Archiv des Autors: Kilian Evang

Fröhliches Laminieren

Mittwoch, 2. Mai, 14:37 Uhr
Die in Teilzeit arbeitende Lehrerin Barbara G. ersteht im Schreibwarengeschäft des örtlichen Einkaufszentrums ein handbetriebenes Laminiergerät, um selbst erstellte Lehrmaterialien langlebiger zu machen.  Als sie den Einkauf, zu Hause angekommen, um 15:11 Uhr zunächst in die Ecke stellt, trübt kein Vorzeichen von Unheil die milde Frühsommerluft.

Samstag, 5. Mai, 15:09 Uhr
Feierliche Inbetriebnahme des Neuerwerbs anhand von Barbara G.s Stundenplan für das laufende Schulhalbjahr. Der anwesende Ehemann Friedrich G. ist beeindruckt vom Nutzen des Geräts und lässt sich gleich auch einen häufig gebrauchten Übersichtszettel laminieren.

Montag, 7. Mai, 17:57 Uhr
Nach einer längeren Schreibtischsitzung sind ein Klassensatz Übersichten über französische Verbkonjugationen sowie eine Reihe von Arbeitsblättern für Gruppenübungen im Fach Deutsch durch robuste Klarsichtfolie vor Knicken, Schmutz und Feuchtigkeit geschützt.  Sicherheitshalber fertigt Barbara G. einen zweiten Klassensatz und noch einige laminierte Exemplare der Schulhausordnung an, bevor sie zufrieden ihren Feierabend genießt.

Dienstag, 8. Mai, 16:02 Uhr
Nachdem sie gestern beinahe alle Folien verbraucht hat, hat Barbara G. heute eine neue Vorratspackung angeschafft. Sie ist allerdings noch unangetastet, da es derzeit keine neuen Unterrichtsmaterialien zu laminieren gibt. Erste Spuren von Nervosität liegen in der Luft.

Mittwoch, 9. Mai, 20:02 Uhr
Friedrich G. zeigt Anzeichen beginnender Gereiztheit. Zuvor hatte Barbara G. im Laufe des Nachmittags und Abends trotz seinem freundlichen Ablehnen insgesamt zwölfmal ihre Hilfe mit seinen ihr zufolge dringend zu versiegelnden Dokumenten angeboten.

Donnerstag, 10. Mai, 2:32 Uhr
Der in einer anderen Stadt studierende, aber derzeit zu Besuch weilende Sohn Matthias G. wundert sich sehr, als seine Mutter zu nachtschlafender Zeit an seine Zimmertür klopft, ob er zufällig noch etwas zu laminieren habe, sie sei gerade „so schön drin“. Es stellt sich heraus, dass in den vergangenen Stunden nicht nur die in einem Ordner in der Küche lagernden ausgedruckten Kochrezepte, sondern auch sämtliche Rechnungen der letzten zwei Jahre in Folie konserviert wurden, was ihren Platzbedarf mehr als verdreifacht.

Freitag, 11. Mai, 4:20 Uhr
Friedrich G. wird von einem Urschrei mit dem Wortlaut „LAMINIIIIIIIIIEREN!“ abrupt aus dem Schlaf gerissen.  Er beginnt sich ernsthafte Sorgen zu machen, zumal am Vortag mehrere Versuche, etwas auf Schmierpapier zu notieren, an einer auf unerklärliche Weise hinzugekommenen Folienschicht gescheitert waren.

Freitag, 11. Mai, 6:59 Uhr
Der Renter Horst F., Nachbar der G.s, tritt gutgelaunt vor die Pforten seines Bungalows – und schlägt der Länge nach hin. Im Krankenhaus wird er später zu Protokoll geben,  irgendetwas sei mit dem Bürgersteig anders gewesen als sonst.

Samstag, 12. Mai, 11:37 Uhr
Es ist nicht klar, wie sie es gemacht hat, aber Barbara G. hat mehrere vollständige Bücher, sämtliche Lebensmittelpackungen und eine Ananas laminiert. Auch der Kühlschrank lässt sich aufgrund einer ihn umgebenden Klarsichtfolienschicht nicht mehr öffnen. Die Familie beschließt einen Nervenarzt zu rufen, doch die Patientin ist verschwunden und lässt sich nicht mehr auffinden. Auch von Barbara G.s Laminiergerät fehlt jede Spur.

Sonntag, 13. Mai. Morgengrauen.
Eine gespenstische Stille liegt über der Wohnsiedlung Fichtenweg. Eine auf den ersten Blick unerkennbare Schicht aus Polyethylenterephthalat überzieht Bäume, Sträucher, Autos, Häuser, Katzen und Hunde. Konserviert für die Ewigkeit ist selbst der Ausdruck des Entsetzens, der sich der Gesichter der Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung in ihren letzten Augenblicken bemächtigt hat. Menschen wie du und ich, die es nicht für möglich gehalten hätten, dass Laminieren so viel Spaß macht.

Eigen-aardig

Paulien Cornelisse ist so etwas wie der niederländische Bastian Sick, aber in witzig, klug und vielseitig. Die Lektüre ihres Buches Taal is zeg maar echt mijn ding (Sprache ist sag mal so echt mein Ding) hat mich sehr unterhalten, gebildet und mal wieder darin bestätigt, wie ähnlich sich Niederländer/innen und Deutsche in vielen sprachlichen und anderen Befindlichkeiten sind.

Sie schreibt zum Beispiel: „Ich finde, es ist vor allem furchtbar niederländisch, ständig zu rufen: ,Das ist sooo niederländisch!‘“ Phänomen bekannt, oder?

Oder ihre unter der hier geklauten Überschrift getätigten Ausführungen zu onzinetymologie (Quatschetymologie), die ich einst als pastor/inn/entypisch charakterisierte, Cornelisse aber eher der New-Age-Ecke zuschreibt (auch sehr plausibel). Quatschetymologie liegt nach ihrer Definition vor, wenn man „eine Erklärung über den Ursprung eines Wortes gibt, die nicht stimmt, einem aber gut in den Kram passt.“

So höre man sich Leute nicht nur als een echtpaar (ein Ehepaar) bezeichnen, sondern auch als een echt paar (ein echtes Paar). Oder behaupten, Bio sei notwendigerweise logisch, weil in biologisch das Wort logisch schon drinstecke. Oder eine, die eigenaardig (eigenartig) gefunden wird, damit trösten, dass eine Jede auf ihre eigen (eigene) Weise aardig (nett) sei. Oder jemanden, der zachtmoedig (sanftmütig) ist, loben, weil man, um zacht (sanft) zu sein, moedig (mutig) sein müsse. Oder die ultimative Begründung dafür liefern, dass Geben besser ist als Nehmen: nemen fängt mit nee an. Eine von Cornelisses entzückenden Cartoonfiguren gibt schließlich zu bedenken: „Ja, aber denke daran: liefde (Liebe) ist ein werkwoord (Verb), ne. Ein werk-woord (Arbeits-Wort).“ Besser kann man das Facepalm-Potenzial von Quatschetymologie nicht illustrieren.

Schöne Bigramme (2)

Was bisher geschah: Schöne Bigramme

Basser und Drummer müssen sich einigen, ob sie den One Drop machen wollen, dann kommt statt der betonten Eins im Takt eine Pause, was Leute ohne Erfahrung im Genre gerne in den Wahnsinn treibt. (DrNI)

Ich bin mittel bis sehr stark verwundert warum der Empfang da so abrupt abrupft. (Juuro)

Ist der Chef zufällig zugegen?

Ständig wurde ich letzte Woche in Gespräche verwickelt, die nicht selten seltsam wurden.

Solange dies währte, hatten sie sich nur über unter mysteriösen Umständen hinzukommende Tassen zu wundern.

Nee, ne?

Die Proteste scheinen ja erfreulich erheblich gewesen zu sein.

Musikalisch-kulinarische Inspi­ra­tion liegt dem Bei­trag von Ste­phan Bopp (Fra­gen Sie Dr. Bopp!) zugrunde, wenn er auf­grund eines Schla­gers kon­sterniert kon­statiert: Wenn Carne sich auf Sahne reimt. (suz)

Blogspektrogramm #14

Stundenkilometer – ist das nicht ein unlogisches Wort? Welche deutschen Dialekte sind beliebt und welche weniger? Was hat es damit auf sich, dass Carne sich auf Sahne reimt? Welche grotesken Mätzchen lässt sich der Verein Deutsche Sprache auf seinem Kampf gegen Anglizismen nun wieder einfallen? Was sollte man auf Warnungen vor bürokratischen Monstern geben? Was hat es mit der „Magie“ der chinesischen Schriftzeichen auf sich? Entspricht das englische you dem deutschen du oder eher dem Sie oder keinem von beiden? All dies im aktuellen Blogspektrogramm von suz bei */ˈdɪːkæf/.

Blogspektrogramm #13

Diese monatliche Übersicht über die deutschsprachige Sprachblogosphäre – mit sprachwissenschaftlichem Schwerpunkt und sprachspielerischen Einstreuungen – geht nunmehr in ihr zweites Jahr. Der Kreis der regelmäßig teilnehmenden Blogs hat sich im ersten Jahr nicht sehr stark verändert, als kürzlicher Neuzugang hervorzuheben ist aber „Interkorrektor“ Dirk Müllers Sprachblog. Um die Flughöhe über dem eigenen Tellerrand beruhigend hoch zu halten, fließen auch verstärkt externe Linkempfehlungen ein, oft in die englischsprachige Blogosphäre.

Kristin Kopf erklärt im [ʃplɔk], warum man als Linguistikstudent/in energisch zurechtgewiesen wird, wenn man in der falschen Situation von Buchstaben spricht. Im öffentlichen Diskurs über Sprache und Rechtschreibung wird beides oft vermischt oder sogar gleichgesetzt. Kristin erklärt, warum man es auseinanderhalten muss und wie man über Sprache spricht, ohne Zuflucht zu Begriffen der Rechtschreibung zu nehmen. Des weiteren empfiehlt sie einen Blogeintrag von Alexander Lasch, in dem er praktisch und im Detail eine kleine, aber facettenreiche korpuslinguistische Übungsstudie präsentiert, bei der es um Autorenstile geht.

Dirk Müller beschäftigt sich mit dem Verb lektorieren und dem Vorwurf, dieses Verb sei Schwachsinn, weil bereits der Lektor von einem Verb abgeleitet sei. Er kann dem Vorwurf aber einige gute Argumente entgegenhalten, wird also wohl auch in Zukunft  Texte lektorieren und höchstens mal Speisen oder Metalle legieren.

Nur noch, nur mehr und mehr als sind alles Ausdrücke, die wir kennen und wissen, was sie bedeuten. Michael Mann vom lexikographieblog ist nun auf einen Artikel gestoßen, in dem sie eine syntaktisch und semantisch auf den ersten Blick nicht ganz durchsichtige Verbindung eingehen: nur noch mehr als. Michael zerlegt sie. Er empfiehlt außerdem das Blog der Merriam-Webster-Lexikografin Kory Stamper, in dem „wunderbare, amüsante Geschichten aus ihrem Leben mit diesem Beruf“ zu finden sind, zum Beispiel eine darüber, wie sie in einem Radiostudio merkte, dass sie über dem Arbeiten mit Wörtern unter Laborbedingungen fast vergessen hatte, wie man mit Menschen redet.

Stephan Bopp schreibt bei Fragen Sie Dr. Bopp! über den ersten niederländischen Tag der deutschen Sprache, der am 19. April stattfand. Von Anschlusstreffer (Fußballtrainer) über fabelhaft (Bankdirektor) bis Wiedergutmachung (Botschafter) findet man in seinem Beitrag auch eine Liste von deutschen Lieblingswörtern niederländischer Promis nach Beruf.

Wenn man zwei Sprachen miteinander vergleicht, wird man immer feine Unterscheidungen finden, die durch eine Sprache getroffen werden und durch die andere nicht. Anatol Stefanowitsch beschäftigt sich im Sprachlog mit den Unterschieden zwischen naked und nude und shadow und shade, die Deutschsprachigen erst mal merkwürdig vorkommen. Daneben empfiehlt er eine Glosse der feministischen Linguistin Luise Pusch zur Lektüre, in dem sie sprachliche Diskriminierung von Lesben und Schwulen in einem Krimi von 1970 und einem Artikel von heute aufzeigt.

Hier im Texttheater erblickten im April drei selbsterfundene Wörter das Licht der Öffentlichkeit.

Bisher erschienene Ausgaben:

Palindrome

I’m beginning to teach myself Haskell, because we all have to. I started doing the 99 Haskell problems and came across a beautifully cunning solution to problem 6, “Find out whether a list is a palindrome.” Let’s first look at the classic solution, which is maximally declarative. I use Prolog here to formulate it:

palindrome(X) :-
  reverse(X,X).

It reverses the list, then checks if the result is the same as the original (that’s the definition of a palindrome). It checks that by going through both lists and comparing elements at corresponding positions.

What’s ugly about this is that this is at least twice as many comparisons as needed. Since we know one list is the reverse of the other, it suffices to compare the first half of one to the last half of the other. (In lists of odd length, the center element does not need to be compared at all, since it is always identical to itself.)

Alternatively, we could just traverse the list to check, carrying along a reversed version of what we have traversed so far, stop in the middle and then compare the reversed first half to the remainder (i.e. to the last half). The problem is: where to stop? We don’t know the length of the list until we have traversed the whole of it, hence we also don’t know what half its length is.

Enter the intriguing solution that was given on the Haskell Wiki, humbly titled “Here’s one that does half as many compares”, and that gave me a very nice lightbulb moment when I had gotten my head around it. Here’s my Prolog translation:

palindrome(List) :-
palindrome(List,[],List).

palindrome([First|Rest],Rev,[_,_|Rest2]) :-
  palindrome(Rest,[First|Rev],Rest2).
palindrome([_|Rev],Rev,[_]).
palindrome(Rev,Rev,[]).

The trick is to carry along a second copy of the original list, popping two elements from it every time we pop one from the main copy. This way, when we reach the end of the second copy, we know we have reached the center of the first. There’s two recursion-ending clauses, one for odd-length and one for even-length lists. Ingenious!

Neue Wörter (5)

ˈBlech·schat·ten <m. 4> Bereich hinter einem Auto, in dem man als Fahrradfahrer sicher ist, weil eventuell heranrasendes Blech durch dieses abgefangen würde; vgl. Windschatten; Im Blechschatten des Kombis bog ich verbotenerweise links ab
bom·barˈbie·ren <V. t.> jdn. ~ jmdm. die Frisur versäbeln
ˈDum·mer <m. 3> neue Errungenschaft der Computerlinguistik: Schieberegler, mit dem sich ein Text stufenlos „runterdummen“, also in der Verständlichkeit verbessern lässt

Blogspektrogramm #12

Hängt das wirtschaftliche Verhalten eines Volkes mit der Zukunftsbezogenheit seiner Sprache zusammen? Woher kommt das Wort Gegenwart? Welche Wörter sind in Goethes Faust am häufigsten und am seltensten? Was ist von dem heftig umstrittenen Buch Kiezdeutsch der Linguistin Heike Wiese zu halten? Wie kann man den französischen Satzbau so beschreiben, dass er auf einen Spickzettel passt? Was ist der Unterschied zwischen Inhalt und Content? Was bedeutete das Wort digital ursprünglich? Eilen Sie ins Schplock, lesen Sie das Blogspektrogramm #12, und es wird Ihnen geantwortet werden!

Zugegebenermaßen aus dem Kontext gerissen

Die aktuelle Zeit interviewt die grüne NRW-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann:

ZEIT: Wenn man Politik für Nordrhein-Westfalen macht, segelt man da nicht immer hart an der Depression vorbei? Hier eine geschlossene Zeche, da eine Stahlruine, überall Zeichen früherer Größe?

Löhrmann: Nein, Nordrhein-Westfalen lebt und schillert. Zum Beispiel in Recklinghausen, da gibt es jetzt einen Wanderweg auf einer ehemaligen Kohlehalde.

Einen Wan… na, dann muss man sich um die Zukunft NRWs ja keine Sorgen mehr machen.