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Web²

Liebe Öffentlichkeit,

hiermit reiche ich ein neues Buzzword zur Aufnahme in den allfälligen Wortschatz ein: Web². Es bezeichnet bestimmte kombinatorische Phänomene, die das Web 2.0 mit sich bringt oder mit sich bringen sollte.

Nämlich einerseits die Kombination von Webanwendungen verschiedener Anbieter zu einer verzahnten „Desktopumgebung“ bzw. „Office-Suite“. Konkret: Man klickt z.B. auf last.fm auf „Ja, ich werde dieses Konzert attenden“, und wenn man beim nächsten Mal Google Calendar öffnet, steht das schon da. Existiert bisher, so weit ich weiß, nur in Ansätzen und Träumen.

Der zweite Aspekt von Web² ist dank Social bookmarking und verwandten Phänomenen schon voll im Alltag angekommen: Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen nicht mehr nur Inhalte, sondern auch: Wer empfiehlt mir was, wer ist auf was durch meine Empfehlungen aufmerksam geworden usw.

In gespannter Erwartung deiner Antwort
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Bildungskanon

Das Wissenschaftsressort der Zeit ist gerade dabei, seine 50-teilige Serie Bildungskanon – Das Wissen dieser Welt in Buchform unters Volk zu bringen und abschließend zu beweihräuchern. Das Unterfangen habe ja so viel Spaß gemacht und sei seinen extremen Ambitionen ja so gerecht geworden. Und die Entscheidung, für jede Folge an einen bestimmten Ort der Erde zu jetten, auf den Spuren des Themas zu wandeln und somit aus Wissen Geschichten zu machen, sei ja (sinngemäß) ein Geniestreich allererster Sahne gewesen. Zeit, dazwischenzufahren und zu rufen: „Es war Unterhaltung und sonst – gar – nichts!“

Ein hartes Urteil und vielleicht übertrieben. Aber was bleibt vom Zeit-Bildungskanon in Erinnerung? Er erzählte von der Luft auf den Caféterrassen, auf denen Redakteure Wissenschaftler trafen, er erzählte von den Farben der Hemden der Interviewpartner, von deren Gangart, vom Klang ihrer Stimme. Immer standen einzelne Forschungsinstitute im Mittelpunkt, einzelne Wetterstationen, einzelne Staatsgründungen, einzelne Episoden aus der Geschichte. Mal mehr, mal weniger gut, wurden andere Episoden und Informationen, die wirklich zur Allgemeinbildung beitrugen, damit verknüpft. Überblick wurde nicht geboten und entstand auch nicht.

Über die Karte, die der ersten Folge beilag und die ich mir ins Zimmer hängte, haben A., J. und ich uns einmal herzlich amüsiert. Sie zeigt, wo „das Wissen dieser Welt“ wirklich liegt: Europa ist hinter einer Schar kleiner Marker versteckt. Der Rest der Welt hat kaum welche abbekommen.

Umzugsnotizen (5)

My old web site soviseau.de was hacked today and by God it wasn’t my fault. That gave reason to move the last curious odds and ends, boxes with bricolages from ages ago, to texttheater.de, from one attic to another, so to speak. Among them:

Der Puzzleteil-Navigator, a study for an unusual two-level menu. I remember creating the image maps with Paint and Notepad.

Riddle Sport, an interactive (edible!) virtual chocolate bar. Enjoy!

Last but not least:

dunkelwind&zwillingslicht, a series of analog photos I made of nightly London in 2003. They received artistic value by what happened to them in the photo laboratory – yet instead of paying royalties, I got a full refund! Hee hee!

gestatten = verwehren

Noch etwas Wichtiges: [Meine Töchter] müssen auch lernen, mit Langeweile umzugehen. Denn daraus entstehen oft die tollsten Ideen. Wenn es keine Langeweile mehr gibt, weil ständig Onlinespiele, Chatrooms und Clips zur Ablenkung bereitstehen, lähmt das die Kreativität. Zu erfahren, dass man aus sich selbst heraus die Leere eines Nachmittags füllen kann, ist ein tolles Erlebnis. Wer seinen Kindern dies verwehrt, indem er ihnen Dauerablenkung am Computer gestattet, der bringt sie letztlich um eine wichtige Selbsterfahrung.

Jörg Lau, Ich bleibe hart! (Artikel im aktuellen Zeit-Internet-Spezial)

Ich fand es schon immer zum Schießen, wenn Amateurpädagogen ein Verbot mit dem beliebig dehnbaren Universalargument rechtfertigen, einem Kind X zu gestatten, bedeute, ihm Y zu verwehren. Wie andere Menschen auch haben Kinder einen eigenen Willen. Wie bei anderen Menschen auch deckt sich dieser Willen bei Kindern nicht immer mit dem, was gut für sie selbst ist. Wie bei anderen Menschen auch ist es wohl manchmal – vielleicht häufiger – erforderlich, Kinder „zu späterem Glück zu zwingen“. Aber fast nur bei Kindern wird sprachlich in solchen amateurpädagogischen Auslassungen alleweil die Unterscheidung zwischen Wollen und Brauchen durch diese krude Unterscheidung zwischen Zu wollen glauben und Wirklich wollen ersetzt. Warum machen die das? Vielleicht wollen sie so die schwere Last der Verantwortung euphemisieren, die es mit sich bringt, jemanden „zu späterem Glück zu zwingen“. Das funktioniert ja nur sehr beschränkt und ist gefährlich, denn wer kann schon vorhersagen, was wirklich zu größerem Glück führt? Vernünftige Pädagogik braucht aber keine Euphemismen, um sich zu rechtfertigen. Sie steht dazu, wenn sie etwas verbietet, und sie tut es nur im Notfall. Um zum Beispiel zurückzukommen, wozu ein Internet-Verbot, das zum Unterlaufen und Verachten einlädt, wenn es die Möglichkeit gibt, seinen Töchtern die Wonnen unelektronischer Beschäftigung diplomatisch zu vermitteln, Zeitbeschränkungen fürs Internet zu vereinbaren und so weiter?

Pott

Ich komme aus Düsseldorf, das von Ortsfremden häufig „dem Pott“, also dem Kohlenpott, also dem Ruhrgebiet, zugeschlagen wird. Ganz unbegründet ist das nicht – Düsseldorf stößt direkt an des Ruhrgebietes Südkante und war der gleichen Industrialisierungswelle ausgesetzt, die das kohlenreiche Ruhrgebiet zu dem machte, wofür es bekannt ist. Dies allerdings insbesondere auch, was die weißkragigen Aspekte angeht (Verwaltungen von Thyssen, Krupp, Mannesmann, Wirtschaftsverbände, Messen) – man sprach vom „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.

Mir gefällt enorm, was das Ruhrgebiet in den letzten Jahren aus sich gemacht hat. Letztens war ich mal wieder im Landschaftspark Duisburg-Nord, bei dem tausend Bilder mehr sagen als ein paar Worte, gestern dann spazierte ich durch Oberhausen, an einer Turbinenhalle und einem Gasometer vorbei, die immer noch so heißen, obwohl dort jetzt abgedancet bzw. Kunst ausgestellt wird. Mein Ziel war diesmal nicht so industriehistorisch angehaucht, es war das Schloss Oberhausen mit der Ausstellung Deix in the City, die Werkschau einer wohl ganz großen Nummer im Malen menschlicher Schwächen.

Mir kommt es so vor: Manfred Deix‘ Karikaturen übertreiben die Realität und schaffen es dabei fast immer, nicht nur die Zustände zu verspotten, sondern auch die, die sich über die Zustände aufregen. Und zwar heftig. Immer hat man das Gefühl „Huch, wen wollte er damit letztlich aufspießen?“ Diese Doppelbödigkeit fand ich beachtlich, ansonsten fand ich’s soso lala, ein Humor, den seine Derbheit nicht immer zu voller Blüte treibt.

Wollte ich also eine Chance haben, am selben Tage noch richtig begeistert zu werden, müsste ich eine weitere Ausstellung besuchen, und ich wählte Radical Advertising im Düsseldorfer NRW-Forum. „Erwarten Sie bitte keine besonders originelle oder aufwändige Werbung“, wurde sinngemäß gewarnt, aber leider erst nach dem Eintritt. „Hier geht es um systemverändernde Werbung.“ Inwiefern die gezeigte Werbung systemverändernd war, erschloss sich mir nicht. Im ersten Teil gab es einzelne Beispiele für Guerilla- und virales Marketing – hier hat es ein Museum schwer, einen besseren Überblick zu verschaffen als z.B. scaryideas oder YouTube. Von einem radikalen Paradigmenwechsel, der der zeitgenössischen Werbung im Geleittext großspurig bescheinigt wird, ist jedenfalls nichts zu sehen. Dafür unterscheiden sich in Haltestellenwände eingelassene Riesensandalen dann doch nicht genug von Plakaten und zieht es nicht weit genuke Kreise, wenn ein Baumarkt sich mal den Spaß erlaubt, einen Netzkult um einen fiktiven Stuntman auszulösen.

Auch im zweiten Teil kein Paradigmenwechsel, jedenfalls kein kontemporärer: Gezeigt wird Schockwerbung (Benetton, natürlich, und Diesel) aus längst vergangenen Jahrzehnten. Mag ja sein, dass das damals systemverändernd war, aber irre ich, oder ist die Ironie in der Werbung eine Randerscheinung geblieben? Als drittes Thema ein bisschen Adbusting.

Insgesamt habe ich mich von diesem Sonntag denn aber doch gut unterhalten gefühlt. :-)

Spendenstichwort

Heute sah ich ein Plakat der Diakonie – mit Spendenkontonummer, Bankleitzahl und Stichwort. Letzteres heißt auf den Formularen meiner Bank allerdings immer noch „Verwendungszweck“, und da nun „Krieg und Vertreibung“ reinschreiben…?

Tabus

Ein Tabu zu brechen ist schwierig, weil man dafür an einer Quelle des Mainstreams sitzen muss. Abseits dessen gibt es ja kaum noch welche. Vor zwanzig Hanseln auf einer Provinzbühne unter Zuhilfenahme von Hühnerblut zu kopulieren, damit möge mir keiner kommen, das haben schon tausende gemacht. In der Fernsehwerbung ist dagegen noch manches Tabu zu brechen, und eins hat DMAX gerade, wie ich finde, erfolgreich gemeistert:

Was man nicht sagt (1)

„Ich möchte Dir versichern, dass an meinem Kabinettstisch niemand Platz hat, der den amerikanischen Präsidenten mit einem Verbrecher in Verbindung setzt“, schrieb Gerhard Schröder George W. Bush einst. Was ist das denn bitte für eine Ausdrucksweise? Als ob Nazi-Vergleiche dick machen würden. Es besteht ja kein Sachzwang wie bei einem Ei, das nicht in den Eierbecher passt, sondern ein ganz bestimmtes Verhalten wird aus diplomatischen Gründen abgeurteilt. Die Platzmetapher ist leider sehr beliebt in der Sich-Öffentlich-Distanzier-Industrie und gehört zu den sprachlichen Manövern, die mich auf die Palme bringen (zumindest, wenn ich sie gedruckt sehe). Womit eine neue Serie eröffnet wäre: Was man nicht sagt (in Anlehnung an gleichtitlige Tagebucheinträge von Max Goldt)…

Weiß nicht recht

„Die Menschen sind heute so angepasst, ,pragmatisch‘, blutleer, ausdruckslos. Wie eine Epidemie greift die Standpunktlosigkeit um sich. Um es allen Recht zu machen, ziehen sie sich in die Neutralität zurück, wo sie völlig konturlos werden.“ Kennen Sie diese Behauptungen? Berufene Köpfe haben sich darüber kluge Gedanken gemacht, und als Trittbrettfahrer haben auch Phrasendrescher das Thema für sich entdeckt, die damit gegen Bezahlung Magazin- und Zeitungsseiten füllen. Man vertraut anscheinend darauf, dass der Leserschaft die Klage über die Leute von heute so gut gefällt, dass man nur den üblichen Tonfall anzuschlagen braucht, und schon nicken die Leser rhythmisch mit den Köpfen und werden vom Drive des Zeitgeistbashings auf einer Wolke der Zustimmung davongetragen, auf der sie unsaubere Gedankengänge oder glattwegger (oder heißt es glattwecker?) Stuss nicht mehr stören. Wäre Adam Soboczynskis Artikel Heller Wahnsinn aus dem dieswöchigen Zeit-Magazin noch etwas krasser, könnte er als gelungene Genreparodie durchgehen. Es handelt sich um eine Polemik gegen die Farbe Weiß. Ja, Sie haben richtig gehört. Für Sie, werte Leser, habe ich die lustigsten Stellen herausgepickt und kommentiert.

Zunächst einmal die Belegstellen für „Zeitgeistbashing“, also schlecht verkleidetes „Zu meiner Zeit“ und „Die Jugend von heute“, Hervorhebungen von mir: „Ist die Welt noch schön? Sie ist es nicht. Sie ist ein einziges großes Krankenhaus geworden.“ Geworden. Welcher Zeitabschnitt da mit der Gegenwart verglichen wird, lässt Soboczynksi im ganzen Artikel nicht auch nur ungefähr durchblicken. Ein typisches Kennzeichen für heiße Luft, siehe auch meinen Ausfall gegen das Wort inzwischen. Genau so bei „ist (…) zum Massenphänomen avanciert“, „Wie die Dinge uns heute überfordern“, „Haben wir keinen Mut mehr für eindeutige Botschaften?“ und „Die Farbe Weiß kam zunächst als ästhetisches Distinktionsmerkmal von Töchtern und Söhnen aus der Provinz auf, die sich nach Berlin oder Köln verirrt hatten“ – diese Entstehungsgeschichte liest sich so schön wie der geniale Beitrag von vor vielen Jahren im Eulenspiegel:

Die Erschaffung des Schafs, dieses etwa schafshohen, wolligen Pflanzenfressers, wurde lange Zeit irrtümlich Gott zugeschrieben. (…) Ende der 20er Jahre (…) fiel dem Münchner Teilzeitschlawiner Manfred Wolf(!) plötzlich auf, dass ihm etwas fehlte: Schafe. Also machte er sich ans Werk – und nach 30 Minuten eifrigen Sägens, Hämmerns und Kicherns hatte er aus einem ausgedienten Hund, einer Autobatterie, einem alten Reißverschluss und 10 Pfund Schafswolle das Welterstschaf fabriziert. Keine drei Wochen später ging das Ding in Serienproduktion. Der Erfolg war überwältigend, nicht zuletzt die Schäfer waren begeistert.

Die verirrten Landeier werden also als provinzielle Möchtegern-Trendsetter hingestellt –Soboczynski legt noch eins drauf und dichtet ihnen „biomöhrenbreigesättigten Nachwuchs“ an – und in eine Umgebung von wahllos herausgegriffenen, zur polemischen Ausschlachtung hinreichend vorgehypten Merkmalen der Nullziger gesetzt, nämlich „weißen Apple-Notebooks“ und „flach hierarchisierten Unternehmen“. Ob die behauptete Allgegenwärtigkeit der Farbe Weiß wirklich irgendwie mit Provinzflüchtlingen zu tun hat, bezweifelt man schon jetzt und sieht das Problem immer weniger, je mehr der Autor seine Geschichte fast ausschließlich mit Extrembeispielen aus Berliner Extravaganzien (weißes Hotel, weiße Bar, weißes Café) zu untermauern versucht.

Ein plausibles Argument ist im Artikel immerhin untergebracht: „Jeder menschliche Makel ist ausgeleuchtet, jede unreine Pore noch unreiner, jeder Schmutzfleck auf unserem Hemd noch schmutziger, jedes unausgeschlafene Gesicht noch unausgeschlafener im Schein des Lichts, das die Farbe Weiß reflektiert.“ Mehr Sinnvolles scheint aber zu dem Thema nicht zu sagen zu sein, denn es wird jetzt nur noch variiert, mal ins Konfuse, wo „weiß“ mit „ausgeleuchtet“ verwechselt wird, mal ins Abstruse, wo die weiße Umgebung plötzlich etwas Göttliches ist, vor dessen Antlitz das unreine Menschengeschlecht nicht bestehen kann. Damit wäre denn auch noch ein existenzielles Problem im Artikel untergebracht, wow! Nur: War die weiße Umgebung nicht eben noch etwas von ästhetisch verirrten Menschen selbst Geschaffenes? Wie passt das zusammen?

Der Unsinn erreicht im vorletzten Absatz seinen Höhepunkt, wo ein Argumentationsstummel nach dem anderen einem kreuz und quer aus den verschiedensten Richtungen um die Ohren gehauen wird, reich gespickt mit schlichtweg falschen Annahmen: „Warum nur begehren alle diese Farbe? Die doch (wie man aus dem Physikunterricht weiß) gar keine ist.“ Schon wieder so eine Phrase: „Wie man aus dem X-Unterricht weiß.“ Das muss jedenfalls ein schlechter Physikunterricht gewesen sein, ist Weiß doch sehr wohl eine Farbe, wenn auch eine unbunte. Und dann: „Haben wir keinen Mut mehr für eindeutige Botschaften? Für Rot wie Liebe! Oder für Grün, die Hoffnung!“ Wenn ich mir jetzt also ein grünes T-Shirt anziehe, überwinde ich damit den Neutralismus meiner Generation. Mhm. Aha. Im Folgesatz biegt Soboczynski ohne erkennbaren Zusammenhang in die Religion ab, ah ja, das ist schon ein rechtes Spektakel zu lesen, vielleicht gönnen Sie sich die Lektüre ja mal und pflichten mir dann bei, dass er zu den boulevardmäßigeren Absonderungen des ohnehin nicht immer völlig unboulevardmäßigen Zeit-Magazins zählt, wenn man ihn nicht als ironisch liest. Was mir nicht gelungen ist.