Archiv der Kategorie: Sprache

He used to lose six iPods

Ich versuche derzeit, ein Gefühl für den russischen imperfektiven und perfektiven Aspekt zu bekommen. Da wundert es mich, dass der folgende englische Satz grammatisch korrekt ist:

He used to lose at least half a dozen iPods to relentless and cunning thieves, continually able to outsmart him and relieve him of his portable music boxes.
Engadget

Denn used to-Sätze sind ja geradezu Musterbeispiele für imperfektiven Aspekt, während man bei der Angabe der Anzahl der iPods eigentlich perfektiven Aspekt erwarten würde.

Superfeingeistig

Wenn ich mit wildfremden Menschen im Auto zwischen Rheinland und Schwaben unterwegs bin, peinigen mich Eins Live, Hitradio FFH, hr3, SWR3 und wie sie alle heißen. Einer dieser Sender hat eine Horoskop-Sendung, wo Hörer anrufen und sich von einer Astrologin den Fortgang persönlicher Probleme prophezeien lassen können. Die Voraussagen scheinen auf üblicher Küchenpsychologie zu basieren, die Argumente sind jedoch tatsächlich „Jupiter steht im dritten Haus“ usw. Als ich diese Sendung zum ersten und hoffentlich auch letzten Mal in meinem Leben hörte, rief eine Frau an, mit einem Automechaniker liiert. Sie begeisterte sich für Bücher, Musik und Theater, er nicht. Ob eine Beziehung gut gehen könne, formulierte der Moderator, wo der eine sich vor allem für Motoren interessiert und die andere „superfeingeistig“ ist? Das Wort gefällt mir sehr gut für eine, die Beziehungsratschläge in einer Horoskopsendung einholt. Es sagt doch alles, oder?

Swill

1999, als ISDN noch state of the art war und viele noch gar keinen Internetanschluss hatten, verteilte T-Online auf Schulhöfen ein „Multimedia-Magazin“ titels taste. Es war eine CD-ROM mit bunten Menüs und Clips, mit Fotos, Tratsch und Freizeittipps. Eine Rubrik stellte unter großem Hallo und animierten Schriftzügen dekadente Fantasieköstlichkeiten vor. Man wurde z.B. instruiert, eine Frisbeescheibe mit Speiseeis zu füllen, in Piña Colada zu tauchen und in der Badewanne auszulecken, oder so ähnlich. Ich schwöre, dass diese „ultimativen Genüsse“ Swill genannt wurden. Das ist englisch und bedeutet Küchenabfall, Schweinefutter.

Die Erfindung des Wortes „Tenordidgeridoo“

In den letzten drei Monaten habe ich einen Anfängerkurs im Kendo belegt, einer Zweikampfsportart, die ihre Wurzeln im Schwertkampf der Samurai hat. So sieht es aus (allerdings nicht bei mir, ich habe noch keine Rüstung):

Kendo

Photo by tommrkr

Das Übungsschwert aus Bambus heißt Shinai, und natürlich gibt es spezielle Taschen dafür – schwarz, zum Umhängen, aus Kunststoff. Die Leute, die mich damit im Bus sehen, assoziieren das wahrscheinlich eher mit Musikinstrumenten. Aber welches Instrument ist so lang und dünn? Eine einzelne Orgelpfeife wäre von der Form her denkbar, ergäbe aber wenig Sinn. So sinnend kam ich heute auf „Tenordidgeridoo“.

Mogelausdrücke (1)

In einem für Zeit-Verhältnisse nicht sehr gut geschriebenen Artikel stieß mir heute eine Verwendung des Wortes inzwischen auf, mehrfach kurz hintereinander. Zum Beispiel:

Inzwischen haben professionelle Betrüger das Netz als Einnahmequelle entdeckt.

Ich wittere einen typisch journalistischen Mogelausdruck, der im Zweifelsfall „seit zehn Jahren“ bedeuten kann, aber aktuelle Information suggeriert. Auf die Idee, den Missbrauch des Wortes zu bemängeln, komme ich natürlich nur, weil mir der ganze Artikel nicht mit der erforderlichen Ahnung geschrieben zu sein scheint. Andere Mogelausdrücke, die ich nicht mag, tauchen typischerweise in Unternehmens- und Amtskommunikation auf:

In diesem Fall müssen wir leider eine Bearbeitungsgebühr von 20 € erheben.

Die Installation dieser PHP-Erweiterung ist leider nicht möglich.

Was für ein Unfug – als ob die betreffenden Unternehmen da irgendwelchen Zwängen unterliegen würden! Die wollen die 20 €, um die Kundschaft zu konformerem Verhalten zu erziehen, bzw. sie wollen sich den Stress mit der Installation aus Sicherheits- oder Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht machen.

Doch ich bin ein Pharisäer – viel länger ist die Liste der Mogelausdrücke, die ich selbst gerne benutze, wenn ich mich nicht festlegen will oder mehr suggerieren möchte, als ich beweisen kann. „Mal schauen, ob’s jemand merkt“, feixe ich und schreibe:

  • X stellt Y dar – ist X Y, kann X als Y benutzt werden, gibt sich X als Y aus oder wird X als Y wahrgenommen? Es gibt bestimmt noch mehr mögliche Interpretationen.
  • Der Doppelpunkt ist auch so ein Mogelausdruck: Er kann mit praktisch beliebiger Bedeutung gefüllt werden, von denn über daher und zum Beispiel bis hin zu außerdem. Er eignet sich vortrefflich, um kausale Beziehungen zu suggerieren, ohne sich festnageln zu lassen.
  • Es gibt Adverbien, die auf ähnliche Weise Sätze verbinden und die genaue Beziehung im Unklaren lassen. Namentlich kann namentlich vieles bedeuten, nämlich nämlich (denn), als ein Beispiel von vielen, als einziges Beispiel usw.
  • einstweilen ist ein etwas veraltetes und wenig bekanntes Wort, dem wahrscheinlich relativ wenige Menschen sofort anhören, dass sich der damit bezeichnete Zeitraum nach Gusto bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag ausdehnen lässt.
  • Wenn kein aber, nur o.Ä. folgt, ist das Wort eigentlich semantisch praktisch leer. Wenn etwas eigentlich so ist, dann ist es in aller Regel so, Punkt. Ein nützliches Zwischending zwischen eigentlich und fast ist das Mogelwort praktisch. Es ist nicht so bestimmt wie eigentlich, klingt aber auch nicht so einschränkend wie fast.

Liedtextverspottung

Du wirst jetzt 25 Jahre alt,
doch alt, das wirst du nie,
denn solange es hier Kinder gibt,
da bist du nicht am Ziel.
Geschichten aus dem Leben,
die wird’s immer wieder geben.
Solange hier die Kinder lachen,
musst du weitermachen.
Das Modul: Gratuliere

Sollte man seine Kinder die „Sendung mit der Maus“ dann lieber nicht gucken lassen? Bei diesem Geburstagsständchen drängt sich ja die Frage auf, was dann eigentlich das Ziel der Maus ist.

Coin operated boy
He may not be real, experienced with girls
But i know he feels like a boy should feel
Dresden Dolls: Coin Operated Boy

So we’re supposed to not feel anything? Nette Ambiguität.

Kronloyal

Eine verbesserte Version dieses Artikels findet sich unter Kronloyal (Remastered).

Aus dramaturgischen Gründen geänderte Reihenfolge: unpolitisch – Kommunist – sehr links – grün – links – Mitte links – liberal – Mitte rechts – rechts – konservativ – kronloyal – auf dieser Skala kann man beim StudiVZ für sein Profil seine politische Richtung angeben. Mit der Wortschöpfung „kronloyal“ ist dem StudiVZ, wahrscheinlich unbeabsichtigt beim Juxen – es kokettierte in seiner Anfangszeit spaßeshalber und zu meinem Vergnügen auch mit Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit – ein erstklassiger Schnappschuss vom Zeitgeist gelungen. Viele Studenten scheinen sich dieses Prädikat mit Begeisterung an die Brust zu heften. Kronen, also feudale Insignien, zieren Gesäßtaschen und Tops von Jugendlichen. Jugendliche bitten darum, an die Kandare genommen zu werden, und die Zahl der Pädagogen, die bereit sind, das zu tun, wächst. Diese sind dann „modern“. Es läuft unter Schlagwörtern wie „Disziplin“ und „Manieren sind wieder ‚in'“. Viel einfacher, als in Eigenverantwortung dafür zu sorgen, ein guter Mensch zu sein, ist es, sich Autoritäten zu unterwerfen. Dass Problem, dass das uncool sein könnte, hat sich erledigt, wenn die Elterngeneration (nicht notwendigerweise die eigenen Eltern) als im Großen und Ganzen liberal wahrgenommen wird. Es ist somit der reinste Lehrerschreck und auch verdammt schick, noch konservativer zu sein als konservativ – „kronloyal“ ist ein fantastisches Wort.

Nun wäre es, wenn sich einer als konservativ bezeichnet, als Selbsteinschätzung legitim – zu sagen: „Meine Ansichten tendieren oftmals zum Hergebrachten.“ Wie man sich den Begriff jedoch auf die Fahnen schreiben kann, habe ich nie begriffen. Was sagt er eigentlich aus? Ich verstehe darunter die Grundhaltung, am Bestehenden festzuhalten. In meinen Augen versucht das, Faulheit in ein politisches Bekenntnis umzudeuten. Ein politisches Bekenntnis, das niemand braucht, weil Faulheit einschließlich Denkfaulheit und Lernfaulheit schon aufgrund der Knappheit von Energie und Zeit ohnehin eine Haupttriebfeder menschlichen Tuns und vor allem Lassens ist. So genannte Konservative sind in der Praxis meist treffender als Wirtschaftsliberale, Religiöse und/oder Autoritäre zu beschreiben. Das sind zeitlose Eigenschaften. Wer jedoch Faulheit, Abneigung gegen Änderungen und die menschliche Eigenart, die Douglas Adams so schön auf die Formel brachte, alles, was es gebe, wenn wir geboren würden, sei selbstverständlicher Teil der Welt, alles, was erfunden werde, bevor wir dreißig seien, sei aufregend und toll und wir könnten darin Karriere machen, und alles, was danach erfunden werde, verstoße gegen die natürliche Ordnung des Kosmos, so vollkommen und möglicherweise mit nach unten verschobener Altersgrenze zum gleichnamigen Starrsinn verkörpert, dessen Lieblingswort ist „bewährt“. So Prof. Dr. Ch. Meier, Hohenschäftlarn, in einem Essay für Beibehaltung und Wiedereinführung der „bewährten Rechtschreibung“, der übrigens auch sonst durch bemerkenswert schlechte Argumente heraussticht. „Bewährt“, das ist als Argument zugunsten des Älteren niemals haltbar. Wenn etwas bewährt ist, also seit langer Zeit erfolgreich im Einsatz, ist das ein Indikator für seine Qualität. Aber um das Alte und das Herausfordernde fair zu vergleichen, muss man die harten und objektiven Qualitäten beider in die Waagschalen legen, und ein Indikator ist ebensowenig eine harte und objektive Qualität wie ein Ruf oder ein Trend.

Kleinster gemeinsamer Nenner und größter gemeinsamer Teiler

Mit der Redensart „kleinster gemeinsamer Nenner“ meint man für gewöhnlich eine Lösung („Nenner“), die die Ansprüche aller Beteiligten berücksichtigt (daher „gemeinsam“), dabei jedoch enttäuschend wenig umfangreich oder wenig innovativ ausfällt – daher sagt man, es wurde nur der kleinste gemeinsame Nenner gefunden. Wer jedoch das Wort „kleinste“ auf die mangelnde Qualität der Lösung bezieht, irrt. Was die Lösung so blöd macht, ist ja der Zwang, gemeinsam zu sein – da braucht es keinen einschränkenden Superlativ. „Kleinste“ ist hier vielmehr mit „beste“ zu übersetzen.

Das ergibt auch Sinn, wenn wir uns an den Mathe-Unterricht in der sechsten Klasse erinnern: Wenn man mehrere Brüche mit unterschiedlichen Nennern addieren will (metaphorisch für: eine Lösung mit mehreren Beteiligten mit unterschiedlichen Ansprüchen finden will), muss man die Brüche zunächst auf den gleichen Nenner bringen. Um hinterher einen schön gekürzten Bruch mit möglichst kleinem (!) Zähler und Nenner (!) zu erhalten, bemüht man sich in der Regel darum, nicht irgendeinen gemeinsamen Nenner zu finden, sondern den kleinsten, den es gibt. Der kleinste gemeinsame Nenner der Brüche von 3/4 und 1/6 ist das kleinste gemeinsame Vielfache ihrer Nenner, also kgV(4, 6) = 12. Und so addiert man: 3/4 + 1/6 = 9/12 + 2/12 = 11/12.

Man kann als Metapher für die verschiedenen Beteiligten statt Brüchen auch nackte Zahlen wählen und als Metapher für die zu findende Lösung statt einer Summe auch schlicht deren größten gemeinsamen Teiler. Zum Beispiel ist der größte gemeinsame Teiler von 12 und 8 ggT(12, 8) = 4. Das ist vielleicht einleuchtender, weil die Lösung ja schon die „beste und größte“ ist, die sich unter Berücksichtigung aller Ansprüche finden ließ – aber eben nur die. Nicht sinnvoll ist es, wie es häufig geschieht, vom „kleinsten gemeinsamen Teiler“ zu sprechen, denn der ist für mehrere natürliche Zahlen stets 1.

Buzzword gesucht

Wie heißt es, wenn man Audiodateien gestaltet und im Web verbreitet? Richtig, Podcasting. Wie heißt es, wenn man seinen eigenen Namen in eine Suchmaschine eingibt, um zu sehen, was da kommt? Genau, Ego-Googling. Wie heißt es, wenn man mit einem Freund telefoniert, gleichzeitig auf derselben Website rumstöbert und sich darüber unterhält? Aha, erwischt. Vorschläge werden gerne entgegengenommen.