Archiv der Kategorie: Sprache

Hangulimitate

Geschriebene Sprache kann auf mehr als einer Ebene Bedeutung vermitteln. Einmal zählt natürlich, was geschrieben steht. Aber auch, wie es geschrieben steht. Ich denke da besonders an die Wahl der Schrift: Comic Sans MS vermittelt andere unterschwellige Botschaften als Times New Roman. Ob ein Text mit lateinischen oder kyrillischen Botschaften geschrieben wird, kann in einigen Sprachen je nach historischem Kontext ganz schöne politische Sprengkraft haben. In ganz besonderen Fällen wird etwas in einem Schriftsystem A geschrieben, aber einzelne oder alle Zeichen werden durch ähnlich aussehende Zeichen aus einem Schriftsystem B ersetzt, zum Beispiel: HΣLLΛS oder ЯUSSLAИD. Das erweckt dann Assoziationen mit der Kultur, mit der wir die fremden Zeichen verknüpfen – und führt zu gerümpften Nasen bei Sprachsnobs, die natürlich wissen, dass man Σ nicht E, sondern S ausspricht, Λ nicht A, sondern L, Я nicht R, sondern Ya, und И nicht N, sondern I. Ich aber frage: Ist das Spiel mit den ähnlich aussehenden Zeichen verwerflich, nur weil die Lautwerte ignoriert werden? Wartet mit der Antwort, bis ihr diese koreanischen Plakate gesehen habt:

Quelle: Seoul Culturenomics

So weit ich es der Google-Übersetzung des koreanischen Blogeintrags entnehmen kann, handelt es sich um eine Imagekampagne der Stadt Seoul, die ihre Internationalität herausstreichen möchte. Eine russische Freundin und Studienkollegin, die zur Zeit zur Internationalität der Bevölkerung von Seoul beiträgt, hat die Plakatserie dort in der Metro entdeckt, auf einer Mailingliste Tübinger Computerlinguist/inn/en gepostet und für einige Diskussion gesorgt. Ich musste dieser Diskussion einige Zeit lang folgen und selbst herumrätseln, bevor ich darauf kam, was genau es mit den nicht-koreanischen Zeichen auf sich hat, die groß in der Mitte der drei Plakate prangen. Um es kurz zu machen: Das sind koreanische Sätze, nämlich 안녕하세요 (Hallo), 반갑습니다 (Schön, Sie kennenzulernen) und 고맙습니다 (Danke). (Übersetzungen von Google Translate.) Nur sind die Buchstaben des koreanischen Schriftsystems Hangul durch Zeichen aus verschiedenen anderen Schriftsystemen ersetzt. Ein Hangul-Buchstabe ist immer durch genau ein Zeichen ersetzt (zumindest auf dem roten dem blauen Plakat, bei dem gelben bin ich mir nicht sicher), und die Zeichen sind wie im Hangul zu Silbenblöcken arrangiert.

Welches Plakat welchem Kulturkreis zuzuordnen ist, ist zumindest bei dem roten und bei dem gelben klar: Das rote verwendet Zeichen aus den beiden japanischen Morenschriften Hiragana und Katakana (im Hintergrund wird das Hiragana aufgelistet) und zeigt zwei stereotype japanische Personen. Das gelbe verwendet arabische Buchstaben und zeigt drei stereotype arabische Personen. Das blaue zeigt drei stereotype westliche Personen und listet im Hintergrund das lateinische Alphabet (wobei W und V in der Reihenfolge vertauscht sind). Das „Hangul“ im Vordergrund verwendet das lateinische Alphabet jedoch möglicherweise überhaupt nicht, auch wenn alle Zeichen stark an Zeichen des lateinischen Alphabets erinnern, für Koreaner/innen vermutlich umso mehr. Die wie C, L und I aussehenden Zeichen könnten natürlich gut dem lateinischen Alphabet entstammen, ebensogut aber dem Cree-Syllabar bzw. dem Kyrillischen Alphabet, die beide ohnehin vorkommen, wie an Zeichen wie ᒣ bzw. Ы zu erkennen ist. Beides nicht unbedingt typisch „westlich“.

Hier nun die Zeichen auf den ersten beiden Plakaten nach Hangul-Silbenblock im Einzelnen:

Hangul-Silbenblock Hangul-Buchstabe Fremdes Zeichen Schrift Anmerkungen
Hiragana
Katakana
Hiragana
Hiragana
Katakana
Hiragana
Hiragana
Katakana
Katakana
Hiragana
Hiragana
Katakana
Hangul-Silbenblock Hangul-Buchstabe Fremdes Zeichen Schrift Anmerkungen
Ы Kyrillisch
Cree
Cree 1
Cree
Cree
Ы Kyrillisch
3
? 4
Ы Kyrillisch
Cree 1
І Kyrillisch 1 2
С Kyrillisch 1
Cree

1 Diese Zeichen könnten dem Aussehen nach natürlich auch dem lateinischen Alphabet entstammen, aber ich ordne sie mal so zu, dass ich möglichst wenige Alphabete/Syllabare brauche.
2 Die meisten kyrillisch geschriebenen Sprachen verwenden das Zeichen І nicht, einige aber schon, z.B. das Ukrainische.
3 Dieses umgedrehte Y wird m.W. in keinem Schriftsystem für natürliche Sprache verwendet. Der Unicode-Standard ordnet es im Block Letterlike Symbols und in der Kategorie Symbol, Math ein.
4 Das könnte natürlich auch alles Mögliche sein, ich habe mal den Halbgeviertstrich eingetragen.

Die arabischen Buchstaben kriege ich nicht ohne Hilfe identifiziert. Kompetente Zuschriften führen zu Nachtrag, Ruhm und Ehre!

Herzlichen Dank an K., A., D., Z. und A., die mich durch Entdecken, Wiederentdecken, Diskutieren und Identifizieren auf die Plakate aufmerksam gemacht und viele Informationen beigesteuert haben, die in diesen Blogeintrag eingeflossen sind. Alle Fehler sind natürlich meine eigenen. Wer sie findet, muss sie abgeben (Kommentarbereich unten, E-Mail siehe Impressum).

Blogspektrogramm #7

Früher, als man Deutsch in Frakturschrift setzte, Fremdwörter aber in Antiqua, was machte man da eigentlich mit diesbezüglich heterogenen Zusammensetzungen? Ist es unfreundlich, zu sagen, Irland sei auf Ramschniveau herabgestuft worden? Man hört oft, der Busen bezeichne eigentlich nicht die weiblichen Brüste, sondern nur das Tal dazwischen, wie weit ist es mit der Behauptung her? Was für schöne Wortpaare gibt es, die ähnlich aussehen und doch Gegensätzliches bedeuten? Wenn man die deutsche Verlaufsform am Benutzen ist, wird das Verb dann groß geschrieben? A wie Anton, B wie Berta, ist dieses Buchstabieralphabet noch zeitgemäß? Antworten auf all diese Fragen sind über das siebte Blogspektrogramm zu erreichen, diesmal bei Michael Mann im Lexikografieblog.

Blogspektrogramm #6

Das Schöne an den Beiträgen zum Blogspektrogramm ist, dass sie immer irgendwelche Fragen beantworten, die man als Sprachinteressierter schon lange gehabt hat. In meinem Fall waren das diesmal diese:

  • Manche schreiben outgesourcet, manche outgesourced – ist das eine rein orthografische Verwirrung oder gibt es entsprechende Unterschiede in der Aussprache?
  • Warum steht in frz. dimanche das di im Gegensatz zu den anderen Wochentagsbezeichnungen vorn, wie ist das im Katalanischen und Spanischen und welche sprachgeschichtlichen Zusammenhänge gibt es?
  • Mit welchen Tricks und Vereinfachungen kriegt die Sprachenenzyklopädie Ethnologue es hin, Sprachen nach Erdteilen zu sortieren?
  • Wie wirkt mein Ich von vor fünf Jahren im Video von der Abschlussrede im Rhetorik-Seminar und was hatte es über Vornamen zu sagen?
  • Kennen auch andere das Problem, dass man an manchen Nomen- und Pronomengruppen partout keinen Genitiv markiert kriegt und wenn ja, haben sie herausgefunden, welche genau das sind?
  • Ist das Wort Zerealien eine Erfindung von Werbefuzzis (Tipp: nein, ist es nicht)?

Wer auch nur eine dieser Fragen teilt, sollte im Sprachlog beim sechsten Blogspektrogramm vorbeischauen.

Gegensätze

Ich mag es, wenn zwei ähnliche Wörter Gegensätzliches bedeuten, denn es schult die Präzision des Ausdrucks:

  • entsetzen/entzücken
  • Fusion/Fission
  • Besitzer/Besetzer
  • hyper-/hypo-
  • Knoten/Kante
  • mundan/mundial
  • physisch/psychisch
  • sub-/super-

Und im Englischen:

  • conventional/conversational implicature
  • elevator/escalator
  • nature/nurture
  • overt/covert
  • push/pop

Und im Lateinischen:

  • varus/valgus

Es ist aber auch schön, wenn Wörter zur Bezeichnung sehr ähnlicher Dinge überraschend wenige Bestandteile gemeinsam haben:

  • Hydraulik/Pneumatik

Blogspektrogramm #5

Welche Minderheitensprachen sind durch das Deutsche bedroht? Welches Genus hat das Wort Virus? Was ist eine Todo-Wolke? Wie grenzt man Brücken, Tunnels, Unter- und Überführungen voneinander ab? Woher kommt die Wendung es läppert sich? Dies und mehr diesen Monat im fünften Blogspektrogramm, dem Blogkarneval zum Thema Sprache, diesen Monat bei Kristin Kopf im [ʃplɔk] zu Gast!

Blogspektrogramm #4

Logo des BlogspektrogrammsIn der letzten Ausgabe des Blogspektrogramms war es recht viel um andere Sprachen gegangen, unter anderem um Lehnwörter, die ihnen das Deutsche verdankt. In den besten deutschsprachigen Sprach-Blogbeiträgen vom Juli 2011 steht die deutsche Sprache in allen Beiträgen im Mittelpunkt – Aspekte ihres Lexikons, ihrer Orthografie, ihrer Flexion, ihrer Morphologie und Probleme geschlechtergerechten Deutschsprechens werden diskutiert.

Was hat es mit dem Wort Titelhuberei auf sich, das in der Diskussion über Plagiate und Doktortitel plötzlich in aller Munde zu sein schien? Ist es eine neue Schöpfung oder gibt es das Wort schon länger? Wird es häufig gebraucht und wenn ja, wie? Wie ist es zu interpretieren? Anatol Stefanowitsch hat die Korpora, sein Sprachgefühl und seinen analytischen Verstand befragt und gibt im Sprachlog überzeugende Antworten.

Warum schreiben wir <sch> für den Laut [ʃ]? Ich bin sicher nicht der einzige, der sich das immer latent gefragt, aber es nie recherchiert hat. Zum Glück gibt es Kristin Kopf, die das im [ʃplɔk] (wie passend) sehr unterhaltsam erklärt – und plötzlich sieht man, dass unsere merkwürdige Orthografie an dieser Stelle kein Hexenwerk, sondern historisch erklärbar ist.

Dr. Bopp erklärt auf Fragen Sie Dr. Bopp! die Genitiv- und die Pluralform von Euro – und dass beide je nach Laune bzw. Zusammenhang sowohl Euro als auch Euros lauten können.

Viele sprachliche Fragen warf dieses Jahr die Frauen-Fußball-WM auf. Das geht schon mit der Bezeichnung dieser Sportveranstaltung selbst los: Warum sagt man „Frauen-Fußball-WM“, hält es aber bei „Fußball-WMs“ nie für nötig zu erwähnen, dass Männerveranstaltungen gemeint sind? Ist das diskriminierend? Michael Mann gibt im Lexikographieblog eine vorbildlich vorsichtige und differenzierte Einschätzung, beschäftigt sich aber hauptsächlich mit der Frage, wie das Wort Frauenfußballweltmeisterschaft überhaupt aufgebaut ist. Wie man sieht, gibt es mehr als eine Antwort auf diese Frage.

Zweifellos ist die Sprache der Fußballberichterstattung bislang vom Männer-Fußball geprägt. So manche/r hörte dieses Jahr so manche Spielerinnenbezeichnung zum ersten Mal, etwa Torwartin oder Libera. Was Bastian Sick zu all dem zu sagen hat, ist, wie zu erwarten war, großteils haarsträubender Unsinn – Susanne Flach nimmt es auf */ˈdɪːkæf/ auseinander und weist dabei unter anderem auf den von Sick übersehenen Unterschied zwischen natürlichem und grammatischem Geschlecht hin.

Diesen Unterschied führt auch eine Anekdote vor Auge, die ich im Texttheater erzähle. Die Wörter er und sie kommen vor und beziehen sich auf Menschen – ist notwendigerweise von einer männlichen und einer weiblichen Person die Rede? Ich will das Ende nicht verraten, lesen Sie selbst.

Bisher erschienene Ausgaben:

Das Blogspektrogramm #5 wird bei Kristin im [ʃplɔk] erscheinen. Wer auch einen sprachwissenschaftlichen Hintergrund hat und zum Thema Sprache bloggt, erfüllt alle Voraussetzungen, beim Blogspektrogramm mitzumachen, und kann sie kontaktieren, um den eigenen besten Blogbeitrag vom August zu nominieren!

Genus und Sexus

O C., als du, C. und ich neulich durch die Altstadt von Halle an der Saale schlenderten, guckten wir uns an einer großen Gruppe junger Männer erschreckend ähnlichen Phänotyps fest, die Pappschilder mit den Zeichen WILLST DU MICH HEIRATEN? dabeihatten, um sie so in den Himmel zu recken, dass man sie vom Turm der Marktkirche aus lesen konnte. Die Aktion gelang, von oben kam ein positives Signal, es wurde geklatscht und gejubelt. Wohl aus Verachtung für traditionelle Lebensweisen und konventionelle romantische Gesten bemerktest du: Jetzt darf er sie knallen. Und wohl aus Ablehnung von Geschlechterstereotypen und heteronormativen Vorurteilen präzisiertest du rasch und elliptisch: Der Mensch die Person.

Blogspektrogramm #3

Im Juni in der deutschsprachigen Sprachbloglandschaft: so ziemlich alles über das Wort Meuchelpuffer, wie in der Orthografie aus EHEC sehr schnell Ehec wurde, Unterschiede in den Zählsystemen verschiedener europäischer Sprachen, was von der Nominierung des obersten Protestanten Deutschlands als Sprachpanscher des Jahres zu halten ist, was meine aktuellen Lieblingswörter sind und warum und wie das Wort Keks in die deutsche Sprache und in den Duden gelangte. Diesen Monat ist es Susanne Flach, die auf ihrem Blog  */ˈdɪːkæf/ den Überblick verschafft: im Blogspektrogramm #3.