Es gehört schon einige Chuzpe dazu, so eine Fortsetzung rauszubringen: Nachdem der Schriftsteller Hildegunst von Mythenmetz in Die Stadt der träumenden Bücher von der Lindwurmfeste nach Buchhaim gereist war, ausführlich die Stadt kennenlernte, Bekanntschaft mit Hachmed Ben Kibitzer schloss und schließlich sagenhafte Abenteuer in den Katakomben von Buchhaim erlebte, reist in Walter Moers’ neuem Buch Das Labyrinth der träumenden Bücher der mittlerweile 200 Jahre ältere Hildegunst von Mythenmetz von der Lindwurmfeste nach Buchhaim, reminisziert seine Abenteuer in der Stadt und trifft Hachmed Ben Kibitzer wieder. Darüber hinaus ist ein zentraler Teil des neuen Romans eine Nacherzählung des ersten, in Form eines detailiert ausgemalten Puppentheaterstücks. Und schließlich endet der Schinken mit einem Cliffhanger, wiederum am Eingang der Katakomben.
Hat Moers hier aus Ideenlosigkeit einen bloßen zweiten Aufguss seines Bestsellers von 2004 vorgenommen? Noch dazu über zwei oder mehr Bände gestreckt und mit einem Aufguss im Aufguss, dem Theaterstück? Zahlreiche enttäuschte Rezensionen sehen es ungefähr so. Aber die stammen bestimmt von denselben Leuten, die von Die Stadt der träumenden Bücher damals völlig begeistert waren. Ich hingegen äußerte mich unter dem Pseudonym Inuk Latuda kritisch und bin jetzt mit Buchhaim eher versöhnt.
Ich sehe mit Wohlgefallen, dass Moers den Kardinalfehler, wieder und wieder auf die allerschrecklichste vorstellbare Gefahr die allerallerschrecklichste vorstellbare Gefahr zu türmen, diesmal vermieden hat. Es sind nicht länger Stapel von Superlativen und furchtbaren und furchtbareren Monstern, die die Lesefröschchen bei der Stange halten sollen, sondern veränderte Perspektiven: der zeitliche Abstand, die inzwischen gemachten neuen Erfahrungen Mythenmetz’, die Veränderungen, die die Gesellschaft des wiederaufgebauten Buchhaim und ihre Werteordnung mitgemacht haben, die veränderte Sichtweise des Protagonisten auf manche Dinge, und im Falle des Puppentheaterstücks die sehr einfallsreich ausgemalte künstlerische Form, in die die Heldensage aus dem ersten Teil diesmal gekleidet wird. Natürlich verdankt sich meine Begeisterung darüber auch meiner Theaternarretei. Es sind nicht die konkreten, großen, schweren und lauten Dinge, die neu sind, sondern eher die abstrakten, kleinen, leichten und leisen. Das sagt mir mehr zu.
Da die Fortsetzung vermutlich wieder in den Katakomben spielen wird, muss man sich natürlich Sorgen machen, dass Moers doch wieder darein zurückfallen wird, lebensgefährliche Situationen auf einen dürre Handlungsschnur zu fädeln. Andererseits traue ich ihm durchaus zu, mich noch einmal positiv zu überraschen.
Ich musste mehrfach über Deine Passage, was Dir an dem Buch gefällt, lesen, verstehe Deine Argumente aber immer noch nicht.
1. Ist es nicht ein ähnlicher „Kardinalfehler“, wenn Mythenmetz vom freudentrunkensten Moment seines ganzen Lebens in den tiefsttraurigen wechselt, innerhalb von Sekunden, und das wiederholt (vor allem in der Theateraufführung)?
2. „die inzwischen gemachten neuen Erfahrungen Mythenmetz’ […] die veränderte Sichtweise des Protagonisten auf manche Dinge“
Beispiele bitte. Mythenmetz hat sich m.E. in 200 Jahren nicht entwickelt. Sein Intellekt entspricht dem eines Zweitklässlers.
3. „die Veränderungen, die die Gesellschaft des wiederaufgebauten Buchhaim und ihre Werteordnung mitgemacht hat,“
a) Nach dem Brand hat man in Buchhaim alles den Büchern gewidmet, und jetzt endlich ist alles Buch- (der Buchimismus), mehr als es vorher je war.
b) Nach dem Brand hat man in Buchhaum alles dem Theater gewidmet, und Bücher interessieren niemanden mehr.
Da leben die Einwohner wohl in zwei Parallelwelten.
1. Immerhin liegt darin eine gewisse Dynamik. Ein Schritt in die richtige Richtung. ;-)
2. Beispiele? Gnorch, da muss ich das Buch ja nochmal lesen. Naja, ich erinnere mich, dass er eine steile Karriere, eine gewisse Hybris und eine teilweise Läuterung hinter sich hat.
3. Oder zumindest Subkulturen.
3. Subkulturen, die sich für stadtbestimmend halten. Aber in Zamonien ist das okay. Moers dürfte im nächsten Band auch eröffnen, dass Buchhaim übrigens schon immer die berühmtesten Steinmetze Zamoniens hatte, und dass eigentlich jeder Buchhaimer das zum Hobby hat.
2. Um genau da anzukommen, wo er schon immer gewesen ist.
Dem unsäglichen Erwartungsdruck eines alleswiedergutmachenden zweiten Teils zu entgehen, hülfe wohl nur das unsichtbare Theater tatsächlich dem Leser zu übereignen, demzufolge von einer Fortsetzung abzusehen. Das wäre sicher auch in mythenmetzschem Sinn, radikal wie er schon immer war / gewesen sein wird.
Das ist in der Tat der radikalste Vorschlag, den ich dazu bislang gehört habe. Moers müsste nur sagen, bei der Übersetzung von Mythenmetz‘ Original würde soviel vom Orm verloren gehen, dass es einfach unangebracht wäre, es auch nur zu versuchen.
Irritiert, als sich der Lesespaß nicht so recht einstellen wollte, fragte ich mich erst, ob nun meine Leseansprüche oder aber Moers‘ Schreibstil sich so verändert haben, dass ich das Labyrinth so etwa nach Kibitzers Tod einfach nur noch stinklangweilig fand. Habe dann parallel dazu nochmal Rumo gelesen und fand doch eher die zweite Vermutung bestätigt.
Dass ab etwa der Hälfte so in etwa gar nichts mehr passiert, sei verzeihlich; dass Moers über weite Strecken fast nicht passieren lässt, was die Handling vorantreibt, ist altbekannt. Doch hat er es früher geschafft, die Spannung aufrechtzuerhalten. Und die hat mir beim Labyrinth dann einfach gefehlt. Der ganze Puppetismus… die Theatervorstellung… die ganze Zeit hat man nur darauf gewartet, dass endlich wieder was interessantes passiert – aber da kam nichts. Am schlimmsten waren Mythenmetz‘ Notizen zum Puppetismus. Ca. 50 Seiten vor Schluss, als mir klar wurde, dass da nichts mehr kommt, wollte ich erst aufhören, hab dann aber fairerweise noch bis zum Schluss durchgehalten, das Buch war schließlich teuer…
Also ich muss sagen, ich bin fast auf ganzer Linie enttäuscht. Die (ich muss es so hart sagen) Verarsche, am Ende zu sagen, oh hoppla, das war nur eine Exposition zum eigentlichen Buch, könnte ich noch mit Bauchschmerzen durchgehen lassen – wenn, ja wenn das ganze wenigstens lesbar und halbwegs spannend gewesen wäre. Mit dem Schrecksenmeister, den ich noch ganz ok fand, hat es sich ja schon angedeutet und Moers hat es in gewisser Weise auch selbst erkannt („kein Orm mehr“). Der Zauber der ersten Werke ist wie weggeblasen – er kann es einfach nicht mehr.