Da hat sich die Natur schon was bei gedacht

Frau Schäfer, unsere Biolehrerin, war immer sehr darauf bedacht, dass wir unser Verständnis evolutionärer Mechanismen nicht durch teleologische Metaphern umwölken. Sie verbot uns zu sagen, dass die Giraffe einen langen Hals hat, damit sie Blätter von hohen Bäumen essen kann, nein, der lange Hals hatte einen evolutionären Vorteil dargestellt und sich daher in der Art erhalten. Verständlich, doch mit der Behauptung, teleologische Beschreibungen evolutionärer Vorgänge seien falsch, hatte und habe ich meine Schwierigkeiten – schließlich sind es doch nur Metaphern zur Beschreibung derselben Wirklichkeit.

Den Einwand, in der Evolution spiele Zufall eine viel zu große Rolle, um sich die Kombination aus Mutation und Selektion als planerischen Geist vorzustellen, lasse ich nicht gelten: Unsere Vorstellung von Intelligenz ist ja eine, die auf der Anschauung von Gehirnen basiert, die selbst durch evolutionäre Prozesse zustandegekommen sind und bei denen daher der Zufall jede Chance hatte, Quirks einzubauen, die sich in den Werken dieser Intelligenz fortsetzen.

In diesem Sinne kann man, mit dem gebotenen ironischen Unterton, durchaus ab und zu mal feststellen: Da hat sich die Natur schon was bei gedacht.

11 Gedanken zu „Da hat sich die Natur schon was bei gedacht

  1. DrNI

    Mit genau dieser Giraffe hatte ich auch ein Problem. Wenn nämlich die Giraffe immer besser Blätter pflücken kann, weil ihr über Generationen so ein langer Hals wächst, dann ist sie irgendwann darauf angewiesen, Blätter zu pflücken, sie hat dann einen so langen Hals, damit sie das kann. (Irgendwie ist der Gedanke immer noch schwer auszudrücken, mein Ethik-Lehrer damals hatte jedenfalls bei der Giraffe sowieso seine Meinung und die musste bei allen Diskussionen als Ergebnis rauskommen, was für ein hermeneutischer Durchfall.)

  2. David

    Verständlich, doch mit der Behauptung, teleologische Beschreibungen evolutionärer Vorgänge seien falsch, hatte und habe ich meine Schwierigkeiten – schließlich sind es doch nur Metaphern zur Beschreibung derselben Wirklichkeit.

    Als Metaphern sind sie vielleicht manchmal nützlich, wenn man weiß, wovon man eigentlich redet.

    Aber würde man sagen wollen, daß das Gestein der Erdkruste an manchen Stellen weicher war als an anderen, damit der Colorado den Grand Canyon herausfressen konnte? Oder daß die indische Platte begonnen hat, sich unter die eurasische zu schieben, damit der Himalaya entsteht?

  3. David

    Au contraire. Die Selektion zwischen unterschiedlich harten Gesteinsarten hat eine teilweise fast zwei km tiefe Furche im Boden von Arizona hinterlassen. Die Wahl bestimmter Konvektionsströmungen hat über 8 km hohe Hubbel nördlich des indischen Subkontinents aufgeworfen.

    Und es geht auch crossover: Vermutlich schlug vor 65 Millionen Jahren ein Meteorit auf der Erde ein, damit die Dinosaurier aussterben.

  4. ke Beitragsautor

    Ich verstehe deine Metapher nicht. Was wurde selegiert, was wurde nicht selegiert, wie wurde selegiert und nach welchem Kriterium?

  5. David

    Nun, endlich…

    Ich habe wohl auch darum so lange mit der Antwort gewartet, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß wir tatsächlich einen großen Dissens in der Sache haben (was die Wirklichkeit betrifft). Meine Position ist aber, und da haben wir dann vielleicht doch einen großen Dissens in der Sache (was die Wirklichkeit betrifft), daß sich teleologisches Vokabular beim Reden über die Evolution verbietet, sofern man nicht im weitesten Sinne eine Variante von Intelligent Design vertritt.

    Zunächst zu Deiner Frage zu meinem letzten Kommentar: Zumindest was die Entstehung des Grand Canyon betrifft, läßt sich recht einfach sagen, welche Art von Selektion vorlag: Weiches Gestein wurde fürs Abtragen selegiert, härteres fürs Bleiben. Remaining of the hardest. Ich sehe keinen prinzipiellen Grund, weshalb das nicht in gleicher Weise Selektion sein sollte, wie es Selektion ist, daß manche Viecher eine globale Katastrophe überleben und viele andere nicht.

    Eigentlich gibst Du, was ich Dir entgegenhalten würde, schon zu:

    Den Einwand, in der Evolution spiele Zufall eine viel zu große Rolle, um sich die Kombination aus Mutation und Selektion als planerischen Geist vorzustellen, lasse ich nicht gelten

    Den – eigentlich auch banalen – Umstand, daß teleologisches Vokabular einen planenden Geist voraussetzt, gestehst Du umstandslos zu. Mein Problem damit ist: Von einem ordentlichen Plan erwarte ich, daß er im vorhinein feststeht, und – in aller Regel – daß der Versuch, ihn in der empirischen Welt umzusetzen, schiefgehen kann. Ex-post-Konstruktionen von Evolutionsplänen erfüllen beides nicht: Zum Einen war niemand da, der im vorhinein wußte, wo er hin wollte. Teleologisches Vokabular suggeriert aber genau das, weil es die Existenz von Plänen suggeriert, ein Plan ohne einen Planer, der ex ante ein Ziel vor Augen hat, aber ein Nicht-Plan ist. Zum Anderen besteht auch keine Möglichkeit, daß ein Plan hätte schiefgehen können, denn der ‚Plan‘ wird ja ex post konstruiert, um das Werden des Seienden zu erklären. Da das Seiende nunmal bereits rumwest, muß man den Plan vom Ziel ausgehend rekonstruieren, und somit geht jeder solche Plan perfekt auf. Wir versetzen die Evolution, wenn wir sie teleologisieren, also dorthin, wo jedwedes Wollen Zugleich ein Können ist*.Und eigentlich wollten wir da wahrscheinlich nicht hin, denn anders als als eine Variante von ID kann ich dieses Ergebnis nicht sehen, und ich sehe keine Möglichkeit, gleichzeitig teleologisches Vokabular zu verwenden und diese Konsequenz zu vermeiden. Und irgendwie habe ich den Eindruck, daß Du es insgeheim ähnlich siehst:


    In diesem Sinne kann man, mit dem gebotenen ironischen Unterton, durchaus ab und zu mal feststellen: Da hat sich die Natur schon was bei gedacht.

    Weshalb ist denn ein ironischer Unterton geboten? Ich glaube nicht, daß die Verwendung von Metaphern als solche einen ironischen Unterton verlangt, denn sonst würde man vielleicht kaum noch einen anderen Ton hören. Überhaupt gerechtfertigt erscheint mir der ironische Unterton nur dann, wenn sich die Natur in Wirklichkeit eben nichts dabei gedacht hat. Wir sind uns – hier wieder mein anfänglich erwähntes Problem – wahrscheinlich auch darin einig, daß das so ist. Aber dann ist es für mich ein notwendiger Schluß, das teleologische Formulierungen strenggenommen falsch sind – und deshalb höchstens mit ironischem Unterton verwendet werden sollten.


    Unsere Vorstellung von Intelligenz ist ja eine, die auf der Anschauung von Gehirnen basiert, die selbst durch evolutionäre Prozesse zustandegekommen sind und bei denen daher der Zufall jede Chance hatte, Quirks einzubauen, die sich in den Werken dieser Intelligenz fortsetzen.

    Diesen Teil verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht ganz. Dem ersten Satz würde ich noch ganz klar widersprechen: Meine Vorstellung von Intelligenz jedefalls basiert nicht auf der Anschauung von Gehirnen. Auf fMRT-Bildern habe ich die Intelligenz nie irgendwo sehen können, und ich glaube auch, daß die Hirnforschung noch weit davon entfernt ist, Intelligenz und Hirn mittels einer vernünftigen Theorie wirklich brauchbar in Verbindung zu setzen. Bis dahin beschränke ich mich auf einen Begriff von Intelligenz, der aus der Anschauung von Handlungen resultiert.

    Natürlich ist aber auch die menschliche Intelligenz in irgendeinem Sinne auch ein Produkt der Evolution. Wie genau daraus irgendwas für die planerische Aktivität der Evolution selbst ergeben soll, ist mir noch unklar. Ich vermute derzeit, daß es sich um eine Variante der kantischen These handelt, daß wir „Zweck“ im Rahmen unseres Erkennens ständig wahrnehmen müssen, weil wir so nunmal erkennen. Ist das richtig? Meines Wissens wird allerdings gerade die Evolutionstheorie vielfach als das Argument schlechthin gegen diese These in dieser Form betrachtet. Auch von mir.

    *Göttliche Komödie, Dritter Gesang

  6. ke Beitragsautor

    Zumindest was die Entstehung des Grand Canyon betrifft, läßt sich recht einfach sagen, welche Art von Selektion vorlag: Weiches Gestein wurde fürs Abtragen selegiert, härteres fürs Bleiben. Remaining of the hardest.

    Ah, jetzt verstehe ich. Ich dachte, du meintest so was wie Selektion zwischen verschiedenen Welten – manche mit unterschiedlich harten Gesteinsarten, manche ohne.

    Ich sehe keinen prinzipiellen Grund, weshalb das nicht in gleicher Weise Selektion sein sollte, wie es Selektion ist, daß manche Viecher eine globale Katastrophe überleben und viele andere nicht.

    Stimmt, gebe ich zu.

    Von einem ordentlichen Plan erwarte ich, daß er im vorhinein feststeht, und – in aller Regel – daß der Versuch, ihn in der empirischen Welt umzusetzen, schiefgehen kann.

    Stimmt, daran hatte ich nicht gedacht. Dann liegt die Hürde für die Richtigkeit teleologischen Vokabulars nun auch aus meiner Sicht zu hoch, um noch genommen zu werden. Ich stehe korrigiert, zu meiner Freude, denn das heißt, dass ich die Reden der ID-Vertreter wieder noch vorbehaltloser als falsch brandmarken kann.

    Der Vollständigkeit halber versuche ich noch zu erklären, wie ich das mit unserer Vorstellung von Intelligenz meinte:


    Unsere Vorstellung von Intelligenz ist ja eine, die auf der Anschauung von Gehirnen basiert, die selbst durch evolutionäre Prozesse zustandegekommen sind und bei denen daher der Zufall jede Chance hatte, Quirks einzubauen, die sich in den Werken dieser Intelligenz fortsetzen.

    Diesen Teil verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht ganz. Dem ersten Satz würde ich noch ganz klar widersprechen: Meine Vorstellung von Intelligenz jedefalls basiert nicht auf der Anschauung von Gehirnen. Auf fMRT-Bildern habe ich die Intelligenz nie irgendwo sehen können, und ich glaube auch, daß die Hirnforschung noch weit davon entfernt ist, Intelligenz und Hirn mittels einer vernünftigen Theorie wirklich brauchbar in Verbindung zu setzen. Bis dahin beschränke ich mich auf einen Begriff von Intelligenz, der aus der Anschauung von Handlungen resultiert.

    Einverstanden, streiche von Gehirnen, setze ein: der Handlungen von Organismen. Ist für mein Argument ohne Konsequenzen.

    Natürlich ist aber auch die menschliche Intelligenz in irgendeinem Sinne auch ein Produkt der Evolution.

    Genau, darauf kam es mir an, ob man sie jetzt mit Hirnen in Verbindung bringt oder nicht.

    Wie genau daraus irgendwas für die planerische Aktivität der Evolution selbst ergeben soll, ist mir noch unklar.

    Daraus soll sich nichts für die planerische Aktivität der Natur selbst ergeben. Ich meinte nur, dass die Vorstellung eines intelligenten Designers nicht beinhalten muss, dass dieser Designer nur perfekte Pläne macht und sie auch perfekt ausführt, weswegen der Verweis auf die zufälligen Imperfektionen der existierenden Natur kein Argument gegen die Designermetapher wäre.

    Ich vermute derzeit, daß es sich um eine Variante der kantischen These handelt, daß wir „Zweck“ im Rahmen unseres Erkennens ständig wahrnehmen müssen, weil wir so nunmal erkennen. Ist das richtig? Meines Wissens wird allerdings gerade die Evolutionstheorie vielfach als das Argument schlechthin gegen diese These in dieser Form betrachtet. Auch von mir.

    Ich weiß nicht, auf welche These in welchem Zusammenhang du anspielst (verwendest du Zweck unzählbar oder fehlt in dem Satz was?). Ich vermute mal, ich habe nichts dergleichen gemeint.

  7. David

    Wußte ich doch, daß wir im Wesentlichen nicht weit auseinanderliegen dürften.

    Muß jetzt erstmal Kant lesen, bevor ich den Rest wirklich brauchbar aufzuklären versuchen kann. Befürchte gerade, diesbezüglich vielleicht Unsinn geschrieben zu haben. Gerade für den alten Kant dürfte mehr noch als für viele andere gelten: Gib nur wieder, was Du selbst genau studiert hast, auf daß Du nicht grauenhaft fällst und immerdar widerlich wirst bluten müssen im Angesicht Deiner laut und boshaft lachenden Feinde.

    Bis dahin, as regards plans: http://www.youtube.com/watch?v=RrJXYiMNtyo

  8. David

    Mit „Feind“ bist natürlich nicht Du gemeint, aber is ja alles hier öffentlich, und ich bin mit meinem Klarnamen unterwegs weil HP Friedrichs größter Fanboy.

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