Archiv der Kategorie: Medien

An Wörter glauben?

Menschen glauben an Wörter. Und dieser Glaube wird oft ausgenützt. Die Wortakrobaten jonglieren mit ihren Begriffskonstruktionen und machen die Leute glauben, daß sie von Tatsachen reden und Wahrheiten zum Besten geben. Aber nur mit ein wenig sprachkritischer Logik läßt sich feststellen, daß in den meisten Fällen nur geschickt anderweitige Interessen verborgen oder inhaltsleere Worthülsen gehandelt werden. Mit Pauschalisierungen und anderen Verallgemeinerungen werden Vereinheitlichungen postuliert, um ordnungspolitischen Zwecken besser zu genügen. Die Harmonisierung der breiten Masse erfolgt über sprachliche Verallgemeinerungen.

Dem Illusionismus der sprachlichen Abstraktionen, wie er über die Medien transportiert wird, erliegen besonders Menschen mit ungenügender Bildung. Einfache Menschen wollen und müssen an die Worte glauben und den Sprechern vertrauen können, um nicht die essentielle Basis gesellschaftlichen Verkehrs zu gefährden.

Mauthner-Gesellschaft, Informationen über Information

Diese Passage sagt mir zwar etwas, ist mir aber zu wenig konkret. Was ist die „essentielle Basis gesellschaftlichen Verkehrs“? Mit dieser Frage verbunden ist etwas, das ich mich schon lange frage: Glaubt Lieschen Chantal Müller zum Beispiel das, was in der Bildzeitung steht? Oder liest sie sie nur zur Unterhaltung, mit einer Abgeklärtheit, die Menschen mit „genügender“ Bildung beim jubeljährlichen Durchblättern mit Einmalhandschuhen abgeht? Eigentlich müsste ich Chantal mal fragen, wenn ich das nächste Mal eine ihrer Verkörperungen in der Straßenbahn sehe.

Web²

Liebe Öffentlichkeit,

hiermit reiche ich ein neues Buzzword zur Aufnahme in den allfälligen Wortschatz ein: Web². Es bezeichnet bestimmte kombinatorische Phänomene, die das Web 2.0 mit sich bringt oder mit sich bringen sollte.

Nämlich einerseits die Kombination von Webanwendungen verschiedener Anbieter zu einer verzahnten „Desktopumgebung“ bzw. „Office-Suite“. Konkret: Man klickt z.B. auf last.fm auf „Ja, ich werde dieses Konzert attenden“, und wenn man beim nächsten Mal Google Calendar öffnet, steht das schon da. Existiert bisher, so weit ich weiß, nur in Ansätzen und Träumen.

Der zweite Aspekt von Web² ist dank Social bookmarking und verwandten Phänomenen schon voll im Alltag angekommen: Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen nicht mehr nur Inhalte, sondern auch: Wer empfiehlt mir was, wer ist auf was durch meine Empfehlungen aufmerksam geworden usw.

In gespannter Erwartung deiner Antwort
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Bildungskanon

Das Wissenschaftsressort der Zeit ist gerade dabei, seine 50-teilige Serie Bildungskanon – Das Wissen dieser Welt in Buchform unters Volk zu bringen und abschließend zu beweihräuchern. Das Unterfangen habe ja so viel Spaß gemacht und sei seinen extremen Ambitionen ja so gerecht geworden. Und die Entscheidung, für jede Folge an einen bestimmten Ort der Erde zu jetten, auf den Spuren des Themas zu wandeln und somit aus Wissen Geschichten zu machen, sei ja (sinngemäß) ein Geniestreich allererster Sahne gewesen. Zeit, dazwischenzufahren und zu rufen: „Es war Unterhaltung und sonst – gar – nichts!“

Ein hartes Urteil und vielleicht übertrieben. Aber was bleibt vom Zeit-Bildungskanon in Erinnerung? Er erzählte von der Luft auf den Caféterrassen, auf denen Redakteure Wissenschaftler trafen, er erzählte von den Farben der Hemden der Interviewpartner, von deren Gangart, vom Klang ihrer Stimme. Immer standen einzelne Forschungsinstitute im Mittelpunkt, einzelne Wetterstationen, einzelne Staatsgründungen, einzelne Episoden aus der Geschichte. Mal mehr, mal weniger gut, wurden andere Episoden und Informationen, die wirklich zur Allgemeinbildung beitrugen, damit verknüpft. Überblick wurde nicht geboten und entstand auch nicht.

Über die Karte, die der ersten Folge beilag und die ich mir ins Zimmer hängte, haben A., J. und ich uns einmal herzlich amüsiert. Sie zeigt, wo „das Wissen dieser Welt“ wirklich liegt: Europa ist hinter einer Schar kleiner Marker versteckt. Der Rest der Welt hat kaum welche abbekommen.

Umzugsnotizen (5)

My old web site soviseau.de was hacked today and by God it wasn’t my fault. That gave reason to move the last curious odds and ends, boxes with bricolages from ages ago, to texttheater.de, from one attic to another, so to speak. Among them:

Der Puzzleteil-Navigator, a study for an unusual two-level menu. I remember creating the image maps with Paint and Notepad.

Riddle Sport, an interactive (edible!) virtual chocolate bar. Enjoy!

Last but not least:

dunkelwind&zwillingslicht, a series of analog photos I made of nightly London in 2003. They received artistic value by what happened to them in the photo laboratory – yet instead of paying royalties, I got a full refund! Hee hee!

gestatten = verwehren

Noch etwas Wichtiges: [Meine Töchter] müssen auch lernen, mit Langeweile umzugehen. Denn daraus entstehen oft die tollsten Ideen. Wenn es keine Langeweile mehr gibt, weil ständig Onlinespiele, Chatrooms und Clips zur Ablenkung bereitstehen, lähmt das die Kreativität. Zu erfahren, dass man aus sich selbst heraus die Leere eines Nachmittags füllen kann, ist ein tolles Erlebnis. Wer seinen Kindern dies verwehrt, indem er ihnen Dauerablenkung am Computer gestattet, der bringt sie letztlich um eine wichtige Selbsterfahrung.

Jörg Lau, Ich bleibe hart! (Artikel im aktuellen Zeit-Internet-Spezial)

Ich fand es schon immer zum Schießen, wenn Amateurpädagogen ein Verbot mit dem beliebig dehnbaren Universalargument rechtfertigen, einem Kind X zu gestatten, bedeute, ihm Y zu verwehren. Wie andere Menschen auch haben Kinder einen eigenen Willen. Wie bei anderen Menschen auch deckt sich dieser Willen bei Kindern nicht immer mit dem, was gut für sie selbst ist. Wie bei anderen Menschen auch ist es wohl manchmal – vielleicht häufiger – erforderlich, Kinder „zu späterem Glück zu zwingen“. Aber fast nur bei Kindern wird sprachlich in solchen amateurpädagogischen Auslassungen alleweil die Unterscheidung zwischen Wollen und Brauchen durch diese krude Unterscheidung zwischen Zu wollen glauben und Wirklich wollen ersetzt. Warum machen die das? Vielleicht wollen sie so die schwere Last der Verantwortung euphemisieren, die es mit sich bringt, jemanden „zu späterem Glück zu zwingen“. Das funktioniert ja nur sehr beschränkt und ist gefährlich, denn wer kann schon vorhersagen, was wirklich zu größerem Glück führt? Vernünftige Pädagogik braucht aber keine Euphemismen, um sich zu rechtfertigen. Sie steht dazu, wenn sie etwas verbietet, und sie tut es nur im Notfall. Um zum Beispiel zurückzukommen, wozu ein Internet-Verbot, das zum Unterlaufen und Verachten einlädt, wenn es die Möglichkeit gibt, seinen Töchtern die Wonnen unelektronischer Beschäftigung diplomatisch zu vermitteln, Zeitbeschränkungen fürs Internet zu vereinbaren und so weiter?

Pott

Ich komme aus Düsseldorf, das von Ortsfremden häufig „dem Pott“, also dem Kohlenpott, also dem Ruhrgebiet, zugeschlagen wird. Ganz unbegründet ist das nicht – Düsseldorf stößt direkt an des Ruhrgebietes Südkante und war der gleichen Industrialisierungswelle ausgesetzt, die das kohlenreiche Ruhrgebiet zu dem machte, wofür es bekannt ist. Dies allerdings insbesondere auch, was die weißkragigen Aspekte angeht (Verwaltungen von Thyssen, Krupp, Mannesmann, Wirtschaftsverbände, Messen) – man sprach vom „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.

Mir gefällt enorm, was das Ruhrgebiet in den letzten Jahren aus sich gemacht hat. Letztens war ich mal wieder im Landschaftspark Duisburg-Nord, bei dem tausend Bilder mehr sagen als ein paar Worte, gestern dann spazierte ich durch Oberhausen, an einer Turbinenhalle und einem Gasometer vorbei, die immer noch so heißen, obwohl dort jetzt abgedancet bzw. Kunst ausgestellt wird. Mein Ziel war diesmal nicht so industriehistorisch angehaucht, es war das Schloss Oberhausen mit der Ausstellung Deix in the City, die Werkschau einer wohl ganz großen Nummer im Malen menschlicher Schwächen.

Mir kommt es so vor: Manfred Deix‘ Karikaturen übertreiben die Realität und schaffen es dabei fast immer, nicht nur die Zustände zu verspotten, sondern auch die, die sich über die Zustände aufregen. Und zwar heftig. Immer hat man das Gefühl „Huch, wen wollte er damit letztlich aufspießen?“ Diese Doppelbödigkeit fand ich beachtlich, ansonsten fand ich’s soso lala, ein Humor, den seine Derbheit nicht immer zu voller Blüte treibt.

Wollte ich also eine Chance haben, am selben Tage noch richtig begeistert zu werden, müsste ich eine weitere Ausstellung besuchen, und ich wählte Radical Advertising im Düsseldorfer NRW-Forum. „Erwarten Sie bitte keine besonders originelle oder aufwändige Werbung“, wurde sinngemäß gewarnt, aber leider erst nach dem Eintritt. „Hier geht es um systemverändernde Werbung.“ Inwiefern die gezeigte Werbung systemverändernd war, erschloss sich mir nicht. Im ersten Teil gab es einzelne Beispiele für Guerilla- und virales Marketing – hier hat es ein Museum schwer, einen besseren Überblick zu verschaffen als z.B. scaryideas oder YouTube. Von einem radikalen Paradigmenwechsel, der der zeitgenössischen Werbung im Geleittext großspurig bescheinigt wird, ist jedenfalls nichts zu sehen. Dafür unterscheiden sich in Haltestellenwände eingelassene Riesensandalen dann doch nicht genug von Plakaten und zieht es nicht weit genuke Kreise, wenn ein Baumarkt sich mal den Spaß erlaubt, einen Netzkult um einen fiktiven Stuntman auszulösen.

Auch im zweiten Teil kein Paradigmenwechsel, jedenfalls kein kontemporärer: Gezeigt wird Schockwerbung (Benetton, natürlich, und Diesel) aus längst vergangenen Jahrzehnten. Mag ja sein, dass das damals systemverändernd war, aber irre ich, oder ist die Ironie in der Werbung eine Randerscheinung geblieben? Als drittes Thema ein bisschen Adbusting.

Insgesamt habe ich mich von diesem Sonntag denn aber doch gut unterhalten gefühlt. :-)

Spendenstichwort

Heute sah ich ein Plakat der Diakonie – mit Spendenkontonummer, Bankleitzahl und Stichwort. Letzteres heißt auf den Formularen meiner Bank allerdings immer noch „Verwendungszweck“, und da nun „Krieg und Vertreibung“ reinschreiben…?

Tabus

Ein Tabu zu brechen ist schwierig, weil man dafür an einer Quelle des Mainstreams sitzen muss. Abseits dessen gibt es ja kaum noch welche. Vor zwanzig Hanseln auf einer Provinzbühne unter Zuhilfenahme von Hühnerblut zu kopulieren, damit möge mir keiner kommen, das haben schon tausende gemacht. In der Fernsehwerbung ist dagegen noch manches Tabu zu brechen, und eins hat DMAX gerade, wie ich finde, erfolgreich gemeistert:

Was man nicht sagt (1)

„Ich möchte Dir versichern, dass an meinem Kabinettstisch niemand Platz hat, der den amerikanischen Präsidenten mit einem Verbrecher in Verbindung setzt“, schrieb Gerhard Schröder George W. Bush einst. Was ist das denn bitte für eine Ausdrucksweise? Als ob Nazi-Vergleiche dick machen würden. Es besteht ja kein Sachzwang wie bei einem Ei, das nicht in den Eierbecher passt, sondern ein ganz bestimmtes Verhalten wird aus diplomatischen Gründen abgeurteilt. Die Platzmetapher ist leider sehr beliebt in der Sich-Öffentlich-Distanzier-Industrie und gehört zu den sprachlichen Manövern, die mich auf die Palme bringen (zumindest, wenn ich sie gedruckt sehe). Womit eine neue Serie eröffnet wäre: Was man nicht sagt (in Anlehnung an gleichtitlige Tagebucheinträge von Max Goldt)…