durchleuchteter.
  • Unter Internetfirmen herrscht ein erbitterter Kampf darüber, wer bei Google am gefundensten wird.
  • O. J. Simpson ist der „mutmaßlichste, freigesprochenste Doppelmörder des Jahrhunderts“ (Der Spiegel)
  • Das Rot in unserem Logo ist etwas gedeckter worden.
  • Es wäre dann zwar nicht strafbarer, aber es würde dir von den Leuten vorgeworfener.
  • Angela Merkel hat im Rededuell überzeugter als Martin Schulz.
  • In Bayern gibt es 15 gesetzliche Feiertage. Den Rest des Jahres wird dafür umso zugepackter.
  • Warum es die Schweiz noch verkackter hat als wir.

Von den Partizpien ist es dann nicht mehr weit zu den finiten Verbformen:

  • Per Mail oder per Skype? – Egal, was auch immer konvenierter.
  • Ehrlich gesagt konvenierst mir das Piratenpad.
  • Frierster du in dieser Jacke nicht noch als in der anderen? Frierstest du nicht sogar in ihr? Es ist doch deine dünnste! – Nein, in der dickeren frierer ich komischerweise.

Blogspektrogramm #15

Was ist Kiezdeutsch? Ist ­jedes niederländische echtpaar auch ein echt paar? Welche phonetischen Eigenschaften machen das Walisische für Nichtmuttersprachler/innen so schwer auzusprechen? Was ist ein Contaphonym? Müssen Appositionen mit einem Komma abgetrennt werden? Wer hat deutsche grammatische Begriffe wie Mehrzahl oder Hauptwort erfunden? Wie schlägt man ein polnisches oder ukrainisches Wort in einem Wörterbuch nach? Was für obskure Wörter notierte der Sänger Nick Cave in seinem Notizbuch? Dies und mehr erfährt, wer den Link im fünfzehnten Blogspektrogramm folgt, diesen Monat bei Michael Mann im Lexikografieblog.

Eigen-aardig

Paulien Cornelisse ist so etwas wie der niederländische Bastian Sick, aber in witzig, klug und vielseitig. Die Lektüre ihres Buches Taal is zeg maar echt mijn ding (Sprache ist sag mal so echt mein Ding) hat mich sehr unterhalten, gebildet und mal wieder darin bestätigt, wie ähnlich sich Niederländer/innen und Deutsche in vielen sprachlichen und anderen Befindlichkeiten sind.

Sie schreibt zum Beispiel: „Ich finde, es ist vor allem furchtbar niederländisch, ständig zu rufen: ,Das ist sooo niederländisch!‘“ Phänomen bekannt, oder?

Oder ihre unter der hier geklauten Überschrift getätigten Ausführungen zu onzinetymologie (Quatschetymologie), die ich einst als pastor/inn/entypisch charakterisierte, Cornelisse aber eher der New-Age-Ecke zuschreibt (auch sehr plausibel). Quatschetymologie liegt nach ihrer Definition vor, wenn man „eine Erklärung über den Ursprung eines Wortes gibt, die nicht stimmt, einem aber gut in den Kram passt.“

So höre man sich Leute nicht nur als een echtpaar (ein Ehepaar) bezeichnen, sondern auch als een echt paar (ein echtes Paar). Oder behaupten, Bio sei notwendigerweise logisch, weil in biologisch das Wort logisch schon drinstecke. Oder eine, die eigenaardig (eigenartig) gefunden wird, damit trösten, dass eine Jede auf ihre eigen (eigene) Weise aardig (nett) sei. Oder jemanden, der zachtmoedig (sanftmütig) ist, loben, weil man, um zacht (sanft) zu sein, moedig (mutig) sein müsse. Oder die ultimative Begründung dafür liefern, dass Geben besser ist als Nehmen: nemen fängt mit nee an. Eine von Cornelisses entzückenden Cartoonfiguren gibt schließlich zu bedenken: „Ja, aber denke daran: liefde (Liebe) ist ein werkwoord (Verb), ne. Ein werk-woord (Arbeits-Wort).“ Besser kann man das Facepalm-Potenzial von Quatschetymologie nicht illustrieren.

Schöne Bigramme (2)

Was bisher geschah: Schöne Bigramme

Basser und Drummer müssen sich einigen, ob sie den One Drop machen wollen, dann kommt statt der betonten Eins im Takt eine Pause, was Leute ohne Erfahrung im Genre gerne in den Wahnsinn treibt. (DrNI)

Ich bin mittel bis sehr stark verwundert warum der Empfang da so abrupt abrupft. (Juuro)

Ist der Chef zufällig zugegen?

Ständig wurde ich letzte Woche in Gespräche verwickelt, die nicht selten seltsam wurden.

Solange dies währte, hatten sie sich nur über unter mysteriösen Umständen hinzukommende Tassen zu wundern.

Nee, ne?

Die Proteste scheinen ja erfreulich erheblich gewesen zu sein.

Musikalisch-kulinarische Inspi­ra­tion liegt dem Bei­trag von Ste­phan Bopp (Fra­gen Sie Dr. Bopp!) zugrunde, wenn er auf­grund eines Schla­gers kon­sterniert kon­statiert: Wenn Carne sich auf Sahne reimt. (suz)

Blogspektrogramm #14

Stundenkilometer – ist das nicht ein unlogisches Wort? Welche deutschen Dialekte sind beliebt und welche weniger? Was hat es damit auf sich, dass Carne sich auf Sahne reimt? Welche grotesken Mätzchen lässt sich der Verein Deutsche Sprache auf seinem Kampf gegen Anglizismen nun wieder einfallen? Was sollte man auf Warnungen vor bürokratischen Monstern geben? Was hat es mit der „Magie“ der chinesischen Schriftzeichen auf sich? Entspricht das englische you dem deutschen du oder eher dem Sie oder keinem von beiden? All dies im aktuellen Blogspektrogramm von suz bei */ˈdɪːkæf/.