Archiv der Kategorie: Deutsch

Unfug mit Fügungen

Sprache ist auch dazu da, seine Mitmenschen zu verwirren. So bereitet es mir großes Vergnügen, Wortfolgen, die normalerweise in einer eingebürgerten, festen Bedeutung gebraucht werden, in anderen Bedeutungen zu verwenden, die sich aber auch aus den Bedeutungen der einzelnen Wörter herleiten lassen.

Ein Beispiel ist die Fügung es sei denn, deren Etymologie ich im letzten Blogpost skizziert habe. Wie schön lässt sich der Konjunktiv I zur Wunschform umdeuten und das denn in seiner Bedeutung also verwenden. Schon hat man einen prima Spruch, um sich ins Schicksal zu fügen und den Lauf der Dinge zu affirmieren: Nun gut, es sei denn.

Das altertümliche siehe da erstrahlt in neuer Frische, wenn man das siehe in seiner ungebrochen modernen Verwendung für Verweise verwendet und ein Hyperlink das einfache deiktische Adverb mit Sinn erfüllt: siehe da.

Oder so kennt man als Ungenauigkeit und Ungewissheit ausdrückende Fügung (er hieß Schymanski oder so), kann man aber auch prima gebrauchen, um einen Gegenvorschlag anzuerkennen: Lass uns zur Pizzeria und dann einkaufen gehen. – Oder wir kaufen heute ein, essen zu Hause und gehen morgen essen. – Oder so.

Ab und zu gerät man an einen Gegenstand, der sowohl ästhetisch als auch funktional wenig zu wünschen übrig lässt. Man beschreibe ihn als schön und gut und freue sich daran, wie irreführend die Homonymie mit der abschätzig-einräumenden Formel Das ist ja schön und gut, aber… ist.

Die Mehrdeutigkeit des Wortes schon nutzte @kasia886 für einen sehr gelungenen Tweet im Sinne dieses Beitrags (Hervorhebung von mir): Du weißt schon. Aber ich noch nicht.

Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, wie schön man sich im Adminstrationsbereich der deutschen Version von WordPress zur Seite klicken kann, also zum Frontend des Blogs.

(Es sei) denn: Adverbialsätze mit Verbzweitstellung

Ein Adverbialsatz ist ein Nebensatz, der die Wahrheitsbedingungen des übergeordneten Satzes modifiziert. Bei den meisten Typen von Adverbialsätzen ist diese Modifikation monoton, das heißt, wenn das Gefüge aus übergeordnetem Satz und Adverbialsatz wahr ist, ist auf jeden Fall auch der übergeordnete Satz wahr. So zum Beispiel bei kausalen Adverbialsätzen, die einen Grund angeben: Wenn das Gefüge Wir gehen nach Hause, weil es regnet wahr ist, ist auch der übergeordnete Satz Wir gehen nach Hause zwingend wahr. Nicht monoton sind dagegen die konditionalen Adverbialsätze (eingeleitet durch Konjunktionen wie wenn, falls, sofern, außer…), die eine Bedingung für das Geschehen angeben: Wenn das Gefüge Wenn es regnet, bleiben wir zu Hause wahr ist, muss deshalb der Satz Wir bleiben zu Hause nicht unbedingt wahr sein.

Im Deutschen erkennt man Adverbialsätze typischerweise daran, dass sie mit einer Konjunktion eingeleitet werden und Verbletztstellung aufweisen, das flektierte Verb also hinten steht. Es gibt aber auch konditionale (und temporale) Adverbialsätze, die keine Konjunktion haben und Verberststellung aufweisen, wie das Hilfst du mir in Hilfst du mir, helf ich dir.

Es gibt noch ein weiteres Baumuster für konditionale Adverbialsätze, das allerdings so gut wie ausgestorben ist. Man begegnet ihm in alten Texten, zum Beispiel in der Lutherbibel: Ich lass dich nicht, du segnest mich denn. Die Kennzeichen sind Verbzweitstellung, oft Konjunktiv I und das Wort denn, das sich hier syntaktisch wie ein Adverb, semantisch aber, wenn man so will, eher wie eine Konjunktion mit der Bedeutung wenn nicht, außer verhält. (In anderen Bedeutungen kommt denn ja sowohl als Konjunktion – Wir gehen nach Hause, denn es regnet – als auch als Adverb – Ich brauch denn mal Hilfe – vor.)

Liebe Germanist/inn/en! War diese Konstruktion immer so ungewöhnlich, wie sie heute erscheint, oder gibt es in der deutschen Sprachgeschichte weitere bekannte Beispiele für… fassen wir den Gegenstand erst mal weit: Adverbialsätze mit Verbzweitstellung? Adverbialsätze mit Verbzweitstellung, die ohne Konjunktion angeschlossen werden?

Im heutigen Standarddeutschen ist die Konstruktion mit denn jedenfalls ein Fremdkörper und wird nicht mehr produktiv verwendet, sie ist allerdings erstarrt in der Wendung es sei denn, X erhalten, wobei X wahlweise ein ganz normaler dass-Satz oder Verbzweitsatz ist.

Siehe auch: Eintrag für denn im Deutschen Wörterbuch (man suche nach nisi).

Wortschätzchen (2)

Was bisher geschah: Wortschätzchen

Berta war mit dem Memoziped nach Hause gefahren, um den Zeitgeiern zu entgehen, die an der Uni auf extravakanten Posten lauerten. Hier konnte sie ungestörter an ihrer Dessertation arbeiten. Sie streute etwas Hydrosilie auf den Gräuelbraten und schaute nach dem Senfspeiseeis in all its categlory. Es war schon spät, der Unruhu rief. Berta trank eine Stahlbrause gegen die Keltenkälte. Sie musste an Matthias denken. Diese Sprachbremse hatte auf ihrer Hämepage vierdeutige Bemerkungen gemacht, die Berta für eindeutig gegensächlich hielt. Aber das war nebensätzlich. Für solche Möchtegern-Albinos hatte sie eh nur Krötenschnörkel übrig.

Aschen

Intransitive Verben, die die Absonderung einer bestimmten Substanz durch das Subjekt beschreiben, beziehen sich fast immer auf Körperausscheidungen. Zu einer solchen adelt das Verb aschen quasi die Zigarettenasche, als wäre die Zigarette Teil des Körpers. Darin vermute ich den Grund dafür, dass ich das Verb lustig finde und auch viele der Sätze, die es enthalten:

Auf jeden Fall muß man den Gästen beizeiten einbleuen, daß sie auf keinen Fall jemanden mitbringen dürfen! Sonst hat man ein oder zwei Stunden lang die Wohnung voll mit Gestalten, die man überhaupt nicht kennt und auch nicht kennenlernen wird, die dafür aber so ungehemmter in die byzantinischen Bodenvasen aschen, (…)
Max Goldt, Die Mitgeschleppten im Badezimmer

Wenn ich Vermieter wäre, würde ich auch immer ne Stunde vor dem vereinbarten Termin kommen, damit ich sehe, wie meine Mieter in Müslischalen aschen oder den Herd nicht saubergemacht haben.
C.

Vorfälle

Lange Zeit dachte ich, ein Bandscheibenvorfall hieße Bandscheibenvorfall, weil er eben ein unvorhergesehenes Ereignis ist, das die Bandscheiben betrifft. Dann las ich noch einige Zeit lang den roten Knopf Geschäftsvorfall abbrechen an Geldautomaten als Geschäftsvorfall, abbrechen! und hielt Geschäftsvorfall für einen Euphemismus für Maskierte mit Maschinengewehren, die in die Bankfiliale rennen, während man gerade was abheben will.

Schöne Bigramme

Wie wäre es also allso:

Das Bild vom Ruhrgebiet in den Köpfen der Menschen ist weithin weiterhin von Zechen und Hochöfen geprägt.

Der ehemals so genannte „Große Administrator“ trägt von nun an und vorerst immerdar den Titel „Geliebter Sprachführer“! (amarillo)

Die Menüs können Sie durch Anklicken aufklappen.

Ich schlage vor, dass wir uns auf die Podiumsdiskussion konzentrieren und das Tamtam drumrum ingorieren.

Die neuen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nahmen gerade Fahrt auf, da fand sie die Tat, der sie auf der Spur war, durch eine unvorhergesehene Gesetzesänderung jäh verjährt.

So geschehen schon neulich in Bochum und gestern ebenda erneut.

Like/Gefällt mir/Мне нравится

In a recent blog post, Geoffrey K. Pullum writes:

Twitter merely coined a verb meaning “send a message via Twitter”, but they didn’t specify what linguists call its subcategorization possibilities. They added the verb to the dictionary, but they didn’t specify its grammar. The verb tweet is gradually developing its own syntax according to what it means and what its users regard as its combinatory possibilities. That is a really interesting, though unintended, large-scale natural experiment in how syntactic change works. And it is running right now, every minute of every day.

If Facebook has, similarly to Twitter, coined a new verb, it’s probably like. Sure, that word existed before, but the way it’s employed on Facebook, it has developed an altogether new meaning. When you “Like” something on Facebook – i.e. you click the “Like” button – you thereby do not “like” it in the old sense – rather, you already liked it before and you now announce this to your friends. In the old sense of the verb, you are the experiencer of an affection. In the new sense, you are an agent, a deliberate performer of an action. The subject of the verb has a different thematic role in each case.

In the German translation of Facebook, the verb gefallen was chosen to translate like. This captures the old sense of like very well, much better than the perhaps more direct translation mögen. On the other hand, gefallen is having difficulties assuming the new sense, that of clicking a button to display one’s approval or enjoyment of something.

I think this is because gefallen assigns the experiencer role to its (dative) object rather than to its subject. For illustration, consider the English verb strike which does the same thing in sentences like “It strikes me that you are losing weight”: the verb is used to describe a situation where somebody experiences something, e.g. the striking perception that another person is losing weight, and the experiencer is described by the object of the sentence, e.g. me. Like is different; here, the experiencer is described by the subject of the sentence. Thus, when translating English like to German gefallen, the syntactic arguments need to be swapped: “I like this” becomes not “Ich gefalle das”, but “Das gefällt mir.”

Why does this prevent gefallen from assuming the new sense of its English counterpart like? Couldn’t “I recently liked that park on Facebook” analoguously translate to “Dieser Park hat mir neulich auf Facebook gefallen”? This sounds very weird to me, and I think the reason is a restriction on the mapping between thematic roles and syntactic arguments. Remember that the syntactic argument that was assigned the experiencer role in the old sense is assigned the agent role in the new sense. And to my knowledge, agent roles are only assigned to subjects in German (and also in English).1

If this were to change by gefallen acquiring a new sense where the dative object fills an agent role, this would pose many syntactic problems. How would you translate “Like this on Facebook!” or “I decided to like the park on Facebook” to German? Imperatives are always addressed to the (invisible) subject, and control always identifies the (invisible) subject of the embedded clause (“to like this park on Facebook”) with the subject or object of the embedding clause (“I decided”). One could construct “Der Park hat sich entschieden, mir auf Facebook zu gefallen”, but that would mean the park decided, not I.

So how do German speakers deal with the challenges posed by grammatically strenuous gefallen being the official translation of Facebook’s ubiquitous like?

First of all, as Facebook’s UI itself is concerned, “Like” and “Unlike” are translated quite freely with “Gefällt mir” (“I like”) and “Gefällt mir nicht mehr” (“I don’t like anymore”). This avoids using a new sense of the verb and rephrases things to use the old sense, by allowing the user to describe herself as an experiencer rather than explicitly offer her the possibility to become an agent. The description does not match reality perfectly, of course, for when I unlike something, that does not imply I don’t like it anymore, it just means I no longer want to commit to that on my Facebook profile.

In status updates about liking pages or links, the issue does not arise, as the English original itself talks about liking in the old sense, as an affectional state rather than an action. After all, it says “Peter Schwarz likes Conny Fuchs’s link”, not “Peter Schwarz liked Conny Fuchs’s link.” Interestingly, the relatively free word order of German makes it possible to keep the structure of such messages using gefällt, putting the dative object before the verb: “Peter Schwarz gefällt Conny Fuchs’ Link.”

Before the verb is even the preferred position for the experiencer in most contexts. Nevertheless, the prototypical main clause word order in German still starts with the subject. And person names are not marked for dative case.2 So the above could also be read with Peter Schwarz as the subject and Conny Fuchs’s link as the object. When Facebook’s “Gefällt mir” button started becoming ubiquitous on the German-speaking Internet, I actually expected people to start using gefallen exactly like like in the new sense, with an agent subject and a theme accusative object. It is not unusual for German verbs to assume semantic and syntactic argument structures from English counterparts, which is then bemoaned as an Anglicism once it has irreversibly settled in. An example is the verb erinnern (remember). The standard way to say “I remember this” in German is “Ich erinnere mich daran”, with an accusative reflexive pronoun and a prepositional object. However, recently “Ich erinnere das”, with the same structure as in English, is also frequently heard. Or maybe this non-standard usage has been around forever and I’m just interpreting it as a new Anglicism. (See johannes’s comment below.) To come back to my point, no, I haven’t seen or heard gefallen used with the argument structure of like yet. The new sense of like doesn’t seem to have a lexical counterpart in German yet.

Instead, gefallen is used with a slightly different sense in the context of Facebook – “Mir gefällt das” not meaning that I like it but that I made liking it part of my Facebook profile – but with the same argument structure (experiencer subject, theme dative object, no agent), still describing a state, not an action. As long as the context does not absolutely require an agent, gefallen in this sense is used rather consistently, as some of tonight’s first Google hits for „auf facebook gefallen“ show:

  • Wenn dir beispielsweise etwas wie ein Buch, ein Film oder jemand wie ein Sportler gefällt, wird diese Verbindung genauso Teil deines Profils wie dies der Fall ist, wenn dir Seiten auf Facebook gefallen. (Facebook Help Center)
  • High Live  würde sich freuen, wenn noch mehr Leuten „High Live“ auf Facebook „gefallen“ würde… (High Live’s page)
  • Die Seiten oder Produkte, die Mitgliedern auf Facebook gefallen, generieren automatisch entsprechende Vorschläge auf Amazon. (Social Media Pro)
  • Wir haben für euch auf Facebook eine einige Seiten erstellt, die für Spieler gedacht sind, denen unsere Seiten zu Blizzard, Diablo, StarCraft und Warcraft auf Facebook gefallen. (BlizzCon 2010)

There are some bewitchingly creative variations:

  • Gaggle ist auf diversen Plattformen präsent, über YouTube gibt es Gaggle-Videos, über Facebook werden neueste Nachrichten aus dem Gaggle-Kosmos ausgetauscht, 1253 Personen gefällt das. (Die Zeit)
  • 313’000 Personen finden auf Facebook gefallen an Swarovski. (fuellhaas.com)

And the ultimate solution to the problem that the one who clicks “Like” is not a subject in such constructions has been found by YouTube user Clixoom. He uses a “causative” construction with lassen, enabling him to use gefallen in an imperative statement:

  • lasst euch Clixoom auf FACEBOOK „gefallen“

This is also a creative new use of the phrase “sich etwas gefallen lassen”. The above invitation to like Clixoom on Facebook can also be read as a self-mocking invitation to put up with Clixoom on Facebook.

1 If you don’t count “logical subject” phrases in passive as objects of the verb, which you shouldn’t.

2 In Russian they are, and Facebook doesn’t seem to know how to do that yet even for Russian names written in Cyrillic, which is kind of lame and leads to lots of grammatically incorrect status updates, since the Russian like, нравиться, works pretty much exactly like gefallen.

Irrealis im Alltag

Drei Radfahrer (A, B und C) kommen an eine rote Fußgängerampel. A fährt einfach darüber. Von rechts kommt ein Auto und bleibt auf der Linksabbiegerspur stehen. Angesichts dessen bleiben B und C auch stehen.

B: Wenn man jetzt nicht wüsste, dass, wenn man jetzt einfach losführe, der sofort grün kriegen würde, könnte man’s ja machen.

Während B noch spricht, kriegt das Auto grün und fährt weg, dann kriegen die Radfahrer grün und setzen sich in Bewegung.

C: Was?

B: Wenn man jetzt nicht gewusst hätte, dass, wenn man jetzt einfach losgefahren wäre, der sofort grün gekriegt hätte, hätte man’s ja machen können.

Einleitephrasen im Relativsatz

Der Knüller hier ist Beispielsatz (33). Wer schon weiß, wie Relativsätze im Deutschen funktionieren, kann direkt runterscrollen.

Die einschlägigen Grammatiken sprechen von einem „Einleitewort“ im Relativsatz, so auch die Canoo-Grammatik, der dieser Eintrag ansonsten viel verdankt. Dabei werden Relativsätze im Deutschen von einer ganzen Phrase eingeleitet, die nur in den typischsten Fällen aus genau einem Wort besteht. Kennzeichnend für diese „Einleitephrase“ sind zwei Dinge: Sie ist gegenüber der Nebensatz-Grundstellung nach vorne bewegt und hinterlässt eine unsichtbare Lücke, die ich im Folgenden als Unterstrich sichtbar mache: _. Außerdem enthält sie ein spezielles Wort, das die Verbindung zum Bezugswort des Relativsatzes herstellt. Im typischsten Fall ist dieses Wort eine Form des Relativpronomens der/die/das, wie in den folgenden Beispielen (ich setze die Einleitephrasen fett):

(1) der Mann, der _ das getan hat
(2) die Frau, deren/derer wir _ gedenken
(3) das Problem, dem wir _ nicht beikommen
(4) die Kinder, die wir _ gesehen haben

Es gibt noch das Relativpronomen welcher/welche/welches. Dem fehlen witzigerweise die Genitivformen, ansonsten funktioniert es genau so:

(5) der Mann, welcher _ das getan hat
(6) das Problem, welchem wir _ nicht beikommen
(7) die Kinder, welche wir _ gesehen haben

Dass die Einleitephrase hier nur aus einem Relativpronomen besteht, ist wie gesagt nur der typischste Fall. Die Einleitephrase kann auch ein Substantiv enthalten und ein Relativpronomen im Genitiv als Possessiv-Determinierer nutzen:

(8) das Bett, dessen Füße wir _ abgesägt haben

Oder die Einleitephrase kann eine Präpositionalphrase sein, in der das Relativpronomen das Komplement der Präposition ist:

(9) der Anblick, angesichts dessen ich _ erstarrte
(10) die Leute, bei denen wir _ vorstellig geworden sind
(11) die Sache, über die ich mich _ wundere

Die Einleitephrase kann auch ein zu-Infinitiv sein, in dem ein Dependent (Objekt oder Attribut, Argument oder Adjunkt, was auch immer) des Verbs das Relativpronomen ist – oder es enthält, denn all diese Einbettungsmöglichkeiten lassen sich fast beliebig kombinieren:

(12) das Auto, das zu fahren ich mich _ nicht traue
(13) der Mann, dessen Frau zu kritisieren ich mich _ nicht traute
(13) die Angelegenheit, über die zu sprechen mir _ verboten wurde
(14) der Mann, über dessen Frau zu sprechen mir _ unangenehm ist
(15) der Mann, über dessen Frau sprechen zu wollen mir _ gefährlich erscheint

Dieser Dependent hat die Eigenheit, in der Einleitephrase vorne stehen zu wollen (Sternchen bedeutet falsch):

(16) der Zwirn, mit dem sich anzuziehen er _ toll findet
(17) *der Zwirn, sich mit dem anzuziehen er _ toll findet

Altertümlicherweise gibt es auch Einleitephrasen, die nur aus dem Wort so bestehen; dialektalerweise gibt es welche, die nur aus dem Wort wo bestehen. Sie funktionieren wie ein Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ; ob es auch in Genitiv und Dativ geht, weiß ich nicht:

(18) der Mann, so _ sich Johann Albert Erzbischof von Magdeburg nennt
(19) das Schnitzel, wo ich _ gegessen habe

Im Schriftdeutschen kommt dieses wo nur vor, wenn es mit einer Präposition zu einem (interrogativen) Pronominaladverb verschmilzt und dann als Einleitephrase wie eine Präpositionalphrase verwendet werden kann:

(20) das, wofür sie _ gekämpft hatte
(21) vieles, woran ich _ geglaubt habe
(22) das Beste, womit wir _ rechnen können

Und zwar typischerweise dann, wenn das Bezugswort ein Demonstrativ- oder Indefinitpronomen oder ein substantiviertes Adjektiv im Superlativ ist, wie in den drei Beispielen. Hier Präpositionalphrasen zu verwenden, würde ein wenig ins Umgangssprachliche spielen:

(23) das, für das sie _ gekämpft hatte
(24) vieles, an das ich _ geglaubt habe
(25) das Beste, mit dem wir _ rechnen können

Umgekehrt ist es möglich, bei anderen Bezugswörtern Pronominaladverbien zu verwenden (auch nicht-interrogative), was dann aber altertümlich bis seltsam klingt, zumindest für mein Empfinden:

(26) der Wein, woran sie sich _ labten
(27) der Schlag, darob er _ ohnmächtig wurde

Eingeschobene Ergänzung 21:34 Uhr: Demonstrativ- und Indefinitpronomina sowie substantivierte Adjektive im Superlativ haben noch eine weitere Besonderheit: Besteht die Einleitephrase nur aus einem Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ, so ist dieses häufig nicht der/die/das oder welcher/welche/welches, sondern was. Wie seltsam das daneben klingt, hängt für mich vom Bezugswort und sogar vom weiteren Kontext ab (hat es etwas mit Definitheit zu tun?):

(A1) Hast du alles, was/??das du _ brauchst?
(A2) Hier ist alles, was/?das ich _ brauche.
(A3) etwas, was/das _ mich beunruhigt
(A4) vieles, was/?das ich _ nicht weiß
(A5) das Beste, was/??das _ mir je passiert ist

Entsprechend kann statt dessen wessen stehen, dessen finde ich hier aber natürlicher:

(A6) etwas, dessen/?wessen man sich schämen muss

Dialektal/umgangssprachlich kann was/wessen auch nach sächlichen Substantiven stehen:

(A7) das Kleid, was ich mir _ gekauft habe
(A8) der Sitz, wessen ich mich _ vergewissert hatte – Ergänzung Ende.

Verwandt mit der Verwendung von interrogativen Pronominaladverbien als Einleitephrasen ist die entsprechende Verwendung der normalen Interrogativadverbien wo und warum. Wenn ich meinen pingeligen Hut aufsetze, finde ich das unschön, aber es ist sehr real:

(28) die Stadt, wo ich _ gewesen bin
(29) der Grund, warum ich mich _ nicht daran erinnere

Bei wo muss das Bezugswort einen Ort denotieren, bei warum kommt eigentlich nur Grund als Bezugswort in Frage, vielleicht noch Synonymoide wie Ursache. Der folgende Satz erscheint mir jedenfalls eindeutig falsch, obwohl er Sinn ergibt – man kann den Materialfehler ja als Grund betrachten:

(30) *der Materialfehler, warum ich _ jetzt im Krankenhaus liege

Das Phänomen ist interessant – um zum Beispiel ein Substantiv als Ortsangabe in einen Satz einzubinden, braucht man normalerweise eine Präposition. Welche, hängt stark von dem Substantiv ab: man ist in einer Stadt, auf dem Strand, an einer Universität… wo als Relativsatz-Einleiter hingegen umgeht diesen Zwang zur Präposition. Ganz entsprechend wo und warum fungieren die Konjunktionen wenn (für Gegenwart und Zukunft) und als (für die Vergangenheit), wenn das Bezugswort einen Zeitpunkt oder einen Zeitraum denotiert:

(31) die Zeit, wenn das Öl _ aufgebraucht ist
(32) der Sommer, als wir uns _ kennengelernt haben

Zuletzt ein Typ Einleitephrase, von dem ich neugierig wäre, ob er irgendwo schon beschrieben ist: eine Nominalphrase mit dem Determinierer welch, normalerweise darauf beschränkt in Ausrufen („Welch liebliches Antlitz dieser Morgen zeitigt!“) und indirekten Fragesätzen („Er wusste wohl, welch liebliches Antlitz der Morgen gezeitigt“) satzinitial vor sich hin zu altertümeln, scheint zumindest Gisbert Haefs in dem Krimi Mord am Millionenhügel auch als Relativsatzeinleitephrase zu taugen. Da heißt es gegen Ende:

(33) Nach dem armen Versehrten und dem aufopfernden Kameraden kam nun eine heimatduselige Schilderung des Waldes und des zarten Emil M., Sohn des rechtschaffenen Pflegers im Krankenhaus, welch zartes Knäblein _ am nämlichen Tage im Wald zu lustwandeln sich nicht enthalten mochte.

Faszinierend ist hier vor allem die ganz und gar ungewöhnliche Möglichkeit, dem Bezugswort vermöge Adjektiv und Nomen noch in der Einleitephrase eine weitere Beschreibung zu verpassen. Ist das etwas Altertümliches und ich habe es nur bei Haefs zum ersten Mal bewusst gesehen? Oder hat Haefs selbst die Möglichkeit, bestimmte Einleitephrasen von indirekten Fragesätzen (wo, warum) auch für Relativsätze zu verwenden, auf Nominalphrasen mit welch-Begleiter übertragen?

Was bedeutet „sowie“?

Im Katalog zur Ausstellung Slave City (sehr zu empfehlen) reißt Michael Zeuske kurz die Weltgeschichte der Sklaverei ab und verwendet dazu u.a. einen bemerkenswerten Satz:

Allerdings wurden Männer sowie Frauen und Kinder strikt voneinander getrennt.

Das Weltwissen sagt einem, was gemeint ist: Frauen und Kinder wurden zusammen untergebracht, Männer getrennt davon. Allerdings stört mich etwas an der Formulierung: ⟦voneinander⟧ scheint mir ein Operator zu sein, der ein geordnetes Paar von Mengen als Argument nimmt. In diesem Fall müsste das eigentlich das Paar 〈⟦Männer⟧, ⟦Frauen⟧∪⟦Kinder⟧〉 sein. Meinem Sprachgefühl nach kann ein Paar 〈⟦a⟧, ⟦b⟧〉aber syntaktisch nicht als a sowie b realisiert werden, sondern nur als a und b. Anders gesagt, sowie kriege ich nur als ∪ interpretiert, und dagegen je nach Kontext auch als paarbildenden Operator. Danach hieße der Satz oben: Männer und Frauen wurden zusammen untergebracht, Kinder getrennt davon. Oder aber, dass alle [Sklaven] voneinander getrennt wurden. Das ist sachlich unwahrscheinlich.

Was soll ich denn machen, verteidigt sich jetzt der Autor, Männer und Frauen und Kinder ist erst recht ambig und Männer und Frauen sowie Kinder geht nicht, weil und immer stärker bindet als sowie. Dann wären wir wieder bei der nicht intendierten Lesart.

Ach ja? Wo steht das geschrieben, dass und eine höhere Operatorpräzedenz hat als sowie? Mein Sprachgefühl gibt das irgendwie nicht her. Als mein Deutschlehrer beim Diktieren eines prüfungsrelevanten Sachverhalts einmal eine abenteuerliche undsowie-Koppelung bemühte und ich aufzeigte, um Desambiguierung zu heischen, stellte dieser sonst von mir sehr verehrte Mensch mich als einen hin, der eine Ambiguität auflösende Nuance des Ausdrucks nicht erkannt hatte. Empörend, hatte ich doch als einziger alle möglichen Bedeutungsnuancen erkannt und gerade die immer noch bestehende Uneindeutigkeit, die Unzulänglichkeit aller Zeichen, die Hohlheit der Sprache… ich steiger mich da gerade in was rein. Ein linguistisch fundierter Schluß entfällt.