Ursula März ist ne Marke. Ab und zu schreibt sie in der Zeit, mit Vorliebe über Liebe und Sexualität. Ihre Spezialität: auf allerbizarrste Weise immer alles ablehnen, was vom Mainstream abweicht. Es ist nachgerade ein eigenes feuilletonistisches Subgenre, was sie da begründet hat.
Sonia Rossis Hurenroman „Fucking Berlin“, wo anscheinend die Anerkennung der Prostitution als normaler Beruf gefordert wird, hat sie gekontert mit dem Argument, haha, wenn das als normaler Beruf anzuerkennen wäre, müsste man ja keine Bücher drüber schreiben. Dem mag man zustimmen, die Argumentation krankt jedoch daran, dass sie keinen besseren Grund für die Geringschätzung der Prostitution nennt als die Borniertheit der Gesellschaft, die laut Buch ja gerade geändert werden soll.
Im Zeit-Magazin 13/2009 spürt März vorgeblich der „abendländischen Gesellschaft“ nach, die – so behauptet sie – die Frau mit dem viel jüngeren Mann immer noch viel gründlicher ablehnt als den Mann mit der viel jüngeren Frau. Im letzten Absatz kann sie es dann aber doch nicht lassen, die der Gesellschaft untergeschobene Borniertheit als ganz und gar ihre eigene zu entlarven:
Die Regel sagt: Im besten Fall ist der Mann ein paar Jahre älter als die Frau. Im zweitbesten Fall ist die Frau ein wenig älter als der Mann, aber nicht mehr als zehn Jahre. Wer liebt und lieben will, soll Regeln brechen nach Lust und Laune. Zu verleugnen, dass die Kulturgeschichte unseren Reflexen ein kleines Regelwerk der Liebe eingepflanzt hat, das indes ist Unfug.
Hat ja auch keiner verleugnet, zumindest steht davon nichts im übrigen Artikel. Der Verdacht drängt sich auf, dass März ihr kleines Regelwerk, so hübsch der Bezug auf „Kulturgeschichte“ und „Reflexe“ dies an der Oberfläche zu relativieren versucht, normativ ins Feld führen will. Man merkt: Dumm ist sie nicht, die Frau, sie schreibt gut, nur leider ganz im Dienste tief fehlgeleiteter Reflexe. Ohne die hätte sie sich auch nicht zu diesem Vergleich hinreißen lassen:
Frank-Walter Steinmeier mit einer Frau, die demnächst einen runden Geburtstag feiert, nämlich ihren 70.? Da sträubt sich was, und zwar mit erstaunlicher Kraft. Auf den Punkt gebracht: Ein schwuler Bundeskanzler wäre für die öffentliche Fantasie akzeptabler als ein Bundeskanzler mit einer erheblich älteren Frau.
Auf den Punkt gebracht ist daran gar nichts, da ist nur ein diffuser Nebel aus Homophobie. Was uns zu März’ spektakulärster mir bekannter Entgleisung führt, einen Artikel, in dem die Gleichsetzung von Homosexualität und Päderastie nur die Krönung eines großen Bergs von Unsinn ist:
Und nun Joanne K. Rowling. Dieser Tage hat sie die Auskunft in die Welt gesetzt, Dumbledore (weiser Direktor der Zauberschule Hogwarth) sei schwul. (…) Dumbledore ist für immer (und mit ihm das ganze Harry-Potter-Fantasiegebilde) ausgeliefert an die unliterarische Instanzenwelt psychologischer Aufklärung. Es ist ein Jammer und nichts mehr, wie es war. (…) War die Zauberschule sieben Bände lang nichts anderes als der Kompensationsraum eines unausgelebten alternden Homosexuellen, der gern pubertierende Wesen um sich hat?
Liebe und Sexualität hat es im Harry-Potter-Universum immer gegeben. Als Mensch muss Ursula März sich fragen lassen, warum nun ausgerechnet die Homosexualität einer Hauptfigur die Schranken zu jener ach so schrecklichen „Instanzenwelt“ aufreißt. Und als Literaturkritikerin muss man sie fragen, warum ausgerechnet eine Äußerung der Autorin das tausendmal stärker tun sollte als alles bisher da Gewesene: Sobald man im Bereich der Rezeption, Interpretation und Weiterverarbeitung des Harry-Potter-Universums die allerallermassenkompatibelsten Broadways verlässt, wird man feststellen, dass es ungefähr keinen sexuellen Kompensationsraum gibt, zu dem es nicht längst gemacht worden wäre (im Vertrauen, die Bücher wären ja langweilig, wenn sie sich nicht so gut dazu eignen würden).