Archiv der Kategorie: Sprachen

Plötzlich transitiv

gegangen werden ist des Übertreibers Wort der Woche, dazu habe ich noch was im Nähkästchen.

Es ist ein bekannter Witz: Deutsche Verben, die ihr Perfekt mit dem Hilfsverb sein bilden, zuvörderst Verben der Bewegung, zuvörderst Verben der Wegbewegung, werden wider die Regeln des Standarddeutschen transitiv gebraucht, als Kausativ zu ihrer intransitiven Variante: „Ich dachte, du wärst abgereist worden“, flachst Frank in Wolfgang Hohlbeins Spiegelzeit, „Die ist gegangen worden“, „Der ist zurückgetreten worden“, hört man alleweil, „Queen Elizabeth ist dann ja auch gestorben… gestorben worden…“, sinnierte der Lehrer in meinem Geschi-Strafkurs einst. Der Witz funktioniert so gut, weil das Hilfsverb werden sein Perfekt auch mit sein bildet und man nur ein worden an den Verbalkomplex anzuhängen braucht, um den Sinn des Satzes für den Hörer unerwartet zu ändern. Verstohlen und augenzwinkernd zuzugeben, dass Unfreiwilligkeit im Spiel war.

Nicht immer ist die Transitivierung ein Witz: Das Verb trocknen zum Beispiel funktioniert wirklich so. „Die Wäsche ist getrocknet“ kann man genau so gut sagen wie „Die Wäsche ist getrocknet worden.“ Neuerdings gilt das anscheinend auch für umziehen: „Im Lauf des Juli konnte die Wörterbuchsoftware schrittweise auf ihre neue Heimat umgezogen werden“, meldete LEO neulich. Auch dem intransitiven auf etwas stoßen (etwas zufällig entdecken) hat sich ziemlich unbezweifelt ein transitives jemanden auf etwas stoßen (jemandem etwas zeigen) beigesellt.

Nun zurück zu kreativen Neubildungen. „Klasse Idee! Wie ist dir das nur wieder eingefallen?“ Ein bescheidener Mensch könnte darauf antworten: „Eigentlich ist es mir von meinen Freunden eingefallen worden.“ Ein trefflicherer Kausativ wäre hier eingefällt, weil es zu fallen ja schon fällen gibt, aber gut. Oder hier, man stelle sich diese Szene vor: Geheimrat von Fontheweg betrat mein Büro. Seine Fliege saß schief, seine Hose war dreckig, sein Haar wirr und sein Gesicht leicht zerschrammt. Er keuchte vor atemloser Entrüstung. „Sie werden es nicht glauben, mein Freund!“, rief er aus, „Soeben bin ich auf dem Gang hinterhältig gestolpert worden!“ In beiden Fällen lassen adverbiale Ergänzungen – von meinen Freunden, hinterhältig – schon vor der Zeit vermuten, dass ein worden folgen wird, doch witzig ist es immer noch. Sind Sprachspiele ja immer.

Besondere Konjunktionen

Einige Wörter, die im heutigen Deutsch normalerweise nur als Adverbien auftreten, haben in alterthymlichen und sehr formalen Texten eine geheime zweite Identität als unterordnende Konjunktionen:

Ihnen ist es geboten, als Juden zu überleben, ansonsten das jüdische Volk unterginge.
Emil Ludwig Fackenheim, Die gebietende Stimme von Auschwitz

Dutzende einander duzende medizinstudentinnen zierten sich, sezierte zu siezen, darob der professor wütend befahl, sie sollen sich, bis auf eine, die vorgab, jungfrau zu sein, entfernen und heute ihre häute zu markte tragen.
zeze, Das mädchen mit der hosenscharte

(…) elliptisch oder geradlinig vibrirt, je nachdem die Iucidenzen zwischen jenen Grenzen liegen oder nicht.
Jamin, Ueber die Reflexion des Lichts an der Oberfläche von Flüssigkeiten. In: Annalen der Physik und Chemie, Band 165, Nummer S2, S. 269-288 (aus einem Google-Snippet, OCR-Fehler behutsam entfernt).

Der Inhaber des genannten Sparbuches wird aufgefordert, seine Rechte innerhalb von drei Monaten unter Vorlage der Sparurkunde geltend zu machen, widrigenfalls die Urkunde für kraftlos erklärt wird.
Amstblatt des Landkreises Roth 25/2002

He used to lose six iPods

Ich versuche derzeit, ein Gefühl für den russischen imperfektiven und perfektiven Aspekt zu bekommen. Da wundert es mich, dass der folgende englische Satz grammatisch korrekt ist:

He used to lose at least half a dozen iPods to relentless and cunning thieves, continually able to outsmart him and relieve him of his portable music boxes.
Engadget

Denn used to-Sätze sind ja geradezu Musterbeispiele für imperfektiven Aspekt, während man bei der Angabe der Anzahl der iPods eigentlich perfektiven Aspekt erwarten würde.

Swill

1999, als ISDN noch state of the art war und viele noch gar keinen Internetanschluss hatten, verteilte T-Online auf Schulhöfen ein „Multimedia-Magazin“ titels taste. Es war eine CD-ROM mit bunten Menüs und Clips, mit Fotos, Tratsch und Freizeittipps. Eine Rubrik stellte unter großem Hallo und animierten Schriftzügen dekadente Fantasieköstlichkeiten vor. Man wurde z.B. instruiert, eine Frisbeescheibe mit Speiseeis zu füllen, in Piña Colada zu tauchen und in der Badewanne auszulecken, oder so ähnlich. Ich schwöre, dass diese „ultimativen Genüsse“ Swill genannt wurden. Das ist englisch und bedeutet Küchenabfall, Schweinefutter.

QUELLE shop

Ich sehe einen QUELLE shop, und es schießt mir durch den Kopf: Das ist ein falscher Imperativ, es muss QUILL shop heißen. Kann aber auch nicht sein, denn heutzutage gibt es doch keine Läden für Federkiele mehr…

Englisch

Ex-Bundespräsident Heinrich Lübke wird der unvergessliche Ausspruch „Equal goes it loose.“ zur Last gelegt. Ich hab da noch was Schönes: „How itself that yes also belongs.“