Archiv der Kategorie: Sprache

Frei erfundene Menschen, frei erfundene Namen

  • Veit Beck, Frisör
  • Baldwig Chatterslang, Politologe
  • Lou Cipher, Aktionskünstler
  • Dankwart von Ebenpfalz, Privatier
  • Menelaos von Größe, Heeresführer
  • Beengt Caperer, Meeresbiologe (Beengt: Nebenform von Bengt, caperer: lat. ich würde gefangen werden)
  • Dennis Rausch-Rabatzki, Literaturkritiker
  • Sevim Rothkelch, Psychotherapeutin
  • Felix Schwester, Psychotherapeut
  • Fran Seneca, TV-Journalistin
  • Jana Vernunft-Gewalt, Umweltingenieurin

Starke Frauen, starke Namen

  • Bach Thao Botzenhardt, Studentin
  • Oda Gebine Holze-Stäblein, Bischöfin
  • Dr. Haiyan Hu- von Hinüber, Sinologin
  • Frauke Lüpke-Narberhaus, Journalistin
  • Zoraida Maldonado de Landauer, Gefängnisdirektorin
  • Eva-Maria Tutschku-Baldrian, Gewerkschafterin
  • Fumie Wallerstein-Nishihara, Musikerin

Wie man eine Magisterarbeit nicht beginnen sollte

Neulich hielt ich eine Magisterarbeit in Händen, die so oder so ähnlich begann:

For over a century, natural language semantics has attracted much scientific interest.

Finde ich keinen gelungenen Start, denn irgendwie erwartet man gleich, dass es dann so weitergeht:

High time somebody solved it already. I will do that now.

Lieblingswörter (3)

Was bisher geschah: Schöne Wörter, Lieblingswörter, Lieblingswörter (2).

Wie schön, dass es das Wort frivol gibt! Es tritt trefflich auf den Plan, wenn jemand Anstand, Hemmungen und Bodenhaftung verloren hat und sich zu dreisten Forderungen versteigt. Anwaltsforderungen und Managerprämien sind heutzutage die primordialen Beispiele für Frivoles.

Ich mag auch das Wort Glottisverschlusslaut unheimlich. Es zwingt sich nicht zu Kürze und Prägnanz wie die englischen Namen von Konsonanten (stop, tap, flap…), sondern nimmt sich fünf rhythmisch und lautlich ausgesprochen schöne Silben lang Zeit, zu beschreiben, was es bezeichnet – und bleibt dem Uneingeweihten doch geheimnisvoll, der meist gar nicht ahnt, dass es diesen Konsonanten überhaupt gibt, mit dem doch so viele deutsche Wörter beginnen.

Erst vor wenigen Tagen habe ich beschlossen, das Adverb unnachsichtig unnachsichtig ins Herz zu schließen. Es scheint auf den ersten Blick nur zu unfreundlichen Handlungen zu passen, auf den zweiten Blick finde ich aber, dass es viel besser zu leidenschaftlichen, entschlossenen, gründlichen Tätigkeiten passt, die im Gegenteil der Liebe und dem aufrichtigen Streben nach einer besseren Welt entspringen. „Unnachsichtig rückte er den Soßenflecken zuleibe.“ – „Sie unterzog die Software ihres Vorgängers einem Prozess unnachsichtigen Refaktorierens.“ – Und hier eine der gelungensten Formulierungen aus Sten Nadolnys Gott der Frechheit (aus dem Gedächtnis zitiert): „Nichts wie fort von hier, in ein nahes Bett und unnachsichtig ihre Brüste zum Wirbeln bringen, den Gründelkolben im Urstromtal.“

Das Wort Urübel besteht aus zwei leicht archaischen Bestandteilen und mutet damit genau so alt und undurchschaubar an, wie das Unheimliche, das damit bezeichnet wird. Trotzdem kann man es immer wieder gut verwenden: „Das Urübel sind sicherlich die Vorstellungen unseres Chefs von Softwarearchitektur.“ (Man merkt heute an meinen Beispielsätzen, dass ich in letzter Zeit viel auf The Daily WTF unterwegs war.)

Verlassen wir zum Schluss meiner Mutter Zunge und fügen der Liste sorsastus hinzu, was mir zunächst wie apokryphes Kirchenlatein klang, tatsächlich aber finnisch ist und Entenjagd bedeutet – ein Auseinanderklaffen von erstem Eindruck und Tatsächlichkeit, der den Lieblingswortstatus schon rechtfertigt, wie ich finde.

Zuallerletzt tarpit (Teergrube): Formschön zusammengesetzt aus zwei dreibuchstabigen Bestandteilen übt dieser Vertreter der englischen Lexis seinen Reiz ebenfalls durch einen Kontrast aus, nämlich den aus dem knackigen, unschuldigen, fast zwitschernden Klang und dem doch sehr düsteren und gefährlichen Sinn, der auch gerne mal übertragen wird, wie etwa in Turing tarpit.

Beliebigkeit

Mein Bullshitdetektor (der zwischen den lokalen Ohren) hat nun auch das Wort Beliebigkeit erlernt. Er springt besonders stark an, wenn davon die Rede ist, dass Toleranz, Freiheit oder Offenheit nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden dürfe.

Freiheit bedeutet für mich, dass man mir nicht ohne guten Grund etwas verbietet oder mich zu etwas zwingt. Toleranz bedeutet für mich dasselbe aus der anderen Perspektive: den Leuten nicht ohne guten Grund etwas verbieten oder sie dazu zu zwingen. Eine gute Sache und leicht zu kapieren: Ich darf alles, solange ich den Menschen und der Gesellschaft damit nicht schade. Leicht ist auch zu kapieren, wann man einem Menschen schadet. Schwer zu definieren ist, wann man der Gesellschaft schadet. Ich glaube, noch keine Gesellschaft ist, um zu funktionieren, ohne ein paar ziemlich willkürliche Gesetze ausgekommen, die den einen mehr nützten als den anderen. Doch ich schweife ab.

Dass mir bei der Ausübung meiner Freiheit gewisse moralische und juristische Grenzen gesetzt sind, ist also sowieso klar. Wozu dient dann der Slogan „Freiheit/Toleranz/Offenheit ist nicht Beliebigkeit“? Populär ist er bei den Experten für Verbieten und Vorschreiben ohne guten Grund: Kirchen und konservativen Parteien. Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, sprach zum Dialog der Religionen:

Die Religionen können Beispiele gelebter Toleranz bieten. Sie können zeigen, wie Menschen unterschiedlicher Überzeugungen und Lebensformen in wechselseitiger Achtung miteinander leben können. Eine Vorstellung von Toleranz ist dabei freilich vorausgesetzt, die mit gleichgültiger Beliebigkeit nicht zu verwechseln ist. Toleranz setzt vielmehr voraus, dass Menschen zu dem stehen, was ihnen wichtig ist, und deshalb achtungsvoll mit dem umgehen, was anderen wichtig ist.

Alles klug und richtig, außer zwischen den Zeilen. Warum spricht er von „gleichgültiger Beliebigkeit“ und nicht einfach von „Gleichgültigkeit“? Beliebigkeit zu verneinen heißt, auf Grenzen hinzuweisen. Grenzen, die nicht unbedingt gute Gründe haben, sonst verstünden sie sich ja von selbst. Ich glaube, der Bischof will hier eine Klientel bedienen, die heraushören möchte, dass alle Religionen gleichgestellt sein sollen, aber das Christentum immer ein wenig gleichgestellter. Die Katholiken werden da wie üblich deutlicher:

Der Staat ist nach Meinung von [Erzbischof Reinhard] Marx dennoch nicht verpflichtet, alle Religionen völlig identisch zu behandeln. „Bei der Ausgestaltung des staatlichen Verhältnisses zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften sind die verschiedenen Religionen an ihrem konstruktiven Beitrag zu Staat und Gesellschaft zu messen, wenn der Staat seine Grundlagen und seine Freiheitsfähigkeit langfristig sichern will“, betonte Marx.

(…) Dank der Trennung von Staat und Kirche sei unser Staat heute weltanschaulich offen, was aber nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden dürfe.  Angesichts der Herausforderungen von unterschiedlichen Religionen bestehe ein großes Potential an Gesprächs- und Diskussionsbedarf über die Stellung von Kirche und Staat, erklärte die Landtagspräsidentin [Barbara Stamm].

Übt ihr eure Religion frei aus, höre ich da heraus, aber nicht beliebig – und die Definition des Unterschieds behalten wir als politische Hegemone uns vor.

Lassen wir DJ Kosmoprolet das letzte Wort:

Andererseits ist es eben nicht Beliebigkeit im Sinne von ‚anything goes‘. Natürlich geht alles, und der/die DJ’n darf auch prinzipiell alles, auch zwei – auch energiemäßig – sich widersprechende Tracks spielen. Selbstverständlich auch gleichzeitig. Auch drei oder mehr. Völlig egal. Es muss nur geil sein.

Andererseits ist es eben nicht Beliebigkeit im Sinne von ‚anything goes‘. Natürlich geht alles, und der/die DJ’n darf auch prinzipiell alles, auch zwei – auch energiemäßig – sich widersprechende Tracks spielen. Selbstverständlich auch gleichzeitig. Auch drei oder mehr. Völlig egal. Es muss nur geil sein.