Archiv der Kategorie: Deutsch

Yo da standard fa me, baby

Mein Preis für Witz und sprachliche Kreativität geht in dieser Dekade an die österreichische Tageszeitung Der Standard, die ihrer Online-Ausgabe derStandard.at vor zehn Jahren eine Ausgabe mit Frauenthemen an die Seite gestellt hat. Ihr Name: dieStandard.at. Doch es wird noch besser. Im Februar 2010 ist eine weitere Variante gelauncht, mit Migrantenthemen, genannt daStandard.at. Offiziell ist das „da“ da das „da“ aus „Wir sind da.“ Aber man muss kein Schelm sein, um an einer Stelle, an die ein Artikel gehört, auch einen Artikel zu hören. Nur halt etwas krass-korrekter ausgesprochen.

Air Quotes

Anführungszeichen kann man nicht aussprechen. Das ist ein Problem, wenn man Texte mit Anführungszeichen vorliest. Bei Zitaten oder wörtlicher Rede nicht so sehr, da kann man sich die Anführungszeichen aus dem Kontext und der Stimmführung dazudenken. Werden Anführungszeichen aber verwendet, um sich von der benutzten Wortwahl zu distanzieren, um Unglauben oder Ironie auszudrücken, muss man sie irgendwie explizit wahrnehmbar machen. Seriös, aber dem Zuhörer auch leicht entgänglich ist es, vor den angeführten Worten eine hörbare Pause zu machen und sie dann etwas überbetont vorzulesen. So wird es z.B. bei ZEIT Audio gemacht. Max Goldt verwendet auf seinen Lesungen zuweilen die, höhö, Höhö-Methode, höhö, Sie verstehen. Hat man Blickkontakt zum Zuhörer und keine Angst vor dem etwas schlechten Image dieser Geste, wird man dagegen air quotes verwenden.

Bei air quotes hebt man beide Hände auf Kopfhöhe und zuckt – meist zweimal – mit Zeige- und Mittelfingern. Häufiger als beim Vorlesen kommen air quotes als Geste beim mündlichen Kommunizieren zum Einsatz. Über ihre schon recht lange Geschichte verrät die englische Wikipädie mehr.

Wie sollen air quotes eigentlich auf Deutsch heißen? Ich dachte erst an Entenfüßchen wegen Gänsefüßchen und weil sie oben in der Luft sind statt unten auf Papier und Enten ja gründeln – nur: Beim Gründeln bleiben die Füße im Gegensatz zum Bürzel unter Wasser, also stimmt das Bild leider nicht. Vorschläge willkommen.

Mein Schatzkästlein des Humors enthält eine bisher zweiteilige Materialsammlung zum dem Thema: einen Ruthe-Cartoon (Air quotes mit Hufen! Göttlich!) und ein Zitat aus der Simpsons-Folge, in der Bart mit einem Doppelgänger aus reichem Hause die Rollen tauscht:

Lisa: Mom, “Bart” has something to tell you.
Marge: I don’t like the look of those air quotes.

Wortschätzchen

Die Heuschnuppen fliegen creutzfeldein. Ein Schlagwortgewitter liegt in der Luft. Schneeglückchen im Streichelstress antichambrieren beim Fahrradhenker. In der Aggregorianik seines signalschwarzen Himmelsbonbons herrschen Schwermetallmusik und Tintenbarock. Im gefrierbeutelübergreifenden Schuldbewusstenersatzteillager nebenan hat ein Metagott die Indogermanesen zu Teebaumhaxe und Kalbsblütenhonig geladen und lässt zur allgemeinen interconvenience Witzcluedo spielen. Zwischen zwei an ihren Unfuguhren nestelnden Imponderabilienmaklern entspinnt sich eine anaptyktische, von Anglischismen nicht freie conversation nasale über das Bismarck-Zerebral, während die Lambdafantasten Räuchermilch trinken und ein Schafthäher starkes entertailment zwischen glamour grammar und Salzlichtfotografie nachweist. Über allem schwebt die Quadrupeltilde und ein sanfter Bonn-Bad Godesbeat.

Der Grund, warum

Und ich hatte schon gedacht, auf Englisch würde sich niemand darüber aufregen. Anscheinend gibt es aber doch Leute, die das stört:


Der Mann im grünen T-Shirt hatte vorher wohl „the location where“ gesagt – eine unschöne Dopplung, weil sowohl in location als auch in where steckt, dass es um einen Ort geht. In dieselbe Kategorie gehören „the reason why“, „the time when“ und, etwas entfernter, „just because … doesn’t mean …“ wie in Homer Simpsons sehr schönem Sinnspruch „Just because I don’t care doesn’t mean I don’t understand.“ Ich wage mal zu behaupten, dass all diese Wendungen weit weiter verbreitet sind als ihre „richtigen“ Pendants „the reason for which“, „the time at which“ und „that … doesn’t mean“.

Und wenn Sprache logisch wäre, wäre ich arbeitslos.

Trotzdem tue ich hiermit kund, dass es mich im Deutschen zwiebelt, wenn es heißt „der Ort, wo“ statt „der Ort, an dem“, „die Zeit, als“ statt „die Zeit, zu der“ oder – am schlimmsten und verbreitetsten! – „der Grund, warum“ statt „der Grund, aus dem“. Schätze, ich schätze die Vielfalt und Willkür der von den einzelnen Substantiven regierten Präpositionen zu sehr.

Auch die becausemean-Dopplung hat ein unschönes Pendant (wenn auch kein Äquivalent) im Deutschen: „Nur weil es mir egal ist, heißt das noch lange nicht, dass ich es nicht verstehe.“ Dieser Satz könnte jetzt theoretisch als Leserkommentar folgen.

Ersatzinfinitiv, Bewegung, Koordination

Beim Schreiben meines Auslandssemestererfahrungsberichts für meinen Sponsor, die Landesstiftung Baden-Württemberg, stolperte ich heute, als ich versuchte, in einem Verbletztsatz einen Ersatzinfinitv (müssen) und ein normales Partizip II (gelinst) zu koordinieren. Letzteres sehen wir in (1) in natürlicher Umgebung, einem normalen Verbletztsatz. Das Perfekt des Modalverbs müssen wird nicht mit normalem Partizip II, sondern mit Ersatzinfinitv gebildet, wie wir in (2) sehen. Allerdings will zumindest mein Sprachgefühl, dass das Hilfsverb hätte sich dann an den Anfang des Verbalkomplexes bewegt (3). Dasselbe mit (1) zu machen ergibt allerdings Murx, jedenfalls im Hochdeutschen (4). Im einen Fall muss hätte sich also bewegen, im anderen darf es nicht. Wenn man jetzt die beiden Phrasen mit den Master-1-Kursen vorlieb nehmen müssen und möglicherweise neidisch über den Rhein gelinst mit und koordiniert, führt das zum Konflikt. Bewegt man hätte nicht, klingt es für mich komisch (5). Bewegt man es, klingt es sehr komisch (6). Ein unauflösbares Dilemma? Ich bin ihm ausgewichen, indem ich den Satz zu einem Verbzweitsatz umbaute (7).

(1)    dass ich möglicherweise neidisch über den Rhein gelinst hätte
(2) ?? dass ich mit den Master-1-Kursen vorlieb nehmen müssen hätte
(3)    dass ich mit den Master-1-Kursen hätte vorlieb nehmen müssen
(4)  * dass ich möglicherweise neidisch hätte über den Rhein gelinst
(5)  ? dass ich mit den Master-1-Kursen vorlieb nehmen müssen und möglicherweise
       neidisch über den Rhein gelinst hätte
(6) ?? dass ich mit den Master-1-Kursen hätte vorlieb nehmen müssen und
       möglicherweise neidisch über den Rhein gelinst
(7)    ich hätte mit den Master-1-Kursen vorlieb nehmen müssen und
       möglicherweise neidisch über den Rhein gelinst

Plötzlich transitiv

gegangen werden ist des Übertreibers Wort der Woche, dazu habe ich noch was im Nähkästchen.

Es ist ein bekannter Witz: Deutsche Verben, die ihr Perfekt mit dem Hilfsverb sein bilden, zuvörderst Verben der Bewegung, zuvörderst Verben der Wegbewegung, werden wider die Regeln des Standarddeutschen transitiv gebraucht, als Kausativ zu ihrer intransitiven Variante: „Ich dachte, du wärst abgereist worden“, flachst Frank in Wolfgang Hohlbeins Spiegelzeit, „Die ist gegangen worden“, „Der ist zurückgetreten worden“, hört man alleweil, „Queen Elizabeth ist dann ja auch gestorben… gestorben worden…“, sinnierte der Lehrer in meinem Geschi-Strafkurs einst. Der Witz funktioniert so gut, weil das Hilfsverb werden sein Perfekt auch mit sein bildet und man nur ein worden an den Verbalkomplex anzuhängen braucht, um den Sinn des Satzes für den Hörer unerwartet zu ändern. Verstohlen und augenzwinkernd zuzugeben, dass Unfreiwilligkeit im Spiel war.

Nicht immer ist die Transitivierung ein Witz: Das Verb trocknen zum Beispiel funktioniert wirklich so. „Die Wäsche ist getrocknet“ kann man genau so gut sagen wie „Die Wäsche ist getrocknet worden.“ Neuerdings gilt das anscheinend auch für umziehen: „Im Lauf des Juli konnte die Wörterbuchsoftware schrittweise auf ihre neue Heimat umgezogen werden“, meldete LEO neulich. Auch dem intransitiven auf etwas stoßen (etwas zufällig entdecken) hat sich ziemlich unbezweifelt ein transitives jemanden auf etwas stoßen (jemandem etwas zeigen) beigesellt.

Nun zurück zu kreativen Neubildungen. „Klasse Idee! Wie ist dir das nur wieder eingefallen?“ Ein bescheidener Mensch könnte darauf antworten: „Eigentlich ist es mir von meinen Freunden eingefallen worden.“ Ein trefflicherer Kausativ wäre hier eingefällt, weil es zu fallen ja schon fällen gibt, aber gut. Oder hier, man stelle sich diese Szene vor: Geheimrat von Fontheweg betrat mein Büro. Seine Fliege saß schief, seine Hose war dreckig, sein Haar wirr und sein Gesicht leicht zerschrammt. Er keuchte vor atemloser Entrüstung. „Sie werden es nicht glauben, mein Freund!“, rief er aus, „Soeben bin ich auf dem Gang hinterhältig gestolpert worden!“ In beiden Fällen lassen adverbiale Ergänzungen – von meinen Freunden, hinterhältig – schon vor der Zeit vermuten, dass ein worden folgen wird, doch witzig ist es immer noch. Sind Sprachspiele ja immer.

Besondere Konjunktionen

Einige Wörter, die im heutigen Deutsch normalerweise nur als Adverbien auftreten, haben in alterthymlichen und sehr formalen Texten eine geheime zweite Identität als unterordnende Konjunktionen:

Ihnen ist es geboten, als Juden zu überleben, ansonsten das jüdische Volk unterginge.
Emil Ludwig Fackenheim, Die gebietende Stimme von Auschwitz

Dutzende einander duzende medizinstudentinnen zierten sich, sezierte zu siezen, darob der professor wütend befahl, sie sollen sich, bis auf eine, die vorgab, jungfrau zu sein, entfernen und heute ihre häute zu markte tragen.
zeze, Das mädchen mit der hosenscharte

(…) elliptisch oder geradlinig vibrirt, je nachdem die Iucidenzen zwischen jenen Grenzen liegen oder nicht.
Jamin, Ueber die Reflexion des Lichts an der Oberfläche von Flüssigkeiten. In: Annalen der Physik und Chemie, Band 165, Nummer S2, S. 269-288 (aus einem Google-Snippet, OCR-Fehler behutsam entfernt).

Der Inhaber des genannten Sparbuches wird aufgefordert, seine Rechte innerhalb von drei Monaten unter Vorlage der Sparurkunde geltend zu machen, widrigenfalls die Urkunde für kraftlos erklärt wird.
Amstblatt des Landkreises Roth 25/2002