Archiv der Kategorie: Sprache

My Favorite Language Resources on the Web

  • LEO is the online dictionary for native speakers of German. It has English, French, Mandarin Chinese, Italian, Spanish and Russian. I use it for the first three. LEO is very basic, it just gives you a list of all translations for a word or phrase with no ranking and very little information about usage and context. But the lists are often quite complete, it’s fast and there is also a message board that sometimes has useful additional translations and usage information. Here, as with everything on the Internet, using one’s brain while looking things up is important (as opposed to trusting the next best piece of information blindly).
  • Recently, I have frequently found English words on dict.cc which were missing from LEO.
  • The English Wiktionary has vast amounts of information on Chinese characters and their usage in Mandarin Chinese.
  • A third source for Chinese is Arch Chinese, which I use mainly for stroke orders, and sometimes for decomposition into radicals. The latter is done great here in principle, but alas, it’s quite incomplete.
  • Linguee is a new and hot thing with clever use of language technology. You can search English/German parallel corpora and see how others have solved the problem of translating XYZ. Now also available for English/Spanish, English/French and English/Portuguese.
  • If you already have an idea of how to put something and want to check it against text written by others,  or when you just want to get an idea of how a word is used, Google is a classic of course. With some (especially rare) words, the 1,000,000,000 dictionary sites out there tend to get in the way though and clutter up the first few results pages – when what you want is precisely not a dictionary, but unedited real-life usage. For that purpose, I have defined the Serchilo command “Google as a concordancer”, which filters out all dictionary sites I have discovered so far. Even if you are not yet using Serchilo as your default “search engine” (which you should), you can use the command by typing serchilo.net/cong yourword in your browser’s address bar.
  • As a grammar geek, I love the Logos Universal Conjugator, a vast archive of verb inflection tables in many languages. I mainly use it for French and Latin, when I need a more outlandish form of an irregular verb (or of a regular verb, for that matter) that I never bothered to remember thoroughly.

Dear readers, what are your favorite online tools for mastering foreign tongues?

Lieblingswörter (6)

Was bisher geschah: Schöne WörterLieblingswörterLieblingswörter (2)Lieblingswörter (3), Lieblingswörter (4), Lieblingswörter (5).

Das Wort heimsuchen ist ein besonderes Wort für besondere Anlässe. Ich verwende es gerne in den seltenen Fällen, in denen sich eine gemeinsame Arbeit nicht per Internet oder Telefon erledigen lässt und es erforderlich wird, jemanden in dessen eigenen vier Wänden aufzusuchen: „Sobald ich das Formular habe, suche ich dich damit heim, dann können wir es beide unterschreiben.“ Tut es mir gleich, und das Wort wird seinen negativen Beiklang verlieren.

Verwandt ist heimleuchten, schön, weil ein eigenes Wort für eine sehr spezielle Tätigkeit. Zumindest heute, im Zeitalter des elektrischen Lichtes, ist seine ursprüngliche Bedeutung nicht mehr gerade alltäglich. Mitunter kommt es aber auch heute noch vor, dass jemandem heimgeleuchtet wird, meist mit einem Handy-Display.

Viel lieber als das üblichere Synonym gelingen mag ich das etwas altertümliche Wort glücken – vielleicht, weil das zufriedene Glucksen schon mit anklingt. Hätte ich Einfluss darauf, wie im deutschen Sprachraum Logikprogrammierung gelehrt wird, würden Ziele (goals) stets glücken (succeed) oder missglücken (fail). Ich weiß gar nicht, wie man auf Deutsch sagt. Wo wir gerade bei Programmierung sind: An dem Wort Arglist mag ich unter anderem, dass es als Abkürzung von argument list auftritt.

Irrealis im Alltag

Drei Radfahrer (A, B und C) kommen an eine rote Fußgängerampel. A fährt einfach darüber. Von rechts kommt ein Auto und bleibt auf der Linksabbiegerspur stehen. Angesichts dessen bleiben B und C auch stehen.

B: Wenn man jetzt nicht wüsste, dass, wenn man jetzt einfach losführe, der sofort grün kriegen würde, könnte man’s ja machen.

Während B noch spricht, kriegt das Auto grün und fährt weg, dann kriegen die Radfahrer grün und setzen sich in Bewegung.

C: Was?

B: Wenn man jetzt nicht gewusst hätte, dass, wenn man jetzt einfach losgefahren wäre, der sofort grün gekriegt hätte, hätte man’s ja machen können.

Beckers Welt

Peinliche journalistische Unsitten, Folge 983: Eine etablierte Ausdrucksweise mit auskennerischer, gönnerhafter Gebärde als Sprachmarotte einer Randgruppe belächeln und damit nur die eigene horrende Kenntnislosigkeit vorführen. So geschehen schon neulich in der Zeit und diese Woche ebenda erneut. Diesmal trifft es nicht Sprachlehrerinnen und Beamte, sondern einen Banker mit Burnout:

Er betreut dort Firmenchefs, genauer: Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen mit mehreren Hundert Mitarbeitern. Mithilfe der Bank wollen sie Maschinen, Lastwagen, Immobilien dauerhaft mieten, statt sie zu kaufen. Leasen heißt das in Beckers Welt.

Ja, in welcher Welt denn nicht?!

Denken und sprechen

Die Zeit widmet diese Woche dem Niedergang der deutschen Sprache den Aufmacher und eine Doppelseite im Feuilleton. Ulrich Greiner erkennt zum Glück richtig, dass Anglizismen, Genitiv und Konjunktiv nichts zur Sache tun, schiebt sie nach einer halben Spalte beiseite und stürzt sich auf ein sprachphilosophisches Thema, das hierzublog schon hie und da aufgetaucht ist. Seine Thesen geben mir Gelegenheit, ein paar verstreute Frechheiten in geisteswissenschaftliche Richtung abzufeuern.

Zitiert wird aus einem Artikel von Florian Coulmas, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokyo:

„Unter Wissenschaftlern hat sich herumgesprochen, dass es sich empfiehlt, erst zu denken und dann zu sprechen. Dennoch hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass nicht wir denken, sondern die Sprache für uns.“

Ich finde, das hat Coulmas großartig gesagt. Greiner ist anderer Meinung:

In der Literatur begebe ich mich in die Sprache hinein, und ich weiß nicht, wo ich am Ende herauskomme. Das gilt für nicht wenige Felder der Geisteswissenschaften. Die Philosophie Kants, Hegels oder Heideggers wäre anders ausgefallen, hätten sie Englisch schreiben müssen.

Ja, weniger Geschwurbel und klarer herausgearbeitete wesentliche Gedanken, behaupte ich mal frech.

Natürlich nur dann, wenn der Zwang zum Schreiben in der Fremdsprache bei den drei Herren tatsächlich den Schalter umgelegt hätte von „sich mit der Sprache treiben lassen“ auf „erst denken, dann sich verständlich ausdrücken“. Aber es gibt keinen Grund das anzunehmen; Kant, Hegel und Heidegger hätten wohl auch auf Englisch zu schwurbeln gewusst. Sie hätten dann halt anders geschwurbelt – das ist ja gerade das Problem, wenn man eine Sprache für sich denken lässt. Man sollte es daher nur tun, wenn man Kunst, nicht Erkenntnis erlangen will. Greiner sieht das anders:

Wenn es also Gebiete gibt, wo die Sprache eine erkenntnisleitende Funktion besitzt (was unbestreitbar der Fall ist), (…)

Ah. Und Belege für diese unbestreitbare Tatsache kommen dann nächste Woche als Forsetzung? Das nun folgende Jürgen-Trabant-Zitat überzeugt mich nämlich noch nicht ganz:

„Es gibt wissenschaftliche Betätigungen, die nicht sprachlos Gedachtes, Gemessenes, Gewogenes und Berechnetes als wissenschaftliche Erkenntnis erzeugen, sondern die wissenschaftliche Erkenntnis in Sprache generieren. Wissenschaftliche Arbeiten in den sogenannten Geisteswissenschaften kommen nicht so zustande, dass der Forscher sich zuerst die Ergebnisse denkt und diese dann nur noch bezeichnen und verlautbaren muss. Er schafft mit der Sprache einen völlig aus Sprache bestehenden Gegenstand.“

Man kann sich das nackte Grauen vorstellen, das es für den Leser bedeutet, zu versuchen, solchen „völlig aus Sprache bestehenden“ Gegenständen einen Erkenntniswert abzutrotzen – oder den Spaß, den es bereitet, sie zu verspotten. Bei der Gesellschaft zur Stärkung der Verben haben wir dafür einen Vorgang mit dem Titel Geschwalle.

Einleitephrasen im Relativsatz

Der Knüller hier ist Beispielsatz (33). Wer schon weiß, wie Relativsätze im Deutschen funktionieren, kann direkt runterscrollen.

Die einschlägigen Grammatiken sprechen von einem „Einleitewort“ im Relativsatz, so auch die Canoo-Grammatik, der dieser Eintrag ansonsten viel verdankt. Dabei werden Relativsätze im Deutschen von einer ganzen Phrase eingeleitet, die nur in den typischsten Fällen aus genau einem Wort besteht. Kennzeichnend für diese „Einleitephrase“ sind zwei Dinge: Sie ist gegenüber der Nebensatz-Grundstellung nach vorne bewegt und hinterlässt eine unsichtbare Lücke, die ich im Folgenden als Unterstrich sichtbar mache: _. Außerdem enthält sie ein spezielles Wort, das die Verbindung zum Bezugswort des Relativsatzes herstellt. Im typischsten Fall ist dieses Wort eine Form des Relativpronomens der/die/das, wie in den folgenden Beispielen (ich setze die Einleitephrasen fett):

(1) der Mann, der _ das getan hat
(2) die Frau, deren/derer wir _ gedenken
(3) das Problem, dem wir _ nicht beikommen
(4) die Kinder, die wir _ gesehen haben

Es gibt noch das Relativpronomen welcher/welche/welches. Dem fehlen witzigerweise die Genitivformen, ansonsten funktioniert es genau so:

(5) der Mann, welcher _ das getan hat
(6) das Problem, welchem wir _ nicht beikommen
(7) die Kinder, welche wir _ gesehen haben

Dass die Einleitephrase hier nur aus einem Relativpronomen besteht, ist wie gesagt nur der typischste Fall. Die Einleitephrase kann auch ein Substantiv enthalten und ein Relativpronomen im Genitiv als Possessiv-Determinierer nutzen:

(8) das Bett, dessen Füße wir _ abgesägt haben

Oder die Einleitephrase kann eine Präpositionalphrase sein, in der das Relativpronomen das Komplement der Präposition ist:

(9) der Anblick, angesichts dessen ich _ erstarrte
(10) die Leute, bei denen wir _ vorstellig geworden sind
(11) die Sache, über die ich mich _ wundere

Die Einleitephrase kann auch ein zu-Infinitiv sein, in dem ein Dependent (Objekt oder Attribut, Argument oder Adjunkt, was auch immer) des Verbs das Relativpronomen ist – oder es enthält, denn all diese Einbettungsmöglichkeiten lassen sich fast beliebig kombinieren:

(12) das Auto, das zu fahren ich mich _ nicht traue
(13) der Mann, dessen Frau zu kritisieren ich mich _ nicht traute
(13) die Angelegenheit, über die zu sprechen mir _ verboten wurde
(14) der Mann, über dessen Frau zu sprechen mir _ unangenehm ist
(15) der Mann, über dessen Frau sprechen zu wollen mir _ gefährlich erscheint

Dieser Dependent hat die Eigenheit, in der Einleitephrase vorne stehen zu wollen (Sternchen bedeutet falsch):

(16) der Zwirn, mit dem sich anzuziehen er _ toll findet
(17) *der Zwirn, sich mit dem anzuziehen er _ toll findet

Altertümlicherweise gibt es auch Einleitephrasen, die nur aus dem Wort so bestehen; dialektalerweise gibt es welche, die nur aus dem Wort wo bestehen. Sie funktionieren wie ein Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ; ob es auch in Genitiv und Dativ geht, weiß ich nicht:

(18) der Mann, so _ sich Johann Albert Erzbischof von Magdeburg nennt
(19) das Schnitzel, wo ich _ gegessen habe

Im Schriftdeutschen kommt dieses wo nur vor, wenn es mit einer Präposition zu einem (interrogativen) Pronominaladverb verschmilzt und dann als Einleitephrase wie eine Präpositionalphrase verwendet werden kann:

(20) das, wofür sie _ gekämpft hatte
(21) vieles, woran ich _ geglaubt habe
(22) das Beste, womit wir _ rechnen können

Und zwar typischerweise dann, wenn das Bezugswort ein Demonstrativ- oder Indefinitpronomen oder ein substantiviertes Adjektiv im Superlativ ist, wie in den drei Beispielen. Hier Präpositionalphrasen zu verwenden, würde ein wenig ins Umgangssprachliche spielen:

(23) das, für das sie _ gekämpft hatte
(24) vieles, an das ich _ geglaubt habe
(25) das Beste, mit dem wir _ rechnen können

Umgekehrt ist es möglich, bei anderen Bezugswörtern Pronominaladverbien zu verwenden (auch nicht-interrogative), was dann aber altertümlich bis seltsam klingt, zumindest für mein Empfinden:

(26) der Wein, woran sie sich _ labten
(27) der Schlag, darob er _ ohnmächtig wurde

Eingeschobene Ergänzung 21:34 Uhr: Demonstrativ- und Indefinitpronomina sowie substantivierte Adjektive im Superlativ haben noch eine weitere Besonderheit: Besteht die Einleitephrase nur aus einem Relativpronomen im Nominativ oder Akkusativ, so ist dieses häufig nicht der/die/das oder welcher/welche/welches, sondern was. Wie seltsam das daneben klingt, hängt für mich vom Bezugswort und sogar vom weiteren Kontext ab (hat es etwas mit Definitheit zu tun?):

(A1) Hast du alles, was/??das du _ brauchst?
(A2) Hier ist alles, was/?das ich _ brauche.
(A3) etwas, was/das _ mich beunruhigt
(A4) vieles, was/?das ich _ nicht weiß
(A5) das Beste, was/??das _ mir je passiert ist

Entsprechend kann statt dessen wessen stehen, dessen finde ich hier aber natürlicher:

(A6) etwas, dessen/?wessen man sich schämen muss

Dialektal/umgangssprachlich kann was/wessen auch nach sächlichen Substantiven stehen:

(A7) das Kleid, was ich mir _ gekauft habe
(A8) der Sitz, wessen ich mich _ vergewissert hatte – Ergänzung Ende.

Verwandt mit der Verwendung von interrogativen Pronominaladverbien als Einleitephrasen ist die entsprechende Verwendung der normalen Interrogativadverbien wo und warum. Wenn ich meinen pingeligen Hut aufsetze, finde ich das unschön, aber es ist sehr real:

(28) die Stadt, wo ich _ gewesen bin
(29) der Grund, warum ich mich _ nicht daran erinnere

Bei wo muss das Bezugswort einen Ort denotieren, bei warum kommt eigentlich nur Grund als Bezugswort in Frage, vielleicht noch Synonymoide wie Ursache. Der folgende Satz erscheint mir jedenfalls eindeutig falsch, obwohl er Sinn ergibt – man kann den Materialfehler ja als Grund betrachten:

(30) *der Materialfehler, warum ich _ jetzt im Krankenhaus liege

Das Phänomen ist interessant – um zum Beispiel ein Substantiv als Ortsangabe in einen Satz einzubinden, braucht man normalerweise eine Präposition. Welche, hängt stark von dem Substantiv ab: man ist in einer Stadt, auf dem Strand, an einer Universität… wo als Relativsatz-Einleiter hingegen umgeht diesen Zwang zur Präposition. Ganz entsprechend wo und warum fungieren die Konjunktionen wenn (für Gegenwart und Zukunft) und als (für die Vergangenheit), wenn das Bezugswort einen Zeitpunkt oder einen Zeitraum denotiert:

(31) die Zeit, wenn das Öl _ aufgebraucht ist
(32) der Sommer, als wir uns _ kennengelernt haben

Zuletzt ein Typ Einleitephrase, von dem ich neugierig wäre, ob er irgendwo schon beschrieben ist: eine Nominalphrase mit dem Determinierer welch, normalerweise darauf beschränkt in Ausrufen („Welch liebliches Antlitz dieser Morgen zeitigt!“) und indirekten Fragesätzen („Er wusste wohl, welch liebliches Antlitz der Morgen gezeitigt“) satzinitial vor sich hin zu altertümeln, scheint zumindest Gisbert Haefs in dem Krimi Mord am Millionenhügel auch als Relativsatzeinleitephrase zu taugen. Da heißt es gegen Ende:

(33) Nach dem armen Versehrten und dem aufopfernden Kameraden kam nun eine heimatduselige Schilderung des Waldes und des zarten Emil M., Sohn des rechtschaffenen Pflegers im Krankenhaus, welch zartes Knäblein _ am nämlichen Tage im Wald zu lustwandeln sich nicht enthalten mochte.

Faszinierend ist hier vor allem die ganz und gar ungewöhnliche Möglichkeit, dem Bezugswort vermöge Adjektiv und Nomen noch in der Einleitephrase eine weitere Beschreibung zu verpassen. Ist das etwas Altertümliches und ich habe es nur bei Haefs zum ersten Mal bewusst gesehen? Oder hat Haefs selbst die Möglichkeit, bestimmte Einleitephrasen von indirekten Fragesätzen (wo, warum) auch für Relativsätze zu verwenden, auf Nominalphrasen mit welch-Begleiter übertragen?

Wie es sich in Deutschland gehört

„Das große Ereignis beginnt pünktlich, wie es sich in Deutschland gehört.“ Ich habe ja gar nichts gegen Deutschland-Bashing. „Nach eineinhalb Jahren Deutschunterricht erhalten die Frauen aus den Händen des Senators je vier Urkunden in einer Hartplastikmappe. Damit ist es amtlich, wie es sich für Deutschland gehört.“ Aber schon, wenn es so uninspiriert, klischeehaft und rührselig ist, wie Christian Schüle und Özlem Topçu es in der gerade noch aktuellen Zeit betreiben. „Jedes Mal, wenn einer der Sätze auf ihren Zetteln im Lied auftaucht, sollen sie einen Schritt in den Kreis hineingehen. Am ,Hörverständnis‘ arbeiten heißt das auf Kursdeutsch.“ Ja, Hörverständnis, so heißt das. Schon mal in einem Sprachkurs gewesen? Was soll das heißen? Dass es sich um eine weltfremde akademische Angelegenheit handelt, mit der arme Migrantinnen sinnlos behelligt werden? „Mehr als sieben Jahre lang waren sie und ihre Kinder nur geduldet, also eigentlich ,ausreisepflichtig‘, wie es im Beamtendeutsch heißt.“ Muss eine dieser bizarren deutschen Besonderheiten sein, dass in fachlichen Zusammenhängen fachsprachliche Begriffe verwendet werden. Aber es kommt noch ärger: „Das System des Deutschunterrichts für Ausländer ist, typisch deutsch, systematisch: Vor B1 liegt die Eingangsstufe A1.“ Zu Hilfe, ein systematisches System! Und A1 kommt vor B1 – nur der verkrustetste Bürospießer kann da noch die Tränen des Mitleids zurückhalten angesichts eines solchen Ausmaßes an Pickelhaubenhaftigkeit.

Was bedeutet „sowie“?

Im Katalog zur Ausstellung Slave City (sehr zu empfehlen) reißt Michael Zeuske kurz die Weltgeschichte der Sklaverei ab und verwendet dazu u.a. einen bemerkenswerten Satz:

Allerdings wurden Männer sowie Frauen und Kinder strikt voneinander getrennt.

Das Weltwissen sagt einem, was gemeint ist: Frauen und Kinder wurden zusammen untergebracht, Männer getrennt davon. Allerdings stört mich etwas an der Formulierung: ⟦voneinander⟧ scheint mir ein Operator zu sein, der ein geordnetes Paar von Mengen als Argument nimmt. In diesem Fall müsste das eigentlich das Paar 〈⟦Männer⟧, ⟦Frauen⟧∪⟦Kinder⟧〉 sein. Meinem Sprachgefühl nach kann ein Paar 〈⟦a⟧, ⟦b⟧〉aber syntaktisch nicht als a sowie b realisiert werden, sondern nur als a und b. Anders gesagt, sowie kriege ich nur als ∪ interpretiert, und dagegen je nach Kontext auch als paarbildenden Operator. Danach hieße der Satz oben: Männer und Frauen wurden zusammen untergebracht, Kinder getrennt davon. Oder aber, dass alle [Sklaven] voneinander getrennt wurden. Das ist sachlich unwahrscheinlich.

Was soll ich denn machen, verteidigt sich jetzt der Autor, Männer und Frauen und Kinder ist erst recht ambig und Männer und Frauen sowie Kinder geht nicht, weil und immer stärker bindet als sowie. Dann wären wir wieder bei der nicht intendierten Lesart.

Ach ja? Wo steht das geschrieben, dass und eine höhere Operatorpräzedenz hat als sowie? Mein Sprachgefühl gibt das irgendwie nicht her. Als mein Deutschlehrer beim Diktieren eines prüfungsrelevanten Sachverhalts einmal eine abenteuerliche undsowie-Koppelung bemühte und ich aufzeigte, um Desambiguierung zu heischen, stellte dieser sonst von mir sehr verehrte Mensch mich als einen hin, der eine Ambiguität auflösende Nuance des Ausdrucks nicht erkannt hatte. Empörend, hatte ich doch als einziger alle möglichen Bedeutungsnuancen erkannt und gerade die immer noch bestehende Uneindeutigkeit, die Unzulänglichkeit aller Zeichen, die Hohlheit der Sprache… ich steiger mich da gerade in was rein. Ein linguistisch fundierter Schluß entfällt.

Ist „Milf“ etwa ein deiktischer Ausdruck?

Ist Zsá Zsá Inci Bürkles Mutter etwa eine Milf?, fragt sich Max Goldt und bemerkt:

Ich werde das Wort „Milf“, welches akronymischen Charakters ist, hier übrigens nicht genauer erläutern. Dazu bin ich mir zu fein. (…) Am besten, man hat das Wort noch nie gehört. Sagt man nämlich auf einer Party, jedenfalls auf einer soliden Party zu einer Dame: „Sie sind die tollste Milf des ganzen Viertels!“, wird man mit einer klassischen Ohrfeige (…) zu rechnen haben. (…) Übrigens könnte keine Frau, auch die mopsfidelste nicht, von sich selber behaupten, sie wäre eine Milf. Milf und Filf kann man nur in den Augen anderer sein, (…)

Das meint er wohl deswegen, weil mother I’d love to fuck ein I enthält. I (ich) ist ein sogenannter deiktischer Ausdruck. Andere deiktische Ausdrücke sind z.B. du, der da, hier, jetzt. Ihre Bedeutung hängt von der Sprechsituation ab – davon, wo, wann, mit welchen zeigenden Gesten und – in diesem Fall vor allem – von wem sie geäußert werden.

Auf wen sich mother I’d love to fuck beziehen kann, hängt daher auch davon ab, wer diesen Ausdruck benutzt. Denn es möchte ja nicht ein jeder mit denselben Müttern dem Geschlechtlichen frönen: „She’s a mother I’d love to fuck“ – „Well, she’s not a mother I’d love to fuck.“

Ein deiktisches Element – hier ein Personalpronomen – zu enthalten, ist für feststehende Wendungen, wie mother I’d love to fuck eine geworden ist, höchst ungewöhnlich. Mit der Etablierung als Wendung einher ging das häufige Auftreten als Akronym (MILF) und die Wortwerdung: Milf. Die linguistisch interessante Frage ist, inwieweit bei diesem Prozess der deiktische Charakter des Ausdrucks tatsächlich erhalten bleibt.

„She’s a milf.“ – „Well, she’s not a milf.“ In dieser Unterhaltung ist das Wort milf tatsächlich deiktisch, aber sie wirkt nicht gerade natürlich. Sie ist ein Sprachspiel. Und nach dem, was ich über Sprache weiß und intuiere, sind das alle Diskurse, in denen milf deiktisch verwendet wird. Es ist mehr ein Witz als ein Wort, ein Insider für die, die wissen, was sich Ungehöriges hinter der hübschen Silbe verbirgt. Die Schöpfung des Wortes mylf ist eine weitere Runde in diesem Spiel.

Wo milf außerhalb von Sprachspielen benutzt wird, als ganz normales Wort, hat es eine nichtdeiktische Bedeutung angenommen. Wie Max Goldt selbst schreibt, bezieht es sich schlicht auf „attraktive Frauen im Mütteralter“, unabhängig davon, wer es benutzt. So könnte sich durchaus eine Frau selbst als Milf bezeichnen, selbst dann, wenn man von autoerotischen Fantasien als Erklärung absieht.

Während in jeder lebenden Sprache täglich neue Inhaltswörter (Substantive, Verben, Adjektive, Adverbien bzw. entsprechend) geschaffen werden und manche dieser Neologismen sich bald allgemeiner Verwendung erfreuen, ist es so gut wie unmöglich, neue Funktionswörter (Konjunktionen, Präpositionen, Pronomen…) zu etablieren. Ähnliches gilt wohl auch für deiktische Wörter. Ich finde, diese Erkenntnis ist ein interessanter Ausschnitt aus dem Bild „Wie Sprache funktioniert“.

Lieblingswörter (5)

Was bisher geschah: Schöne WörterLieblingswörterLieblingswörter (2)Lieblingswörter (3), Lieblingswörter (4).

Das Wort Gestaltungswille kommt mir immer in den Sinn, wenn ich so etwas sehe wie den Verkehrserziehungstruck, der vor der Tübinger Landespolizeidirektion steht. Darauf steht „GIB ACHT IM VERKEHR“. Das Wort „ACHT“ ist ohne erkennbaren Grund rot hervorgehoben und auf der Seite des Trucks durch ein Zebra ersetzt. Vorne steht der Satz etwa fünfmal in verschiedenen Farben und Größen, die Versionen überlagern sich. Das ganze Design ist ohne jegliche Harmonie und ohne jeglichen Sinn, aber eben mit viel Gestaltungswillen angegangen worden.

Weiß nicht, was ich lieber mag: Geniestreiche oder das Wort Geniestreich. Auch eins dieser Wörter, die schön sind, weil sie (für mich) eine sehr spezielle Bedeutung haben. In diesem Fall: Die Klasse der Aktionen, die mit geringem Aufwand große Verblüffung schaffen. Weil man erst mal drauf kommen muss.

Chaot ist ein schönes Wort, weil’s wie eine Berufsbezeichnung von Chaos abgeleitet ist und somit suggeriert, dass ein Chaot ein Meister und Beherrscher des Chaos ist, ein Chaostechniker, ein Chaosarbeiter. Einer, der für das Chaos zuständig und verantwortlich ist und es gewissenhaft instand hält.

Einfach lustig sind die Wörter vergraulen und ogottogottogott. Und das englische yeah. Ich meine jetzt nicht das yeah, das ja bedeutet, sondern das yeah, das unter gar keinen Umständen oder hör sofort damit auf bedeutet, wie in „Yeah, that’s not helping“, „Yeah, this is awkward“ oder „Yeah, you keep telling yourself that.“ Wo wir gerade bei Englisch sind, ich wusste bis vor Kurzem gar nicht, dass es ein Verb zu intuition gibt. Gibt es aber: intuit. „Whorf intuited that the Inuit must have many words for snow.“ Es gehört zu jener verschrobenen Klasse von Verben, deren Grundform dem Perfektpartizip des lateinischen Originals mehr ähnelt als dessen Infinitv (intueri).

Wenn man mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen ist und das englische Wort hilarious kennt, wirkt die Tatsache, dass es im Niederländischen das Wort hilarisch gibt, nun ja, wahnsinnig komisch. Es ist irgendwie nicht die Endung, die man erwartet hätte.

Zu meinem letzten Lieblingswort für heute gibt es eine Geschichte. Ich war mal Teil einer Zweier-WG in einer Kellerwohnung. Die Zimmer waren hübsch hergerichtet und hatten auch normalgroße Fenster, da das Haus in einen steilen Berg hineingebaut war. Aber die untapezierten Wände im Flur und die Rohre und das Gewölbe auf der Nachtseite der Wohnung machten doch sehr klar, dass es ein Keller war. Das war sehr cool, auch wegen des wilden Gartens und des Holzschuppens und der Katze und der Gasöfen und der großartigen Feiern, die L. und ich dort veranstalteten.

M., mein rumänischer Mitbewohner, war eines Tages ausgezogen, und L. zog ein, zufällig auch Rumänin. Bei der Übergabe des Zimmers redete M. fünf Minuten lang sehr heiter auf Rumänisch auf L. ein und gebrauchte dabei ungefähr fünftausendmal akzentuiert das Wort pivniţa. Als ich fragte, was das Wort  bedeute, und die Antwort Keller war, wusste ich sofort, welche Geschichte M. gerade erzählt hatte, denn ich hatte sie schon einmal auf Deutsch gehört. Ein Mann von den Stadtwerken o.Ä. hatte mal zu ihm gewollt und erst den Eingang nicht gefunden, dann überrascht gesagt: „Ach so, Sie wohnen im Keller!“ Das hatte M. völlig entgeistert, dass jemand auf die absurde Idee kommen konnte, unsere Kellerwohnung wäre im Keller. Also bitte, wir wohnten doch nicht im Keller! Die Wohnung hatte damit ihren Namen weg, und er ist mir in den schönen acht Monaten, die ich noch in der Pivniţa verbringen durfte, denn auch sehr ans Herz gewachsen.