Archiv der Kategorie: Politik

Darf man Facebook regulieren?

Julia Schramm von der datenschutzkritischen Spackeria und Konstantin von Notz von den Grünen sprechen in diesem Podcast über Datenschutz. Sie sind sich einig: Die deutschen Datenschutzgesetze müssen grundlegend überarbeitet werden, um der durch PCs, Smartphones und das Internet veränderten Realität gerecht zu werden.

Ein weiteres Schwerpunktthema ihres Gesprächs ist: Soll/darf der deutsche Staat Facebook stärker regulieren? So geil und lustig ich Datenschutzkritik auch finde, meiner Meinung nach wäre das nicht verwerflich und sogar stark von Facebook provoziert. Die elegantere Lösung fände ich jedoch, staatlicherseits einfach einen Batzen Geld in den Betrieb und das Promoten von Diaspora-Servern zu investieren, damit man mal eine echte, ISB-technisch weniger bedenkliche Alternative hätte.

Alternativen zum Bedingungslosen Grundeinkommen

Ich sympathisiere stark mit der Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens. Die Idee mag nicht von heute auf morgen umsetzbar sein, aber sie gibt die einzig sinnvolle Richtung für die Zukunft des Sozialstaats vor, will mir scheinen. Denn welche Alternativen gibt es?

  1. Weiter wie bisher: Viel Arbeit und Geld für die Starken, Minimalversorgung und Demütigung für die Schwachen. Nachteile: Verelendung der Schwachen, Überwachungsbürokratie.
  2. BGE light: Grundeinkommen unter der Bedingung, dass man nicht mehr als X verdient, oder eine negative Einkommensteuer. Sonst keine Bedingungen, kein Druck, Arbeit zu finden. Nachteile: Überwachungsbürokratie, aber immerhin weniger davon. Halte ich insgesamt für die zweitbeste Lösung, zusätzlich hat sie den Charme, dass sie sich nicht so doll vom bestehenden System unterscheidet.
  3. „Gerechte“ Modelle: Kritiker/innen des BGE und verwandter Modelle finden, dass alles ganz „gerecht“ zugehen muss und dass es automatisch „ungerecht“ wäre, wenn jemand, der nicht zum materiellen Wohlstand der Gesellschaft beiträgt, daran teilhat. (Ich bin in beiden Punkten anderer Meinung.) Zwei Arten von Modellen stellen die „Gerechtigkeit“ in den Mittelpunkt:
    1. Rückkehr zur Selbstversorgerwirtschaft: Die Gesellschaft hat dann gar keinen materiellen Wohlstand, also kann auch niemand daran teilhaben. Nachteile: Sehr unrealistisch, Verelendung der Schwachen, sehr gefährlich für Kultur.
    2. Vollbeschäftigung: Alle arbeiten (außer denen, die nicht können), alle haben am gesellschaftlichen Wohlstand teil. Nachteil all dieser Modelle: Man braucht immer noch eine Definition davon, was „arbeiten können“ bedeutet, und eine Überwachungsbürokratie, die sie anwendet. Das Ziel „Arbeit für alle“ kann auf zwei grundsätzliche Weisen erreicht werden:
      1. Wenn zu wenig Arbeit da ist, mehr Arbeit schaffen. Nachteile: 1. Ist das sinnvoll? Ich hänge ja immer noch einem Fortschrittsbegriff an, der nicht nur höheren materiellen Wohlstand bei gleichem Arbeitseinsatz, sondern auch gleichen materiellen Wohlstand bei geringerem Arbeitseinsatz und mehr Freizeit als Erfolg anerkennt. Die begrenzten materiellen Ressourcen der Erde legen das auch nahe. 2. Es scheint ja selbst in unserem gegenwärtigen, das Ziel „Wachstum“ nicht hinterfragenden System nicht zu gelingen, Vollbeschäftigung zu erreichen.
      2. Die vorhandene Arbeit gerechter verteilen, d.h. Sozialismus. Eine Möglichkeit dazu ist, alle Tätigkeiten mit einem gleichen Stundenlohn zu versehen, dann kann man mehr oder weniger arbeiten, aber es können keine riesigen Unterschiede in der Bezahlung mehr entstehen. Es spricht viel für solche Modelle und das Egalitäre daran ist mir sehr sympathisch. Es spricht aber auch viel dagegen; was mich am meisten stört, ist, dass es sich ja im Grunde nur über ein Verbot jeglichen unternehmerischen Handelns durchsetzen ließe. Nachteile also: Überwachungsbürokratie, extreme Einschränkung der Freiheit.

Ungültig wählen — Piraten wählen

@markobr berichtet vom Kreiswahlausschuss Tübingen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg, dass laut Leitfaden bzw. Interpretation des Kreiswahlleiters ein durchgestrichener Stimmzettel, bei dem der Strich einen Wahlvorschlag nicht getroffen hat, als Stimme für diesen Wahlvorschlag zähle. Ich finde das reichlich bizarr, und wäre der Tweet zwei Stunden später gekommen, ich würde es für einen Aprilscherz halten. Wofür drucken sie denn schließlich die Kreise auf die Stimmzettel? Die schöne Nachricht ist: Als unterste Partei auf dem Stimmzettel scheint die Piratenpartei am meisten von der merkwürdigen Regelung profitiert zu haben, gegenüber dem vorläufigen amtlichen Endergebnis sind im Wahlkreis Tübingen wohl 28 Stimmen dazugekommen. Bei der CDU (ganz oben auf dem Stimmzettel) immerhin fünf.

Tugendterror

Die Ökospießer, so heißt es, schmücken sich zwar mit ökologischen Attributen wie penibler Mülltrennung, Biokost und Solardächern, wollen aber genau so wenig wie die anderen Spießer auf den luxuriösen Lebensstil verzichten, der das eigentliche Problem für die Umwelt und für die Gerechtigkeit zwischen den Völkern ist. An dem Vorwurf ist sicher viel dran, auch wenn das Bild vom Grünen-Wähler mit Porsche Cayenne nicht annähernd so typisch sein dürfte wie seine Beschwörer, darunter auch @prenzlbergmutti, glauben machen wollen. Aber was soll das Wort vom Tugendterror, das ich in letzter Zeit häufig lese? Kriegt man in grünen Vierteln etwa ausgeweidete Katzen an die Haustüre genagelt oder mit Blut an die Fenster geschrieben, wenn man bei Aldi einkauft oder Atomstrom bezieht? Oder ist das Wort in der Nachfolge von Gutmensch nur ein Schimpfwort für die blöden Nachbarn? Aus Groll daraus, dass die es wenigstens schaffen, ein bisschen ökologisch verträglicher zu leben, während man selbst immer noch fünfmal in der Woche Fleisch isst und viel fliegt?

Geistiges Eigentum

Ich kann es nur immer wieder betonen: Eigentum hat mir Geistigem Eigentum nichts zu tun außer dem Namen. Der Begriff Geistiges Eigentum begann sein Leben als eine schiefe Metapher und ist jetzt ein feststehender Begriff. Ärgerlicherweise wird immer wieder so getan, als wäre Geistiges Eigentum Eigentum, und zwar sowohl von gewissen Konservativen, um Geistiges Eigentum zu stärken, als auch von gewissen Kommunisten (oder ist das Satire?), um es zu schwächen. Man sollte sie alle den zweiten Satz dieses Artikels tausendmal schreiben lassen.

Liebe Fans der Facebook-Seite „Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg“,

Liebe Fans der Facebook-Seite „Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg“,

ihr seid zur Stunde 285.629 und mindestens sieben von euch kenne ich zumindest flüchtig persönlich. Einerseits erschreckt mich das, andererseits macht es mir Hoffnung, dass der sachliche Dialog möglich ist, den ihr fordert. Euren Kommentaren nach ärgert ihr euch über die Angriffe auf zu Guttenberg von Seiten der SPD, Grünen, der Linkspartei und anderen „Linken“ – aus eurer Sicht Versager, die mit dem Finger auf andere zeigen, sei es aus Neid oder um von eigenen Fehlern abzulenken.

Ich bin derzeit zutiefst empört über zu Guttenberg und seine Unterstützer und würde nahezu jede Kritik an ihm, die ich in den vergangenen Tagen auf Twitter, Zeit Online und Spiegel Online gelesen habe, unterschreiben. Ich passe aber nicht in euer Feindbild. Denn das sind die Fakten:

  1. Zu Guttenbergs Dissertation ist zu weiten Teilen abgeschrieben. Die Fakten lassen bei mir nicht den geringsten Zweifel daran, dass es nicht um ein paar falsch gesetzte Fußnoten geht, sondern um den bewussten und großangelegten Versuch, sich einen Doktortitel zu ergaunern.
  2. Zu Guttenberg hat zwar „Fehler“ zugegeben, es jedoch so formuliert, als wäre es ein Versehen gewesen. Betrogen zu haben, hat er nicht zugegeben.

Wäre er wenigstens jetzt, da die Wahrheit über seine Doktorarbeit ans Licht gekommen ist, ehrlich gewesen und hätte seinen Betrug beim Namen genannt und bereut, ich hätte nichts gegen seinen Verbleib im Amt gehabt. Ich bin beileibe nicht, wie ihr, dem bürgerlichen politischen Spektrum zuzurechnen, aber das heißt nicht, dass mir die Demontage bürgerlicher Politiker Freude bereitet. Er war mir bisher noch nicht mal unsympathisch, sein Charme ließ sich ja nicht bestreiten, er hat die Wehrpflicht abgeschafft und was die Bundeswehrskandale betrifft, verstehe ich nicht genug von Kriegs- oder Heeresführung, um die Angelegenheiten bewerten zu können (von wissenschaftlichem Arbeiten verstehe ich schon ein wenig, daher melde ich mich hier zu Wort). Aber jetzt hat er ein derart unehrliches Verhalten an den Tag gelegt, dass ich ihm keinen Finger breit mehr über den Weg trauen kann.

Obwohl ich kein Freund von Rücktrittsforderungen bin, denke ich daher, dass zu Guttenbergs politische Karriere bis zum Eintreten von Einsicht und öffentlicher Reue beendet gehört. Alles andere wäre die weitere Berlusconisierung Deutschlands.

Jedes Mal, wenn X, dann Y

Oh, ein Stürmchen der Empörung über einen Tweet von Mario Sixtus:

Für jeden Hamburger, der heute nicht wählen geht, stirbt ein Libyer.

Kann man die Empörung verstehen? Zuerst einmal: Was meint Sixtus überhaupt? Das Baumuster seines Tweets ist mir in letzter Zeit auf Twitter häufiger begegnet, es geht so: „Für jede/n/s X passiert Y.“ Oder so: „Jedes Mal, wenn X, dann Y.“ Oder so: „Immer, wenn X, dann Y.“

In solchen Witzen geht es immer um einen Konflikt. Zwischen zwei Gruppen von Menschen A und B mit unterschiedlichen Weltanschauungen, Meinungen oder ästhetischen Präferenzen. Bei Sixtus sind A die Leute, die dafür sind, dass es Demokratie gibt und die es wichtig finden, dass man zur Wahl geht. B sind die Leute, die gegen Demokratie sind und die libysche Demonstranten erschossen sehen wollen. Aus der Sicht von A sind X und Y zu verurteilen, aus der Sicht von B zu begrüßen. Allerdings ist Y ein wesentlich drastischeres Ereignis als X, und so kann man vermuten, dass es zwischen A und B eine ganze Reihe Leute gibt, die sich an X nicht stoßen, Y aber ganz schrecklich finden. Die Jedes-Mal-Witze haben die Funktion zu polarisieren, indem sie diesen Meinungen in der Mitte die Existenz oder die Legitimation in Abrede stellen. Und ich denke, daher kommt ein großer Teil der Empörung über Sixtus: Hamburger Nichtwähler und Nichtwählersympathisanten sehen sich mit einem mörderischen Unrechtsregime in eine Ecke gestellt.

Eine andere Form des Jedes-Mal-Witzes scheint mir weniger anklagend als schadenfroh zu sein, hier @mplusk_:

Jedesmal, wenn jemand „Klickibunti“ sagt, stirbt irgendwo das kleine Kätzchen eines Programmierers.

Und dann gibt es noch die Variante, wo X und Y von unterschiedlichen Gruppen als schlecht empfunden werden und Y somit weniger als eine extrem verstärkte Form von X, sondern als eine Art göttliche Strafe für X erscheint, hier @manu_aw:

Jedesmal wenn irgendwo ein lustiger Babystimmenhandyklingelton ertönt, fällt woanders ein Mobilfunksendeturm um.

Karrierehengst aus Konfliktscheu

„Im beruflichen Bereich sind Männer feige“, so Mascha Bika, weil sie „sich im Beruf ganz schnell vereinnahmen lassen, die Bedürfnisse der Chefs zu ihren eigenen machen, Hausarbeit und Kindererziehung ihren Partnerinnen überlassen und ganz viel ihrer Zeit in entfremdende Arbeit stecken, um sich einem überkommenen Ideal vom Alphamann anzudienen.“ Dass viele Männer, die sich das Geldverdienen eigentlich mit den Frauen teilen wollten, am Ende als einzige Karriere machten, habe „etwas mit Konfliktscheu zu tun“, so Bika.

Bitte mitzeichnen: Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz

Der CDU-Parteitag, der Verein deutsche Sprache, die Bildzeitung und andere fehlgeleitete Institutionen und Individuen wollen die deutsche Sprache als „Sprache der Bundesrepublik“, was auch immer das heißen soll, im Grundgesetz festschreiben.

Anatol Stefanowitsch vom Sprachlog hat beim Deutschen Bundestag eine Online-Petition gegen die Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz eingereicht, die jetzt zur Mitzeichnung freigegeben ist. Ich habe sie mitgezeichnet und mache hiermit Werbung dafür. Ich rufe dazu auf, mir beides gleichzutun.

Text und Begründung der Petition sprechen für sich, weitere Hintergründe erläutert Stefanowitsch im Sprachlog. Ich möchte hinzufügen, dass Symbolpolitik mit xenophober Tendenz schon unerfreulich genug ist, ein Missbrauch des doch eigentlich sehr schönen, guten, klaren und aufs Wesentliche beschränkten Grundgesetzes für so einen Unsinn aber besonders schlimm wäre.

Westliche Werte verteidigen

Man liest ja viel über die zwei Sorten von Immigranten in Europa: die „schlecht integrierten“ mit den schlechten Schulleistungen aus dem Nahen Osten und die „gut integrierten“ mit den guten Schulleistungen aus dem Fernen Osten. Liest man sich einmal durch, wie solche guten Leistungen zustande kommen (tip to the hat to poet), und bedenkt,

  • dass mich beim Lesen dieses Artikels sofort eine spontane Einsicht in die Qualitäten von Drill und eine gewisse Verzweiflung an westlicher Dekadenz (auch an meiner eigenen) ergriff,
  • dass beim zweiten Nachdenken offenbar wurde, dass Drill zwar tatsächlich seine guten Resultate und seine Notwendigkeit hat, dass aber auf der anderen Seite Kreativität und Individualismus im chinesischen Erziehungsmodell nach Amy Chua genau gar nicht vorkommen („never allowed to (…) be in a school play (…) play any instrument other than the piano or violin“),
  • dass erhebliche gesellschaftliche Kräfte im Westen jedoch vermutlich zu einseitig an wirtschaftlichem Erfolg orientiert sind, um das ebenso differenziert zu sehen,
  • dass wir daher womöglich bald anfangen, dem fernöstlichen Ansatz nach Chua zu folgen und Humanismus zurückzubauen,

erscheint es ironisch, dass das Wort vom „Verteidigen westlicher Werte“ immer nur in Bezug auf Muslime und nie in Bezug auf etwa die schlauen Vietnamesen fällt.

Am angebrachtesten ist dieses Wort natürlich da, wo es sich auf uns Westler selbst bezieht: Verteidigen müssen wir die Werte vor allem gegen unsere eigene Neigung zu vergessen, was wir an der Aufklärung und den seither für die Freiheit des Individuums eingeschlagenen Pfosten (Arbeiterbewegung, Menschenrechte, Frauenbewegung, sexuelle Revolution etc.) haben und dass es mindestens sehr schade wäre, auch nur Stücke davon aufzugeben.