Es gibt eine philosophische Geheimsprache, an der ich mir immer wieder die Zähne ausbeiße. Peter Sloterdijk zum Beispiel hat seit gefühlten tausend Jahren keinen Absatz mehr geschrieben, der nicht in dieser Geheimsprache abgefasst wäre. Aber auch die folgenden Absätze aus dem Artikel Transparent ist nur das Tote von Byung-Chul Han sind ein gutes Beispiel. Der Karlsruher Philosoph schilt darin die „Ideologie“ der Transparenz (vgl. Post-Privacy) und außerdem die Piratenpartei dafür, dass bei ihr keine Ideologien (!) zugelassen seien, aber das nur am Rande. Einleitend schreibt Han:
(…) Die Transparenzgesellschaft ist eine Positivgesellschaft. Transparent werden die Dinge, wenn sie jede Negativität abstreifen, wenn sie geglättet und eingeebnet werden, wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und Information einfügen. Transparent werden die Handlungen, wenn sie sich dem berechen-, steuer- und kontrollierbaren Prozess unterordnen. Transparent werden die Dinge, wenn sie ihre Singularität ablegen und sich ganz im Preis ausdrücken. Transparent werden die Bilder, wenn sie, von jeder hermeneutischen Tiefe, ja vom Sinn befreit, pornografisch werden. In ihrer Positivität ist die Transparenzgesellschaft eine Hölle des Gleichen.
Die Kommunikation erreicht dort ihre maximale Geschwindigkeit, wo das Gleiche auf das Gleiche antwortet, wo eine Kettenreaktion des Gleichen stattfindet. Die Negativität der Anders- und Fremdheit oder die Widerständigkeit des Anderen stört und verzögert die glatte Kommunikation des Gleichen. Die Transparenz stabilisiert und beschleunigt das System dadurch, dass sie das Andere oder das Abweichende eliminiert. (…)
Die Dichte von Fremdwörtern und Fachbegriffen ist sehr moderat. Ich störe mich auch nicht an vagen Begriffen wie die Dinge oder das Gleiche. Auf deren Bedeutung könnte man wohl im Prinzip aus dem Kontext schließen.
Wovor mein Verständnis aber kapituliert, das sind Tempus und Aspekt.
Die Geheimsprache kennt beinahe ausschließlich solche Verben, die die Änderung eines Zustandes ausdrücken. Das allerwichtigste Verb, wenn nicht Wort, der Geheimsprache überhaupt ist werden. Es kommt in dieser Passage sechsmal vor. Ansonsten zähle ich jeweils ein Vorkommen folgender zehn eindeutiger Zustandsänderungsverben: abstreifen, glätten, einebnen, einfügen, unterordnen, ablegen, befreien, stabilisieren, beschleuningen und eliminieren. Alles wird als Prozess ausgedrückt.
Leider ist keine der beschriebenen Zustandsänderungen auch nur ansatzweise in der Zeit verankert. Han sagt nichts darüber aus, wann Zustand A geherrscht hat, herrscht oder herrschen wird oder darüber, wann Zustand B geherrscht hat, herrscht oder herrschen wird. Es gibt keine Hinweise darauf, wann und wie oft der beschriebene Vorgang eingesetzt hat, einsetzt oder einsetzen wird, wie schnell er verlief, verläuft oder verlaufen wird und ob und wann er abgeschlossen war, ist oder sein wird. Vor allem fehlen Zeitangaben wie in den letzten zehn Jahren, zukünftig oder immer dann, wenn.
Auch das Tempus hilft nicht weiter. Die ganze Passage ist im Präsens geschrieben. Aber ich kann ums Verrecken nicht erkennen, ob das ein aktuelles, generelles, historisches, futurisches oder gar szenisches Präsens sein soll. Wird hier ein aktueller Prozess beschrieben oder eine allgemeine Aussage getroffen? Wenn Letzteres, geht es um einen lang andauernden oder einen sich immer wieder wiederholenden Prozess?
Schließlich die Konjunktion wenn, ein weiterer Grundpfeiler dieser Geheimsprache. Sie bedeutet hier sicher mehr, als dass Dinge zur gleichen Zeit stattfinden. Aber was? Kausation, Korrelation, Definition? Wird Transparenz durch das Abstreifen jeder Negativität verursacht? Oder treten Transparenz und das Abstreifen jeder Negativität typischerweise gemeinsam auf? Wenn ja, auf welchen Beobachtungen, in welchem Zeitraum, in welcher Kultur, an welchem Ort, beruht diese Generalisierung? Oder will Han den Begriff Transparenz hier überhaupt erst definieren, als das Abstreifen jeder Negativität (und/oder der ganzen anderen Vorgänge, von denen er schreibt)? Es bleibt das Geheimnis Hans und derer, die seine Sprache sprechen.
Ich will mich hier nicht nur lustig machen über einen schwierigen Schreibstil. Ich verstehe aufrichtig nicht, was gemeint ist. Vielleicht verstehe ich wirklich einfach nur die philosophische Fachsprache nicht. Hat dieses Präsens, haben diese Prozessbeschreibungen, hat dieses wenn in der Philosophie eine konventionelle technische Bedeutung? Wissen Fachleute, wie sie es zu interpretieren haben? Wenn ja, bitte ich um Aufklärung. Bis dahin werde ich wohl annehmen müssen, dass es sich um eine Methode zur Verschleierung handelt. Zur Verschleierung der Tatsache, dass die eigene Positon auf vagen, selbstausgedachten Zusammenhängen beruht, die man nicht begründen, geschweige denn belegen kann. Es würde mich nicht wundern.
PS: Der überwiegende Rest von Hans Artikel ist dankenswerterweise nicht in diesem Stil geschrieben.
Na, der Beitrag bringt die alte Debatte ja nochmal voran, finde ich. Danke dafür!
Interessanterweise befassen sich ja Leute wie Han auch mit Vorhersagen, aber unkonkreten, und für die Gesellschaftsentwicklung statt für Experimente. Vielleicht muss man dabei auch sowohl kompliziert als auch unkonkret sein, um nicht das „Messergebnis“ zu verfälschen oder eben genau das gesellschaftliche Ergebnis zu erhalten, das man haben will (nicht etwa das, was man vorhergesagt hat).
Volle Zustimmung, dass man in der „Zeit“ allgemeinverständlich schreiben sollte.
Erst einmal vielen Dank für diesen sprachkritischen Ansatz. Der ist im Fall der Philosophie ja durchaus angemessen und keineswegs nebensächlich, schließlich hantiert die Philosophie ja mit nichts weiter als sprachlicher Logik und im Idealfall auch nur mit Begriffen, die ähnlich randscharf definiert sind wie z.B. die Begriffe in der Juristerei.
Der Text – soweit er hier zitiert ist – ist ein schönes Beispiel für geisteswissenschaftlichen Blöff. Irgendwo zwischen den zusammengewürfelten Worten steckt sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber mit so kleinen Körnchen gibt sich ein großer Philosoph nicht ab, vielmehr folgt er dem „geilen Drang aufs Große und Ganze“ und dementsprechend nutzt er ein undefiniertes Oberwort wie „Transparenz“, um darunter alle möglichen ebenfalls nur maximal verdünnten Erscheinungen zu subsummieren. Das soll wie Fachsprache wirken, ist dies aber genau nicht, sondern nur Phrasendrescherei. Das hat in meinen Augen weniger mit der Frankfurter Schule um Adorno zu tun – die haben sich meistensteils durchaus klarer und schärfer ausgedrückt und mit dem „Jargon der Eigentlichkeit“ auch schon etwas zur Kritik dieser Art von philosophischem Verschwurbelns gesagt – als vielmehr mit der Pariser Schule. Im Prinzip handelt es sich um hochgradig narzisstisches Denken bzw. bloße Freude am branchenintern effektvollen Formulieren. Meines Wissens gibt es in der ganzen Philosophie-Geschichte keinen Gedanken, der wirklich unfassbar kompliziert wäre wie höhere Mathematik – letztlich handelt es sich gerade bei guter Philosphie nur um das begrifflich disziplinierte Zusammensetzen und Auseinanderschrauben von logischen Bauklötzchen.
Mir ist Han schon an anderer Stelle als schwerstens unredlicher Denker aufgefallen, der kategorisch Verschiedenes via Sprache miteinander vermengt und so husch-husch weit gespannte Thesen gewinnt, die keiner näheren Betrachtung standhalten.
Sloterdijk in den gleichen Topf zu werfen, wäre unrecht. Der reißt mit seinen gewitzten Formulierungen immer wieder gedankliche Zusammenhänge auf, die durchaus lohnend und keineswegs besonders schwer verständlich sind. Sloterdijk teilt sich durchaus anti-akademisch mit, während Han eben auf dem Ticket reist, was in der deutschen Sprache besonders billig zu haben ist: dem Anschein von Tiefsinn.
Bei guter Mathematik auch.