Was bisher geschah: Schöne Wörter, Lieblingswörter, Lieblingswörter (2).
Wie schön, dass es das Wort frivol gibt! Es tritt trefflich auf den Plan, wenn jemand Anstand, Hemmungen und Bodenhaftung verloren hat und sich zu dreisten Forderungen versteigt. Anwaltsforderungen und Managerprämien sind heutzutage die primordialen Beispiele für Frivoles.
Ich mag auch das Wort Glottisverschlusslaut unheimlich. Es zwingt sich nicht zu Kürze und Prägnanz wie die englischen Namen von Konsonanten (stop, tap, flap…), sondern nimmt sich fünf rhythmisch und lautlich ausgesprochen schöne Silben lang Zeit, zu beschreiben, was es bezeichnet – und bleibt dem Uneingeweihten doch geheimnisvoll, der meist gar nicht ahnt, dass es diesen Konsonanten überhaupt gibt, mit dem doch so viele deutsche Wörter beginnen.
Erst vor wenigen Tagen habe ich beschlossen, das Adverb unnachsichtig unnachsichtig ins Herz zu schließen. Es scheint auf den ersten Blick nur zu unfreundlichen Handlungen zu passen, auf den zweiten Blick finde ich aber, dass es viel besser zu leidenschaftlichen, entschlossenen, gründlichen Tätigkeiten passt, die im Gegenteil der Liebe und dem aufrichtigen Streben nach einer besseren Welt entspringen. „Unnachsichtig rückte er den Soßenflecken zuleibe.“ – „Sie unterzog die Software ihres Vorgängers einem Prozess unnachsichtigen Refaktorierens.“ – Und hier eine der gelungensten Formulierungen aus Sten Nadolnys Gott der Frechheit (aus dem Gedächtnis zitiert): „Nichts wie fort von hier, in ein nahes Bett und unnachsichtig ihre Brüste zum Wirbeln bringen, den Gründelkolben im Urstromtal.“
Das Wort Urübel besteht aus zwei leicht archaischen Bestandteilen und mutet damit genau so alt und undurchschaubar an, wie das Unheimliche, das damit bezeichnet wird. Trotzdem kann man es immer wieder gut verwenden: „Das Urübel sind sicherlich die Vorstellungen unseres Chefs von Softwarearchitektur.“ (Man merkt heute an meinen Beispielsätzen, dass ich in letzter Zeit viel auf The Daily WTF unterwegs war.)
Verlassen wir zum Schluss meiner Mutter Zunge und fügen der Liste sorsastus hinzu, was mir zunächst wie apokryphes Kirchenlatein klang, tatsächlich aber finnisch ist und Entenjagd bedeutet – ein Auseinanderklaffen von erstem Eindruck und Tatsächlichkeit, der den Lieblingswortstatus schon rechtfertigt, wie ich finde.
Zuallerletzt tarpit (Teergrube): Formschön zusammengesetzt aus zwei dreibuchstabigen Bestandteilen übt dieser Vertreter der englischen Lexis seinen Reiz ebenfalls durch einen Kontrast aus, nämlich den aus dem knackigen, unschuldigen, fast zwitschernden Klang und dem doch sehr düsteren und gefährlichen Sinn, der auch gerne mal übertragen wird, wie etwa in Turing tarpit.
Stimmt, „sorsastus“, das eigentlich „wörtlich“ nur so etwas wie „Enterei“ bedeutet, hatte ich auch schon mal irgendwo gelesen. Kann leider aus Gewissensgründen keines meiner Lieblingswörter werden, ebenso wie die analog konstruierten
kalastus = Fischerei
metsästys = „Wälderei „= Jagd, man beachte die Vokalharmonie!
Noch ein paar wegen der Nominalisierung auf -us nach apokryphem Kirchenlatein klingende Wörter mit profanen Bedeutungen:
sarastus = Morgendämmerung
rokotus = Impfung
pelastus = Rettung
omistus = Besitz/Widmung
istutus = Bepflanzung
harrastus = Hobby
avustus = Unterstützung
alustus = Referat
elatus = Unterhalt (gut, das ist auch auf Latein ein Wort)
huvitus = Vergnügen
karkotus = Verbannung
lunastus = Erlösung
Mir fällt gerade auf, dass einige davon doch eine sakrale Bedeutung haben, zumindest pelastus, lunastus und karkotus könnte man leicht in einer Kirche hören :-)
‚Glottisverschlusslaut‘ assoziiere ich leider unwillkürlich (unnachsichtig?) mit Verdauungsproblemen. Übrigens habe ich auch schon oft mit ‚Auslautverhärtung‘ für Heiterkeit bei unwissenden Verhärtern gesorgt.
harrastus, a(-)lustus, elatus und lunastus finde ich ganz besonders toll!
„Dieser Objektbaum enthält also auch nicht so viele Daten. Trotzdem hat sich die virtuelle Maschine 550 MB Arbeitsspeicher gekrallt. Es ist frivol. Es ist schlicht frivol.“