Wie versprochen: Mein schönstes deutsches Wort ist Gefängnis, weil frecherweise dicke Mauern, winzige Fenster und Tristesse das Letzte sind, wonach es klingt. Orientierten sich Knastarchitekten an seinem Klang statt an dem von «Zuchthaus» oder «Justizvollzugsanstalt», wären Gefängnisse filigrane, von orangegelbem Licht durchflutete Käfige, wenn nicht gar unsichtbare Bannsprüche. Denn die zauberhafte Endung «nis» teilt sich das Kittchen praktisch nur mit Abstrakta, wie z. B. «Bedrängnis», «Verhältnis», aber vor allem «Geheimnis».
So hätte ich dem Deutschen Sprachrat geschrieben, wäre mir der Einfall noch vor dem Einsendeschluss gekommen.
Was macht Wörter schön?
Manche Wörter klingen besonders schön, vollmundig und warm wie lapidar oder zungenbrecherisch filigran wie Differenzialgetriebe, sodass es ein sinnliches Vergnügen ist, sie zu hören und auszusprechen.
Manche Wörter, wie kafkaesk, ergeben im Schriftbild interessante Muster, die für einen kurzen Augenblick das unabschaltbare Analysieren und Lesen der linken Hirnhälfte aussetzen lassen und der rechten Hirnhälfte eine Zeichnung zeigen wie von Künstlerhand.
Manchmal ist ein Wort schön, weil sein Klang oder sein Schriftbild vortrefflich zur Bedeutung passt. Jäh ist ein tolles Beispiel, oder Krautfaß (man bemühe hier die Alte Rechtschreibung, deren ß dem Kraute etwas besonders Deutsches und Scharfes verleiht). Oder zu dieser in krassem Gegensatz steht, wie bei Gefängnis oben.
Manchmal ist ein Wort auch allein wegen seiner Bedeutung schön, aber nicht einfach, weil das Bezeichnete schön ist, daher im obigen Wettbewerb die waschkörbeweise Einsendungen von Liebe, nein, das güldet nicht! Wohl aber ist es schön, wenn ein Wort eine ganz bestimmte Bedeutung umreißt, für die andere Sprachen kein Wort haben – wenn schon in der semantischen Form eines Wortes eine scharfsinnige, sensible Beobachtung steckt.
Selten gebrauchte Wörter bieten manchmal überraschend die Möglichkeit, mit einem Wort zu sagen, wofür man sonst einige braucht. Einander ist so ein Fall: Helga krault Bob und Bob krault Helga sagt sich eleganter so: Helga und Bob kraulen sich gegenseitig, noch schöner aber so: Helga und Bob kraulen einander.
So zählt auch zumal zu meinen Lieblingswörtern: Für so etwas Spezielles wie einen verstärkenden Grund eine eigene Konjunktion zu haben ist sprachlicher Reichtum pur.
Veraltende Wörter zeigen ihre Schönheit unter anderem in der Freude, die einen befällt, wenn man eine Gelegenheit findet, sie anzubringen. Ruchlos und tückisch sind hier nur zwei von unzähligen Beispielen.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters, besonders, wenn sie von den Assoziationen herrührt, die ein Wort – möglicherweise unerklärlicherweise – versprüht. Farbige Bilder rufen bei mir zum Beispiel Komposita wie Knethaken oder Milchkammern hervor.
Schließlich kann ein Wort schön sein aufgrund der Weise, in der es gebildet wurde: Ohne Zweifel war es eine sehr poetische und gute Idee von Philipp von Zesen, Moment mit Augenblick zu übersetzen und macht das Letzteres zu einem legitimen Lieblingswort. Ein fantasievoll aus einfachen Bestandteilen zusammengesetztes oder auf andere Weise geistreich gebildetes Wort ist schön.
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……….klingen auch schön
Gruß
M
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