„Ich möchte Dir versichern, dass an meinem Kabinettstisch niemand Platz hat, der den amerikanischen Präsidenten mit einem Verbrecher in Verbindung setzt“, schrieb Gerhard Schröder George W. Bush einst. Was ist das denn bitte für eine Ausdrucksweise? Als ob Nazi-Vergleiche dick machen würden. Es besteht ja kein Sachzwang wie bei einem Ei, das nicht in den Eierbecher passt, sondern ein ganz bestimmtes Verhalten wird aus diplomatischen Gründen abgeurteilt. Die Platzmetapher ist leider sehr beliebt in der Sich-Öffentlich-Distanzier-Industrie und gehört zu den sprachlichen Manövern, die mich auf die Palme bringen (zumindest, wenn ich sie gedruckt sehe). Womit eine neue Serie eröffnet wäre: Was man nicht sagt (in Anlehnung an gleichtitlige Tagebucheinträge von Max Goldt)…
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Rrrr!
Nina Hagen hat mit Apocalyptica Rammsteins Seemann gecovert. Wie einer meiner guten Linguistenfreunde bemerkte, geht sie dabei auch phonetisch über Rammstein hinaus, deren Markenzeichen der stimmhafte alveolare Vibrant ist, und bringt eine Vielfalt von Aussprachen des R unter. Normalerweise wird im Deutschen nach Vokal auch das R vokalisiert, dies tut Hagen in 8 von 24 Fällen. Bleiben 16 postvokale R’s und 5 nicht postvokale R’s, die in dem Lied auch noch vorkommen. Darunter zähle ich zwei stimmhafte uvulare Frikative (standarddeutsch), vier stimmhafte uvulare Vibranten (standardfranzösisch) und 15 klassisch Rammstein’sche stimmhafte alveolare Vibranten, von denen wiederum drei zaghaft kurz daherkommen, acht schon deutlich mehrschlägig sind und vier genüsslichst ausgerollt werden. Und überhaupt ist das Lied gnadenlos gut.
Abkürzungen
Zur allgemeinen Belustigung habe ich einige typische Namen linguistischer Projekte, Korpora, Formate, Systeme, und (behold!) Architekturen zusammengestellt. Das sind alles Abkürzungen.
ALE
ATLAS
COBALT
COCONUT
COGENT
CoMa
DAISY
DRAMA
EAGLES
EGYPT
Falko
GATE
GENAU
GrAF
HIAT
ISLE
MATE
MiLCA
NEGRA
NITE
PALinKA
PTOLEMAIOS
SABLE
SALSA
SLAM
SNACK
SUMO
SUSANNE
TASX
TiGer
TRAINS
TRALE
TRIPS
TULiPA
TUNA
TUSNELDA
Phonetik
Ich sitze gerade in einer Bibliothek und verfolge in einem Internet-Forum eine Diskussion um die Aussprache diverser Konsonanten. So etwas geht unweigerlich mit Selbstausprobieren einher. Möchte nicht wissen, was die anderen Bibliotheksbenutzer von mir denken…
Frage des Tages (1)
Wenn man in einem englischen Text von einer Java-Klasse spricht, ist dann der qualifizierte oder der unqualifizierte Klassenname phonologisch relevant? Heißt es also „a javax.jcr.Item
“ oder „an javax.jcr.Item
“?
Ich werde froh sein, wenn ich meinen Praktikumsbericht endlich fertig habe.
Lieblingswörter
Gestern habe ich schon einige meine Lieblingswörter als Beispiele verwendet. Es folgen weitere.
Arglistig, blitzartig, erbost, fürbass, Geheimnis, getrost, listig, Nekropole, Netz, schwatzhaft, Sheddach, Substitute, Zorn, blend, caterpillar, gazeteer, harpsichord, hirquitalliency, lingo, miscellaneous, presume, shady, technically, toss, vending machine, quatorze, holókauston, хорошо.
Warum erbost? Weil ich es schön finde, dass es ein eigenes Wort für eine possierliche Form der Wut gibt. Kleine Kinder und Kasperles sind erbost. Und das ist niedlich. Außerdem kann man beim Aussprechen des langen o hervorragend ein erbostes Gesicht machen.
Schöne Wörter
Wie versprochen: Mein schönstes deutsches Wort ist Gefängnis, weil frecherweise dicke Mauern, winzige Fenster und Tristesse das Letzte sind, wonach es klingt. Orientierten sich Knastarchitekten an seinem Klang statt an dem von «Zuchthaus» oder «Justizvollzugsanstalt», wären Gefängnisse filigrane, von orangegelbem Licht durchflutete Käfige, wenn nicht gar unsichtbare Bannsprüche. Denn die zauberhafte Endung «nis» teilt sich das Kittchen praktisch nur mit Abstrakta, wie z. B. «Bedrängnis», «Verhältnis», aber vor allem «Geheimnis».
So hätte ich dem Deutschen Sprachrat geschrieben, wäre mir der Einfall noch vor dem Einsendeschluss gekommen.
Was macht Wörter schön?
Manche Wörter klingen besonders schön, vollmundig und warm wie lapidar oder zungenbrecherisch filigran wie Differenzialgetriebe, sodass es ein sinnliches Vergnügen ist, sie zu hören und auszusprechen.
Manche Wörter, wie kafkaesk, ergeben im Schriftbild interessante Muster, die für einen kurzen Augenblick das unabschaltbare Analysieren und Lesen der linken Hirnhälfte aussetzen lassen und der rechten Hirnhälfte eine Zeichnung zeigen wie von Künstlerhand.
Manchmal ist ein Wort schön, weil sein Klang oder sein Schriftbild vortrefflich zur Bedeutung passt. Jäh ist ein tolles Beispiel, oder Krautfaß (man bemühe hier die Alte Rechtschreibung, deren ß dem Kraute etwas besonders Deutsches und Scharfes verleiht). Oder zu dieser in krassem Gegensatz steht, wie bei Gefängnis oben.
Manchmal ist ein Wort auch allein wegen seiner Bedeutung schön, aber nicht einfach, weil das Bezeichnete schön ist, daher im obigen Wettbewerb die waschkörbeweise Einsendungen von Liebe, nein, das güldet nicht! Wohl aber ist es schön, wenn ein Wort eine ganz bestimmte Bedeutung umreißt, für die andere Sprachen kein Wort haben – wenn schon in der semantischen Form eines Wortes eine scharfsinnige, sensible Beobachtung steckt.
Selten gebrauchte Wörter bieten manchmal überraschend die Möglichkeit, mit einem Wort zu sagen, wofür man sonst einige braucht. Einander ist so ein Fall: Helga krault Bob und Bob krault Helga sagt sich eleganter so: Helga und Bob kraulen sich gegenseitig, noch schöner aber so: Helga und Bob kraulen einander.
So zählt auch zumal zu meinen Lieblingswörtern: Für so etwas Spezielles wie einen verstärkenden Grund eine eigene Konjunktion zu haben ist sprachlicher Reichtum pur.
Veraltende Wörter zeigen ihre Schönheit unter anderem in der Freude, die einen befällt, wenn man eine Gelegenheit findet, sie anzubringen. Ruchlos und tückisch sind hier nur zwei von unzähligen Beispielen.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters, besonders, wenn sie von den Assoziationen herrührt, die ein Wort – möglicherweise unerklärlicherweise – versprüht. Farbige Bilder rufen bei mir zum Beispiel Komposita wie Knethaken oder Milchkammern hervor.
Schließlich kann ein Wort schön sein aufgrund der Weise, in der es gebildet wurde: Ohne Zweifel war es eine sehr poetische und gute Idee von Philipp von Zesen, Moment mit Augenblick zu übersetzen und macht das Letzteres zu einem legitimen Lieblingswort. Ein fantasievoll aus einfachen Bestandteilen zusammengesetztes oder auf andere Weise geistreich gebildetes Wort ist schön.
entfernen
entfernen gehört zu meinen Lieblingswörtern. Hier sind ein paar Beispielsätze, die illustrieren, warum das so ist:
Pfarrwerfen, das: Unterdrückt-aggressive Stimmung in Kirchengemeinderäten und Konfirmandengruppen, wenn jedes Mitglied gerne den ausufernden Monolog des Pfarrers durch gewalttätiges Entfernen desselben beenden würde.
Ranunkel
Alle Ihre Sinne arbeiten logarithmisch. Sonst würden Sie ein leichtes Streicheln nicht fühlen, oder eine Ohrfeige würde Ihren Kopf entfernen.
Dr. Huster
Das World Trade Center beherbergte über 800.000 m² Bürofläche, bis Al Kaida es am 11. September 2001 entfernte.
Zu Lieblingswörtern werde ich bald noch mehr schreiben.
Metzingen
Auf Niederländisch heißt singen zingen, mit heißt met, aber meinste, metzingen heißt mitsingen? Leider anscheinend nicht.
Komische Sätze
Heute analysieren wir Komik auf Satzebene. Und zwar nehme ich Max Goldts Herausforderung aus dem Text Der Lachmythos und der Mann, der 32 Sachen gesagt hat (Für Nächte am offenen Fenster, Rowohlt 2003, S. 110) an.
Es muß an dieser Stelle unbedingt auf einen großartigen Satz von Robert Löffler hingewiesen werden, der da lautet: „Nun ist es auch schon wieder 167 Jahre her, daß man Marie von Ebner-Eschenbach gebar.“ Als ich diesen Satz das erste Mal las, dachte ich: Wer nicht sofort exakt drei Gründe nennen kann, warum dieser Satz komisch ist, der hat entweder keinen Humor oder keine analytische Erfahrung, vermutlich beides nicht. Ein brillanter Testsatz in der Tat.
Also gut, analysieren wir: Der wesentliche Teil der Komik entsteht durch das Subjekt man, und zwar in drei Schritten:
- Bei Angaben zum Geburtsjahr bekannter Persönlichkeiten ist das Passiv wurde geboren üblich. Dass hier gebären aktiv verwendet wird, trifft einen unerwartet. Es scheint plötzlich nicht mehr um ein trockenes, bibliografisches Datum zu gehen, sondern um den Vorgang der Geburt, der bei der Auseinandersetzung mit einer Dichterin selten im Vordergrund steht – kaum jemand interessiert sich für den ersten Schrei der kleinen Marie.
- Jemanden zu gebären ist der Inbegriff desjenigen, das nur die Mutter tun kann. Das unpersönliche man ist komisch deplatziert.
- Zusätzlich suggeriert man in Bezug auf ein konkretes Ereignis (also zum Beispiel nicht in „Das macht man halt so“, wohl aber in „Man hat mich vertrieben.“) nicht nur mehrere Beteiligte, sondern auch ein geradezu verschwörerisches, planvolles Handeln, als hätte man es ausgeheckt, die große Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach in die Welt zu setzen.
Zusammenfassend: Der Satz vermischt auf ungewohnte Weise die historische Perspektive auf eine Dichterin und das Auf-die-Welt-Bringen eines Babys.
Jetzt will ich noch erklären, warum dieser Lehrerspruch von schulzitate.de komisch ist:
Kinders, wenn Dummheit lange Hälse machte, dann könntet ihr kniend aus der Dachrinne des Kölner Doms saufen!
Dies wäre ja nur eine gewöhnliche Beleidigung des Schemas „Wenn Dummheit X verursachte, gölte für dich Y“, hier etwas beliebig Ausgedachtes für X einsetzen und eine abstruse Konsequenz einer extremen Ausprägung von X für Y. Wäre da nicht in dem Y des Dachrinnensatzes noch ein feiner Zusatz: „kniend“. An der Stärke der Aussage ändert dieses Adverb lächerlich wenig, denn was ist schon die Länge eines Unterschenkels im Vergleich zur Höhe des Kölner Doms? Der Komik des Satzes kommt es aber sehr stark zugute, weil es die absurde Vorstellung einer Welt, in der man erwägt, aus Dachrinnen zu saufen, aufnimmt, und die Frage der dafür geeigneten Körperhaltung anschneidet.
Zum Abschluss lasse ich noch einen komischen Satz als Übung für den/die Leser/in stehen, den ich einmal im britischen Fernsehen aufschnappte. Eine Gouvernante ermahnt ihre Schutzbefohlenen:
Ingredients of apple pies don’t grow on trees.